Corinna Harfouch lacht und sagt: „Ob Sie es glauben oder nicht – ich finde es richtig gut, eine ältere Schauspielerin zu sein.“ Sie hält kurz inne und ergänzt: „Eine ältere Schauspielerin, die noch besetzt wird!“ Ihr Alter ermögliche es ihr, Frauen in ihrer „unendlichen Vielzahl und Differenzierung“ zu zeigen und ihre eigene Lebenserfahrung in die Rollen einfließen zu lassen. „Da sind warmherzige Frauen dabei, chaotische Frauen, scheinbar kalte und bösartige Frauen.“ Gerade Letzteren verleiht Harfouch in ihrer Darstellung eine verletzliche Tiefe und Zerrissenheit. So auch im Film „Lara“ von Jan-Ole Gerster („Oh Boy“, 2012). Sie spielt darin eine Frau, die an ihrem 60. Geburtstag auf ein einsames, vermeintlich unerfülltes Leben zurückblickt und auf geradezu hilflose Art und Weise versucht, daran noch etwas zu ändern. Mit dem ARTE Magazin spricht die Schauspielerin über diese herausfordernde Besetzung und über Frauenklischees in der deutschen Filmlandschaft.
arte Magazin Frau Harfouch, spielen Sie ein Instrument?
Corinna Harfouch Nein, ich komme aus einem Elternhaus, das nicht im Geringsten etwas mit Musik zu tun hatte.
arte Magazin Haben Sie es denn je bereut, kein Instrument gelernt zu haben?
Corinna Harfouch Oh ja, bereut habe ich das immer wieder. Aber es gäbe so viel zu bereuen im Leben. Irgendwann muss man auch einfach damit aufhören. Und einen Bezug zur klassischen Musik habe ich trotzdem schon als Kind entwickelt. Das war eine Art Protest gegen mein Umfeld, eine Abgrenzung von den Eltern, wie alle jungen Menschen sie brauchen – in meinem Fall waren es die klassische Musik und das Theaterspielen. Ich weiß noch, ich habe die einzelnen Stimmen der Musikstücke zu Hause getanzt.
arte Magazin Auch für die Protagonistin im Film „Lara“ spielt die klassische Musik eine tragende Rolle. Wie würden Sie die Figur beschreiben?
Corinna Harfouch Lara befindet sich in einem sehr einsamen Kampf, der offensichtlich bereits in der Kindheit angefangen hat. Hier sehe ich tatsächlich eine kleine Parallele zu mir – Lara kommt auch aus einer familiären Umgebung, die nichts mit Musik zu tun hatte. Und trotzdem hat sie sich als Kind aufgemacht und das Gewohnte verlassen, um Klavier zu spielen. In der Szene mit ihrer Mutter wird für mich deutlich, dass sie dabei nie ernst genommen oder unterstützt wurde, weder als Kind noch als Erwachsene. Ihr Kampf war und ist unendlich einsam.
arte Magazin Und doch bekommt man nicht gerade den Eindruck, dass sie die Musik liebt.
Corinna Harfouch Sie liebt und hasst sie zugleich.
arte Magazin Warum?
Corinna Harfouch Die Musik wird zum Leistungsmaßstab, und Lara legt einen so fürchterlichen Ehrgeiz an den Tag, dass sie in der Musik nicht mehr aufgehen kann. Es geht nur noch um Richtig oder Falsch. Und weil sie ihre eigenen, völlig irren Maßstäbe nicht erfüllen kann und aufgibt, hasst sie sich irgendwann selbst und überträgt das auf die Menschen in ihrer Umgebung. Die wenden sich alle nach und nach von ihr ab. Lara bewegt sich in einer Art Kasten, in dem sie ihre inneren Kämpfe austrägt. Nach außen kann sie diese aber nicht kommunizieren, da wirkt sie nur herrisch, hochmütig und unverschämt. Eigentlich ist der ganze Film eine Hommage an diese einsamen, bösartigen Menschen, die uns unbegreiflich sind; die sich selbst ins Aus geschossen haben. Und für die man sich wünscht, jemand käme und würde sie erlösen.
arte Magazin Lara ist nicht die erste ambivalente, scheinbar harte und unsympathische Frau, die Sie spielen. Vermeiden Sie bewusst Rollen, die Frauenklischees entsprechen – wie etwa die liebevolle, sich für ihre Kinder aufopfernde Mutter oder die von einem Mann schlecht behandelte Frau?
Corinna Harfouch Tatsächlich habe ich meiner Agentur irgendwann gesagt, dass ich keine dieser Rollen mehr spielen möchte – die traurige Frau, die im Alter entsorgt wird und eingeht wie eine Primel; die ihr Leben vollkommen auf ihren Mann bezogen hat und dann verlassen wird. Ich möchte nicht mehr teilhaben an dieser Art von Frauenerzählung. Das widerspricht völlig meiner eigenen Wahrnehmung. Die Frauen in meiner Umgebung sind nicht so.
arte Magazin Sicherlich sind aber auch nicht alle wie Lara oder Gudrun, die Protagonistin in Ihrem aktuellen Kinofilm „Das Mädchen mit den goldenen Händen“, oder?
Corinna Harfouch Nein, mein Umfeld ist nicht voller verhärmter, böse gewordener Frauen. Da sind Frauen, die kreativ und unabhängig sind, die Freude am Leben haben und auch im Alter noch mal loslegen. Was Frauenfiguren wie Lara oder Gudrun angeht, so ist es natürlich auffällig, dass ich diese Sorte Rolle recht oft angeboten bekomme. Ich möchte auch nicht nur solche Figuren spielen. Aber ich finde es spannend, zu versuchen, diese tiefgründigen, vielschichtigen Frauen und ihre Kämpfe verständlich zu machen. Gerade starke und erfolgreiche Frauen werden von der Gesellschaft oft missverstanden. Frauen haben mehr zu bieten als diesen komischen Kitsch, den es noch viel zu oft da draußen gibt.
arte Magazin Filme wie „Lara“ steuern ja ganz gut dagegen – eine ältere Frau, die dann auch noch als Antiheldin den gesamten Film trägt. Haben Sie das Gefühl, die Darstellung von Frauen im deutschen Film ist im Umbruch?
Corinna Harfouch Fälle wie „Lara“ sind, glaube ich, nach wie vor die Ausnahme, leider. Und obwohl es heutzutage viele Bemühungen gibt, Frauen im Film sichtbarer zu machen, etwa durch die Gründung von Frauennetzwerken, wird inhaltlich in der breiteren Masse noch mit vielen Klischees und klassischen Rollenbildern gearbeitet. Da geht es am Ende nicht um Frauen und wie sie dargestellt werden, sondern um Erfolg und Einschaltquoten. Selbst wenn Frauen in den Redaktionen sitzen. Im Theater passiert da mehr, glaube ich.
arte Magazin Haben Sie ein Beispiel?
Corinna Harfouch Anna Bergmann etwa, die Schauspieldirektorin am Karlsruher Staatstheater, hat in ihrem ersten Jahr bewusst nur mit Frauen gearbeitet. Und Stücke über Frauenproblematiken auf die Bühne gebracht. Die ganze Theaterwelt hat erst einmal aufgestöhnt, aber sie hat es durchgezogen. Ich finde das großartig. So einen Schritt zu gehen, um langfristig dafür zu sorgen, dass eine größere Präsenz von Frauen zur Normalität wird. Ich spiele ja selbst viel Theater – in meinem Arbeitsumfeld gibt es so viele junge Kolleginnen, die etwas zu sagen haben und ihren Weg selbstbestimmt gehen.
arte Magazin Das schaffen offensichtlich nicht alle Menschen. Jan-Ole Gerster beschrieb seinen Film „Lara“ als das „Drama eines falsch gelebten Lebens“.
Corinna Harfouch Im Falle des Films lässt sich die Protagonistin durch ihren Perfektionismus von dem Weg, den sie mal ursprünglich gehen wollte, abbringen. Es gibt viele Faktoren, die einen vom Weg abbringen können – Karrieredenken, Geld, Alltag.
arte Magazin Haben Sie Ihr Leben bisher „richtig“ gelebt?
Corinna Harfouch Mein Beruf gibt mir schon immer das Gefühl, zu leben. Seit dem ersten Mal, als ich als Kind auf einer Bühne stand. Da gab es kein Richtig oder Falsch, ich konnte einfach sein. Und ganz verschiedene Dinge tun, die im restlichen Leben nicht möglich waren. Ich habe mich frei gefühlt. Und ich stelle mir vor, dass es Lara mit Sicherheit auch so ging, als sie als Kind zum ersten Mal am Klavier saß und gespielt hat.
Frauen haben mehr zu bieten als Kitsch