Als vor gefühlt zwanzig Jahren, tatsächlich aber erst vor etwas mehr als einem Jahr, die Welt auf einmal auf den Kopf gestellt wurde von einem unbekannten Virus, herrschte Fassungslosigkeit. Was passiert da? Niemand konnte es so recht erahnen. Stellt man sich nun das Jahr 2050 vor, so könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Corona-Pandemie sehr gut im kollektiven Gedächtnis verankert sein wird. Unter anderem deshalb, weil wir seit Monaten nichts anderes tun, als uns diese Pandemie zu erzählen. Das geschieht auf den offiziellen Kanälen, also in den Zeitungen, auf den Websites, in den Fernsehnachrichten, den Talkshows. Es geschieht aber auch auf der zweiten Ebene, auf der subkutanen Medienebene, also etwa in den Whatsapp-Chats, den Twitter-Feeds, in denen man sich kurze Clips und Memes schickt und die meistens durch etwas funktionieren, mit dem herkömmliche mediale Darstellungen eher wenig anfangen können: Humor.
Humor ist, wenn man so will, das Schmiermittel dieser Kurzgeschichten. Oder, etwas wissenschaftlicher ausgedrückt: „Witze sind Mikrogeschichten, die eine Pointe haben. Durch diese Mikronarrative übersetze ich diffuse Angst in konkrete Furchtszenarien, die ich in meine Lebenswelt einbauen kann, zu denen ich mich verhalten kann und die damit auch ihren Schrecken verlieren.“ So sagt es der Medienwissenschaftler Lars Koch. Er ist einer der Experten, die in der ARTE-Dokumentation „Viraler Humor“ erklären, inwiefern uns Humor helfen kann, mit dieser schwierigen, ermüdenden und traurigen Zeit umzugehen.
Eine Frage, die sich seit dem Beginn der Corona-Pandemie ebenfalls stellt, ist die Frage nach dem „Warum“. Es gehört zu den fundamentalen menschlichen Bedürfnissen: zu wissen, warum etwas geschieht. Denn wenn es keinen Grund gibt, dann bleiben nur noch Chaos und Angst. Erst das „Warum“ sorgt dafür, dass wir scheinbar kontingenten Ereignissen einen Rahmen geben können. Die Frage nach den Gründen, nach den Motiven ist daher auch ein zentraler Aspekt jeder guten Geschichte. Folgt man der britischen Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney, ist genau das das Problem an einer Pandemie: Es gibt kein „Warum“. Das sei aber nur einer der Gründe, warum sich Pandemien so schlecht erzählen lassen, meint Spinney, deren Buch über die Spanische Grippe von 1918 dieses Jahr so aktuell wirkte, dass es wieder auf die Bestsellerlisten sprang. Sie hätten auch keinen klaren Anfang und kein klares Ende, keinen eng gefassten Ort und der Gegner, das Virus, ist nicht einmal sichtbar. Diese Nichterzählbarkeit von Pandemien nun, so Spinneys einleuchtende These, führe dazu, dass sie früher sehr schlecht ins kollektive Gedächtnis einsickerten. Obwohl die Spanische Grippe mehr Tote gefordert hat als der Erste Weltkrieg, wisse man erschreckend wenig darüber.
Hüttengaudi im Lockdown
Ein Mann setzt seine Skibrille auf, man sieht ihm die Aufregung an, die Vorfreude, gleich geht es los. Die Bergkulisse ist atemberaubend schön. Er lehnt sich nach vorne – und fällt dann vom Sofa, verheddert sich mit den Skiern in den Kissen. Die Kamera zoomt raus, man erkennt: Die Bergkulisse war nur ein Poster an der Wand im Wohnzimmer. Lockdown-Humor. Es sind genau solche Clips, die man vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie, als die Ausgangsbeschränkungen noch neu waren, hin- und herschickte. Hast du den schon gesehen? Schau mal, das hier ist lustig! Je länger die Beschränkungen galten und je strenger sie waren, wie zum Beispiel in Frankreich, desto schwärzer wurde der Humor. Ein ausgehobenes Grab, dazu der Text: „Quarantäne Tag 16. Die Stimmung zwischen mir und meiner Frau ist etwas angespannt. Um mich zu beruhigen, habe ich angefangen zu gärtnern.“ Mit Humor, vor allem auch mit schwarzem Humor, sagt der Traumaforscher Ulrich Sachsse, holen wir das Unbegreifliche aus der Machtposition heraus und machen uns zum Souverän.
Natürlich wurde schon zur Zeit der Spanischen Grippe versucht, mit Witzen das unsichtbare und daher unbegreifliche Grauen einzuhegen. Eine Karikatur aus der Zeit zeigt zwei Männer, der eine normal gekleidet mit Hut und Stock, der andere mit einer furchterregenden Gasmaske. Der eine fragt: „Hast du Angst vor einem Gasangriff?“ Die Antwort: „Nein, ich gehe mir Carmen in der Oper angucken.“ Der große Unterschied zu heute ist, dass sich Karikaturen als Memes im Internet viel schneller, eben viraler verbreiten. Und auch nicht nur gesendet werden: Die Witze, Sketche und Snippets werden bearbeitet, kommentiert, weitergeschickt. So entsteht ein gigantisches Netz humorvoller Kommunikation. Wir erzählen uns die Corona-Pandemie und alle ihre Nebenwirkungen quasi permanent live, während wir noch mittendrin stecken. Und so ist es gut denkbar, dass die Corona-Zeit in Zukunft keine unbestimmte, halb vergessene Episode der Menschheitsgeschichte bleiben wird, an die man sich kaum noch wird erinnern können. Unter anderem deshalb, weil wir auch darüber lachen konnten.