Eine auf obszöne Art pompöse Villa mit einem üppig blühenden Garten. Alles ist von derartig bonbonfarbener Künstlichkeit, dass man sich in Charlies Schokoladenfabrik wähnt. Im Inneren gibt es aber keine Süßigkeiten. Dort räkeln sich Frauen zwischen exotischen Tieren, streicheln sich und tanzen. Zwei von ihnen, Cardi B und Megan Thee Stallion, rappen dazu. Die Villa ist die Kulisse für das Video zu ihrem Song „WAP“. Das Akronym steht für „Wet Ass Pussy“, zu Deutsch in etwa „sehr feuchte Muschi“. Es ist ein Song über die Freuden der sexuellen Erregung von Frauen. Männer werden zu austauschbaren Dienern, die eingeladen sind, in die nasse Göttlichkeit einzutauchen und einen Wischmopp mitzubringen, um die Sauerei anschließend zu beseitigen. Kein Song in der Musikgeschichte wurde in der ersten Woche nach seiner Veröffentlichung öfter gestreamt. Kaum ein Song hat die Gesellschaft mehr gespalten. Auf der einen Seite steht eine Armee junger Frauen, die in den sozialen Medien die lasziven Tänze imitieren, mit den expliziten Texten ihre Eltern schockieren und lustvoll ihre Sexualität zur Schau stellen. „WAP“ ist für sie eine Offenbarung. Zwar forderten Salt-N-Pepa schon in den 1980ern „Let’s Talk About Sex“ und Lil’ Kims Debütalbum hieß nicht ohne Grund „Hard Core“ (1996), doch Sex war hier oft mehr Verpackung als Inhalt. Bei Cardi B und Megan Thee Stallion jedoch ist „WAP“ drin, wo „WAP“ draufsteht. Das begeistert nicht nur Frauen: Ex-US-Präsident Barack Obama platzierte den Song auf seiner öffentlichen Playlist und Parteikollege Bernie Sanders gilt seit Jahren als Cardi Bs größter Fan. Er sagte ihr sogar Unterstützung für eine Politik-Karriere zu. Große Teile der älteren Generation, gerne abfällig „alte weiße Männer“ genannt, stehen auf der anderen Seite. Sie wittern in „WAP“ den Untergang des Abendlandes. Auch einige Feministinnen kritisieren den Song. Sie empfinden „WAP“ als plumpe Perpetuierung von misogynen Klischees – Prostitution statt Kunst. Sexualität und ihre Vermarktung sind in den vergangenen Jahren einer der Hauptkampfplätze des Feminismus geworden. Und Rapperin Cardi B ist eine der Frauen, die schnell verstanden hat, wie sich daraus Kapital schlagen lässt. Das zeigt auch die ARTE-Doku „Der neue Feminismus: Zwischen Pop und Marketing“. Die Frage ist: Darf Sexualität zu Marketingzwecken eingesetzt werden und wenn ja, wie und von wem? Mit „WAP“ haben Cardi B und Megan Thee Stallion eine Antithese zum Zuhälter-Rap geschaffen. Jahrzehntelang gehörten leicht bekleidete Frauen zum Inventar jedes Musikvideos. Sie räkelten sich im Hintergrund auf Sofas und Autos, manchmal zu Füßen der Rapper. Mit etwas Glück durften sie den Refrain singen, in dem sie oft als Schlampen bezeichnet wurden. Natürlich gab es Ausnahmen wie Queen Latifah oder Missy Elliott. Frauen, die sich weigerten, Objekt zu sein, und damit Erfolg hatten. Doch wie Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal auf die Frage nach der Bedeutung ihrer Kanzlerinnenschaft für den Feminismus antwortete: „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.“ Bis heute ist die Hip-Hop-Kultur von Männern dominiert. Daran haben auch die feministischen Hymnen von Beyoncé und die aggressiven Raps von Nicki Minaj nichts Grundlegendes geändert. „Ich drücke ihn auf die Knie, gebe ihm etwas, woran er glauben kann“ – solche Zeilen kannte man bisher fast ausschließlich aus männlicher Perspektive. Feministinnen, die gerne Rap hören, mussten sich mit dem dauernden Widerspruch zwischen ihren Idealen und ihrem Musikgeschmack arrangieren. Wie die selbst betitelte „schlechte Feministin“ und Autorin Roxane Gay schreibt: „Ich genieße die Songs so, wie ich Musik meistens genieße: Ich muss vergessen, dass ich ein empfindendes Wesen bin.“ Bei „WAP“ ist das anders: Es ist ein Song von Frauen für Frauen.
Die Villa gehört immer noch den Männern
Hinter den Kulissen hat sich allerdings wenig verändert. Regie zu „WAP“ führte ein Mann. Die Musik-Labels, die Streaming-Dienste und Video-Plattformen gehören Männern. Sie alle verdienen an Cardi Bs und Megan Thee Stallions Ruhm. Man kann sagen: Ihnen gehört die Villa. Es sind Männer, die bestimmen, unter welchen Bedingungen Frauen erfolgreich sein können. Die Bedingung lautet: Sex sells. Cardi B und Megan Thee Stallion sind Geschäftsfrauen und haben sich arrangiert damit, die Grenzüberschreitung im Korsett zu sein. Pralle, große Brüste, ein ebenso geformter Hintern, alles dazwischen zur Wespentaille geschnürt, die Nägel krallenartig und reich verziert, die Haare so lang wie unpraktisch – ihre sexuelle Selbstbestimmung sieht einer Männerfantasie zum Verwechseln ähnlich. Warum aber tun sich zwei erfolgreiche Frauen das an? Auf ihrem Instagram-Kanal erklärte Cardi B, dass sie sich für „WAP“ als Single-Auskopplung ihres Albums entschieden habe, weil die Erfahrung gezeigt habe, dass explizite Songs sich einfach besser verkauften. Cardi Bs gefühlvolles Stück „Be Careful“, das von einer Trennung erzählt, hat in zwei Jahren bei YouTube 124 Millionen Klicks sammeln können, „WAP“ schon nach einem Monat über 200 Millionen. Ihr Fazit: „Wenn die Leute hören wollen, wie ich über meine Pussy rappe, dann rappe ich eben über meine Pussy.“ Das tut sie in „WAP“ und transzendiert die patriarchale Popkultur damit nicht, sondern spiegelt sie unter umgedrehten Vorzeichen. Die Rapperinnen eignen sich die Sprache an, mit der bislang über sie gesprochen wurde. Sie haben einen Weg gefunden, damit Geld zu machen und das Spektrum der Möglichkeiten für Frauen zu erweitern. Zwei Schwalben mehr, würde Angela Merkel vielleicht sagen.
Ich drücke ihn auf die Knie, gebe ihm etwas, woran er glauben kann