Ein Mann macht vor Publikum einen schlechten Witz über eine anwesende Frau. Deren Ehemann geht auf den Beleidiger los, verpasst ihm eine Ohrfeige und fordert ihn brüllend auf, den Namen seiner Ehefrau nicht zu beschmutzen. Was bei der Oscar-Verleihung Ende März in Hollywood zwischen dem Schauspieler Will Smith und dem Comedian Chris Rock geschah, wurde von nicht wenigen in etwa so kommentiert: „Wie romantisch! Ich wünschte, mein Partner würde mich in einer ähnlichen Situation so verteidigen.“ Aber war Jada Pinkett Smith als erwachsene Frau nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen – mit einer verbalen Reaktion oder genau mit dem sichtbar verletzten Gesichtsausdruck, den sie dem Witz zuteilwerden ließ?
Was genau soll an Gewalt romantisch sein? Galt sie „im Namen der Ehre“ nicht eben noch als vormodernes Konzept? Oder stimmt das nur für den Blick der europäischen Mehrheitsgesellschaft auf migrantische Communitys, nicht aber auf glamouröse Hollywood-Stars? Ein Mann deklariert einen Gewaltausbruch als Zeichen seiner Liebe. Jemand hat beschmutzt, was ihm gehört: seine Frau. Also verteidigt er seinen Besitz durch Zuschlagen. Das ist die Definition von toxischer Männlichkeit. Wer Frauen wirklich schützen will, muss Gewalt in jeglicher Form grundsätzlich ausschließen.
Am häufigsten richtet sich die Gewalt unter dem Deckmantel der Liebe nicht gegen männliche Widersacher, sondern gegen Frauen. Etwa, weil sie es wagen, sich von ihrem Partner zu trennen. Nicht umsonst heißt die ARTE-Dokumentation zum Thema Femizide: „Du gehörst mir! Das Muster der Frauenmorde“. Femizide, also Tötungsdelikte an Frauen oder Mädchen aufgrund ihres Geschlechts, werden jedes Jahr in bestürzend hoher Zahl von Männern aller Gesellschaftsschichten verübt, überall auf der Welt. Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein System. Die Wurzel dieses Übels ist tief sitzender Frauenhass dieser Männer. Frauenhass ist Teil unserer Kultur und so allgegenwärtig, dass ihn auch viele Frauen selbst internalisiert haben. Der Kampf gegen Misogynie ist also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zu ihrer Lösung gehört, Gewalt nicht zu romantisieren. Sie ist kein Liebesbeweis, niemals. Wenn eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wird, ist das ein Femizid – keine Beziehungstat, kein Familiendrama, kein Mord aus Leidenschaft. Es braucht Behörden, die – statt sich angesichts der Gewalt gegen Frauen zögerlich und indifferent zu zeigen – das Wohlergehen der Opfer ins Zentrum stellen.
Zur langfristigen Lösung gehört vielleicht vor allem: Männer müssen die Rollenbilder verlernen, die ihnen Überlegenheit, Dominanz und Härte abverlangen und Frauen als Menschen zweiter Klasse erscheinen lassen. Am einfachsten natürlich, sie lernen sie nie. Kein Mann kommt als Frauenhasser auf die Welt, er wird dazu gemacht! In einer Welt, in der (heterosexuelle) Männlichkeit definiert wird als alles, was nicht weiblich ist, wird schon kleinen Jungen das Weinen ab- und Gefühlskälte anerzogen. In einer Welt, in der „Mädchen“ ein Schimpfwort ist, lernen Jungen alles abzulehnen, was sie mit Weiblichkeit assoziieren. Für Jungen ist es – genau wie für Kinder jedes anderen Geschlechts – entscheidend, die ganze Palette an Gefühlen nicht nur spüren zu dürfen, sondern sie auch zu benennen und zu verstehen sowie zu lernen, angemessen mit ihnen umzugehen. Zu lernen, dass es eine Stärke sein kann, die eigene Schwäche einzugestehen. „Frauen schulden dir gar nichts“ lautet der Titel eines feministischen Bestsellers der britischen Autorin Florence Given. Es würde nicht schaden, sagten junge und ältere Männer diesen Satz an verschiedenen Punkten ihres Lebens immer wieder laut vor sich hin: im häuslichen Zusammenleben mit Frauen, bei der Arbeit, beim Dating, beim Ausgehen. Und ja, auch bei Trennungen.
„Ehrt die Toten, hört den Lebenden zu“, so die eindringliche Mahnung, mit der feministische Gruppen ein Bewusstsein für das Muster hinter Femiziden zu schaffen versuchen. Den Lebenden zuhören bedeutet allerdings, schon dann wachsam zu sein, wenn man Gewalt bei den eigenen Freundinnen und Freunden beobachtet, bei Nachbarn, auf der Straße – oder bei Oscar-Verleihungen.