»Wie weit kann man gehen?«

Im Serien-Highlight „Informant“ alarmieren Indizien für einen Anschlag auf die Hamburger Elbphilharmonie die Polizei. Jürgen Vogel spricht im Interview über seine Rolle als LKA-Mann und den Umgang mit Gewalt.

Jürgen Vogel liegt angezogen in der Badewanne
Jürgen Vogel, Schauspieler und Filmproduzent: Seinen Durchbruch hatte der 1968 geborene Hamburger in der Komödie „Kleine Haie“ (1992). 1996 gründete er mit ­Matthias ­Glasner die Schwarzweiss Filmproduktion. Heute lebt ­Jürgen ­Vogel mit seiner Familie in Berlin. Foto: Robert Rieger

Wie weit sollte man im Kampf gegen Terror gehen? Die sechsteilige Serie „Informant – Angst über der Stadt“ von Berlinale-Gewinner Matthias ­Glasner, die ARTE im Oktober ausstrahlt, handelt von einem geplanten Anschlag in Hamburg. Im Mittelpunkt stehen BKA-Beamtin Holly ­Valentin (­Elisa Schlott), Informant ­Raza ­Shaheen (­Ivar ­Wafaei), der eigentlich afghanischer Aushilfslehrer ist, und LKA-Mann ­Gabriel Bach, verkörpert von ­Jürgen ­Vogel. Er zählt zu den erfolgreichsten deutschen Schauspielern seiner Generation und hat sich für ein Gespräch aus seiner Wohnung in Berlin zugeschaltet.

ARTE Magazin Herr Vogel, Sie haben auf dem Arm das Wort „Halunke“ tätowiert. Identifizieren Sie sich damit?

Jürgen Vogel Ja! Das hat man uns als Kind hinterhergerufen, wenn man Mist gebaut hat. Halunken waren ein fahrendes Volk, das die Leute unterhalten hat, oft haben sie dabei was mitgehen lassen. So ein herumtourendes Volk sind wir Schauspieler ja auch ein bisschen. Es ist ein aussterbendes Wort. Ich finde, wenn man es sagt, muss man immer leicht grinsen.

ARTE Magazin Wie bekommen Sie nach der Arbeit den Kopf wieder frei?

Jürgen Vogel Als jemand, der sieben Kinder und fünf Enkel hat, braucht es da nicht viel. Sobald ich zu Hause bin, heißt es: „Papa, hast du eingekauft?“ Es wird geschleppt oder gewischt. Da fällt es leicht, runterzukommen und zu wissen, wer ich eigentlich bin.

ARTE Magazin Was hat Sie am Drehbuch zu „Informant – Angst über der Stadt“ gereizt? 

Jürgen Vogel Ich finde die Serie wahnsinnig gut geschrieben von ­Matthias, der ja das Buch verfasst und auch Regie geführt hat. Mir gefallen die Charaktere und ich finde spannend, wie das beim Landes- und Bundeskriminalamt abläuft, einen Informanten mit migrantischem Background ohne Vorerfahrungen in ein Terrornetzwerk einzuschleusen. Die Serie erzählt ganz gut, wie weit man da gehen kann – und wie die Verantwortlichen mit ihrem Ehrgeiz, etwas zu verhindern, vielleicht auch einen Schritt zu weit gehen.

ARTE Magazin Sie haben schon oft mit ­Matthias ­Glasner gedreht und mit ihm eine Filmproduktionsgesellschaft gegründet. Was macht Ihre Zusammenarbeit aus?

Jürgen Vogel Wir haben seit 30 Jahren eine Produktionsfirma  und sind uns mit dem, was wir über Menschen erzählen wollen, sehr ähnlich. Wir wollen Zuschauer in Welten eintauchen lassen, und sie dazu bringen, mal darüber nachzudenken, wie schwierig es ist, über jemanden zu urteilen. Weil jedes Schicksal so anders verläuft. Meiner Meinung nach ist das überhaupt das Wesentliche an Filmen: Nicht umsonst wurden so viele Geschichten mit Antihelden entworfen – ob ­James Dean und das New-Hollywood-Kino, ­Elia ­Kazan oder später ­Martin ­Scorsese –, über Menschen, die ganz viel falsch machen und uns nahebringen, wie das Leben, wie die Realität wirklich ist. Ich möchte Figuren spielen, die am Abgrund stehen. Weil ich glaube, dass wir gerne von oben herab urteilen und uns nie vorstellen können, selbst abzustürzen. Aus Filmen oder Serien kann man lernen, seine Vorurteile zurückzunehmen und zu akzeptieren, dass das Leben manchmal merkwürdige Wege geht. Wir Menschen sind zu allem fähig – das ist wohl die Grundaussage von Projekten, die ­Matthias und mich verbinden.

Informant – Angst über der Stadt

Serie

ab Donnerstag, 10.10.
— 20.10 Uhr
bis 7.1.25
in der Mediathek

ARTE Magazin Für Ihren gemeinsamen Film „Gnade“ aus dem Jahr 2012 waren Sie ein halbes Jahr am Eismeer. Gehen Sie beim Drehen gerne an Ihre Grenzen?

Jürgen Vogel Generell glaube ich, dass man, um eine Welt zu erzählen, sich tatsächlich an solche Orte begeben sollte. In Norwegen war die Kälte von −25 bis −35 Grad Celsius für das ganze Team echt krass. Da lernst du Unterwäsche lieben. Aber wir wollten eben nicht nur hollywoodmäßig aus dem Studio mit Styroporschnee mal ein bisschen Nordpol spielen.

ARTE Magazin In der neuen Serie spielen Sie den LKA-Mann ­Gabriel Bach. Was ist er für ein Typ?

Jürgen Vogel Das ist schon ein Sonderling, ein besonderer Geist, den ich aber gut nachvollziehen kann. Was ich spannend finde, ist seine Labilität und doch wahnsinnige Stärke und Sturheit. Er hat eine kurze Zündschnur, was seine Bereitschaft angeht, Dinge mit Gewalt zu lösen. Im Milieu gilt das Recht des Stärkeren, und das hat er einfach zu lange gemacht.

ARTE Magazin Über seine verdeckte Ermittlung sagt Bach: „Wenn man mal dort war, ist man nie wieder ganz hier.“ Nehmen Sie auch etwas von Ihren Rollen mit?

Jürgen Vogel Jede Figur hat auch was mit mir zu tun. Es ist wie eine Kiste, in die man greift, und die man danach wieder zumacht. Aber sie ist nicht weg, und sie war von Anfang an da. Und jede Rolle gibt einem die Möglichkeit, eine andere Kiste von sich selbst zu öffnen. Manchmal ist es auch andersherum: Die Figuren nehmen was von mir mit, das sie zeitlos mit sich tragen.

Jede Figur hat auch etwas mit mir zu tun

Jürgen Vogel, Schauspieler
Spielszene: Gabriel (Jürgen ­Vogel) und ­Raza (­Ivar ­Wafaei) in „Informant“
Gabriel (Jürgen ­Vogel) und ­Raza (­Ivar ­Wafaei) in „Informant“, 2024. Foto: Friede Clausz / NDR

ARTE Magazin Für den Seelenzustand einer Figur lassen Sie auch mal die Hosen runter, haben Sie gesagt. Was hat Sie an Bach bewegt?

Jürgen Vogel Ich mag, dass er so gebrochen ist. Das ist mir immer wahnsinnig nah, ich finde das menschlich. Ich kann sehr gut mit Schwächen von anderen umgehen. Fehlerhaftigkeit ist mir prinzipiell sympathisch.

ARTE Magazin Inwiefern?

Jürgen VogelVorzugeben, alles richtig zu machen, ist unehrlich. Heute zeigt kaum noch jemand eine klare Haltung. Offen zu sagen, wir haben Probleme und wissen selbst nicht genau, wie wir sie lösen sollen, oder sich für Fehler zu entschuldigen, das wäre mal eine ehrliche Ansage. Es gibt eine berechtigte Wut und Unzufriedenheit. Wir müssen wieder eine Einheit sein und dürfen keine Spaltung zulassen. Das betrifft uns alle. Sich da rauszunehmen, ist scheinheilig. Unsere Verantwortung als Gesellschaft ist es, die Menschen abzuholen. Zu glauben, dass wir eh alle verloren sind, halte ich für falsch.

ARTE Magazin Das Skript der Serie ist nah an der Realität – erst kürzlich mussten Konzerte von Taylor Swift in Wien wegen einer Terrorwarnung abgesagt werden. Lassen Sie sich von solchen Nachrichten beeinflussen?

Jürgen VogelUns muss bewusst sein, dass Dinge, die auf der Welt passieren, auf eine gewisse Art auch zu uns kommen. Das hat sich klar gezeigt. Das heißt, mit dieser Angst oder diesem Zustand leben wir – und müssen darüber nachdenken, wie man diese Situation grundsätzlich verhindern kann.

Mitglieder der Hansen Band
Für den Film „Keine Lieder über Liebe“ gründete ­Vogel 2005 mit dem Label Grand Hotel van Cleef die Hansen Band mit ­Felix ­Gebhard, Max ­Schröder, Thees Uhlmann, sowie ­Marcus Wiebusch (v. l.) und ging sechs Monate mit ihr auf Tour. Foto: Grand Hotel van Cleef / Universal

ARTE Magazin Auch die Polizeibehörden in der Serie versuchen mit allen Mitteln, einen Anschlag zu verhindern. Welche Rolle spielen Vorurteile dabei?

Jürgen Vogel Ich glaube, wir zeigen einen guten Querschnitt davon, wie es wirklich ist: Die Angst vor dem Fremden, diese extremen Vorurteile und die Fehleinschätzungen dadurch. Weil es einfach gefährlich ist, mit Vorurteilen zu arbeiten.

ARTE Magazin Inwieweit legitimiert der Kampf gegen Terrorismus Ihrer Meinung nach manche Taten?

Jürgen Vogel Das ist ganz schwierig, wenn man sieht, was in manchen Ländern gerade passiert. Die Spirale der Gewalt, aus der man nicht mehr herauskommt, ist eine große Gefahr. Diese Gewaltspirale ist die Geschichte fast aller Kriege dieser Welt. Ich sage nicht, dass man sich nicht verteidigen darf. Aber: Wie weit geht man darüber hinaus? Was ist noch Verteidigung, wo soll man aussteigen? Ich habe dafür keine einfache Antwort. Ich glaube nur, dass wir das immer wieder überprüfen müssen.

Filmszene: Birgit Minichmayr und Jürgen Vogel in
Am Set: Birgit Minichmayr und Jürgen Vogel in „Gnade“, 2012. Foto: dpa / Picture Alliance / Alamode

ARTE Magazin Matthias Glasner bezeichnet Sie als angstfrei. Stimmt das?

Jürgen Vogel Ja, schon. Privat gibt es natürlich Dinge, die mir auch Angst machen, aber davon sollte man sich nicht lenken lassen. Schauspieler haben oft Angst, nicht gemocht zu werden. Das ist mir zum Glück überhaupt nicht wichtig. Ich unterhalte einfach gerne und mag es, Menschen zum Lachen zu bringen. Weil ich finde, dass die Welt ohne Humor echt nicht auszuhalten ist.

ARTE Magazin Hat Sie das damals zum Schauspiel gebracht?

Jürgen VogelIch fühlte mich zur Schauspielerei berufen. Ich hatte den Größenwahn, zu denken, „das kann ich alles besser“ (lacht). Weil ich die Filme, die ich gesehen habe, nicht gut fand. Ich fand das Quatsch, was und wie sie über Jugendliche und Kriminelle erzählen. Dem wollte ich mich nicht beugen.