Eine innige Liebe zu Wurstsemmeln, panische Angst vor Hunden und eine grantige Art – das verband man mit Bezirksinspektor Ernst Stockinger, eine Figur aus den ersten beiden Staffeln der österreichischen Krimiserie „Kommissar Rex“ (1994–1996). Diese Rolle markiert Karl Markovics’ Fernsehdebüt – vor genau 30 Jahren. Mittlerweile hat sich der Österreicher international einen Ruf als Charakterschauspieler erarbeitet, er schreibt Drehbücher und führt Regie. Mit dem ARTE Magazin spricht Karl Markovics über sein jüngstes Werk, den Krimi „Das Schweigen der Esel“ (2023).
ARTE Magazin Herr Markovics, in „Das Schweigen der Esel“ geschehen Mordfälle, die angelehnt an „Die Bremer Stadtmusikanten“ inszeniert wurden. Sind Sie ein Liebhaber der Grimmschen Märchen?
Karl Markovics Ich wollte „Die Bremer Stadtmusikanten“ schon lange als Krimi aufbereiten, die Erzählung in die Erwachsenenwelt holen. Märchen sind Schutzräume, spiegeln aber die reale Welt wider, auch in ihrer Bedrohlichkeit. Als die Idee zur Fortsetzung meines Landkrimis „Das letzte Problem“ von 2019 aufkam, dachte ich mir, dass das Märchen zum kruden Denken des Protagonisten Jonas Horak fabelhaft passen würde.
ARTE Magazin Sie selbst spielen Jonas Horak. In „Das letzte Problem“, der ebenfalls im Januar bei ARTE zu sehen ist, wird er wegen Mordes verhaftet. Nun hilft er in „Das Schweigen der Esel“ Polizistin Sophie Landner (Julia Koch) vom Gefängnis aus, einen Serientäter zu schnappen. Ist Horak ganz der Alte?
Karl Markovics Er hat einen erstaunlichen Prozess durchgemacht: Wir haben hier einen Menschen, der seine eigene Neurose und Psychopathie kuriert hat. Er findet eine Zeit lang seinen Garten Eden im Gefängnis, eingebunden in Routinen und Struktur. Aber das Paradies ist bekanntlich erkenntnisfrei – das merkt er, als die Polizistin Sophie Landner nach seiner Expertise fragt. Langsam kommt seine zweite Persönlichkeit Freitag, gespielt von Stefan Pohl, wieder durch. Die Zuschauer kennen ihn bereits aus dem ersten Teil als Partner von Horak.
ARTE Magazin Ist die Beziehung zwischen Horak und Freitag eine Anlehnung an den 1719 erschienenen Roman „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe?
Karl Markovics Genau, das ist eine sehr schöne Assoziation, mit der Daniel Kehlmann, der Drehbuchautor des ersten Landkrimis, gespielt hat. Horak macht sein zweites Ich zum Partner seiner Ermittlungen. Erst ist Freitag sein Untertan, doch am Ende des Films zeigt sich, dass er der wahre Strippenzieher ist. Ein Rezensent schrieb, dass unser Film ihn animiert hätte, „Robinson Crusoe“ neu zu lesen. Seiner Ansicht nach bildet Robinson sich den schiffbrüchigen Freitag lediglich ein, weil er an Einsamkeit leidet. Die innere Einsamkeit lässt Menschen überhaupt die verrücktesten Dinge erschaffen.
ARTE Magazin Wie fühlt es sich an, Schizophrenie und Psychopathie komödiantisch darzustellen?
Karl Markovics Die Neugier ist mein Triebwerk: Ich finde es zuallererst wahnsinnig spannend und reizend. Doch es braucht die Gruppenleistung, um so etwas überzeugend darzustellen. Idealerweise entwickelt jede Szene ein Eigenleben. Bei den Dreharbeiten haben wir vieles abgewandelt, weil die Ideen im ganzen Team nur so sprudelten – und das rundet die Dramaturgie erst ab.
ARTE Magazin Ihre Landkrimi-Reihe spielt im österreichischen Vorarlberg – und auch der Cast besteht fast ausschließlich aus Vorarlbergern. Wie kommt’s?
Karl Markovics Diese Filme heißen nicht umsonst Landkrimis. Sie beschränken sich auf eine spezifische Umgebung – ein authentischer Dialekt ist da ein Muss. Die Vorarlberger sind für uns Wiener und selbst für die Tiroler ein ganz eigener Menschenschlag. Ich wollte nicht einfach irgendjemandem einen Hut mit Gamsbart aufsetzen und diesen als Bauern verkaufen. Dadurch haben wir auch Schauspieler im Team, die wir erst zu solchen gemacht haben, wie Valentin Sottopietra in der Rolle des Kriminalkommissars Lutz Seeger. Er ist eigentlich Geschäftsführer einer Personalagentur. Aber wenn ich etwas kann, dann sehen, wer welche Begabung hat.
ARTE Magazin Sie sind bekannt aus „Babylon Berlin“, gewannen internationale Preise und wurden für die Emmy Awards als bester Schauspieler in „Franz Fuchs – Ein Patriot“ (2007) nominiert. Was hält Österreich noch für Sie bereit?
Karl Markovics Es ist gar nicht so sehr ein Land, sondern besonders Europa, für das mein Herz schlägt. Für kein Geld der Welt würde ich die kreative Freiheit, die wir auf diesem Kontinent haben, aufgeben. Die Massentauglichkeit meiner Werke ist mir egal, genau wie meine eigene Bekanntheit. Ich will spielen und ausprobieren dürfen – ein Nischenformat wie der Landkrimi ist da genau das Richtige.
Zur Person
Karl Markovics, Schauspieler
Der 60-jährige Wiener überzeugt sowohl international in der Komödie „Grand Budapest Hotel“ (2014) als auch national in der Serie „Babylon Berlin“ (seit 2017). Außerdem führt er Regie, etwa bei den Kinofilmen „Atmen“ (2011) und „Nobadi“ (2019)“.