Sie sind zwei ungleiche Unverstandene: der russische Maler Kasimir Malewitsch (1879–1935) in seiner Epoche und der Kunstdieb Vincent, der doch selbst ein bedeutender Künstler sein wollte. Die Wege der beiden kreuzen sich – zumindest indirekt – in der Krimikomödie „Das schwarze Quadrat“, die ARTE im Mai zeigt. Das titelgebende Objekt der Begierde, ein schwarzes Viereck auf weißem Grund, malte Malewitsch im wahren Leben 1915, heute hängt das Original in der staatlichen Tretjakow-Galerie in Moskau. Im Film stehlen es Vincent und Nils – gespielt von Bernhard Schütz und Jacob Matschenz – im Auftrag eines reichen Russen aus einem Frankfurter Museum. Ein Zig-Millionen-Coup, dessen lohnendes Finale die Übergabe der Beute auf einem Kreuzfahrtschiff sein soll.
Mit dem Deal Geld gegen Quadrat will Vincent zugleich seine unrühmliche kriminelle Karriere beenden. Die war in Wahrheit nichts anderes als die Rache des verkannten Genies am Kunstbetrieb, der ihn einst verschmähte und auf die dunkle Seite trieb. Aus seiner Verachtung macht der gescheiterte Maler keinen Hehl, wenn er gegen „Pseudo-Kunst-Wichser“ und „versnobte Kritiker“ wettert und sie im Verein mit Galeristen gar zu „scheiß Nazis“ stempelt. Was immer dem Mann widerfahren ist, es reicht fürs Leben. Dass Vincent so heißt, wie er heißt: eine weitere Ironie und bei allen kunstvollen Anspielungen von Regisseur und Drehbuchautor Peter Meister kaum ein Zufall.
Ebensowenig wie die Wahl des Werks, um das sich alles dreht. Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ polarisierte schon in seiner Entstehungszeit. Erstmals zu sehen war es in der avantgardistischen Ausstellung „0, 10“ in Petrograd, wie Sankt Petersburg nach Beginn des Ersten Weltkriegs hieß. Noch herrschte der Zar, doch Revolution lag in der Luft. In rascher Folge entstanden künstlerische Stilrichtungen. Kubismus und Futurismus verschmolzen in Russland zu Kubofuturismus. Dann aber trat Kasimir Malewitsch an, die Bilder endgültig von jeder Gegenständlichkeit zu befreien. Suprematismus nannte er seine mit reichlich Theorie unterfütterte neue Kunst. Und das kleine Ölbild mit dem schwarzen Viereck, knapp 80 mal 80 Zentimeter im Format, war für ihn „die nackte Ikone“ seiner Zeit. Folgerichtig hing es an jener Stelle im Raum, die in russischen Wohnungen den orthodoxen Heiligenbildern vorbehalten war.
KLISCHEES ÜBER ABSTRAKTES
Was vor gut 100 Jahren Kritiker und Gesellschaft verstörte, reicht noch heute für die Klischeeweisheit über abstrakte Malerei schlechthin: Das kann doch je- des Kind – oder sogar besser. Fast mitleidig bescheidet ein Security-Mitarbeiter Filmgauner Vincent beim Kontrollblick in den Koffer mit dem Malewitsch: „Meine Tochter ist vier, die kann Häuser und Bäume.“ Nicht der letzte Tiefschlag, den der Gemäldedieb vorm angepeilten Ruhestand einstecken muss. Denn der Galeristen- und Kritikerhasser zeigt sich im Lauf der skurrilen Story zwar als enttäuschter, aber immer noch inniger Verehrer der Künste. Nach 30 Jahren Enthaltung greift er sogar wieder zum Pinsel. Notgedrungen zunächst, weil erst das echte Malewitsch-Quadrat und dann die eiligst improvisierten Kopien an Bord des Schiffes verschwinden. Später aber wird die schon beerdigte Passion erneut zur Leidenschaft, wenn Vincent auf die undurchsichtige Martha (Sandra Hüller) trifft. Eine vermeintlich Verbündete im Geiste, die für Kunst über Leichen geht – oder doch nur für den schnöden Mammon?
Dass auch die Kreuzfahrt-Crew beim Katz-und-Maus-Spiel um wertvolle und weniger wertvolle Bilder mitmischt, macht die Sache nicht einfacher. Und öffnet der Komödie Raum für weitere Spitzen. Denn die fiktive „MS Atlantik“, auf der Jäger und Gejagte einander in bester Cluedo-Manier ausgeliefert sind, ist ein wahres Anti-Traumschiff. Weder strahlt ein Kapitän Silbereisen mit dem polierten Tafelbesteck um die Wette, noch sorgt sich eine warmherzig-patente Chefstewardesse ums Wohl der Passagiere. Eher fühlt man sich an David Foster Wallaces (1962–2008) beißend-spöttischen Reportageband „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ erinnert, der Kreuzfahrten schon vor mehr als 25 Jahren als besonders perfide Vorhölle schilderte.
Auf dem Film-Dampfer ist Cruise Managerin Helen (Victoria Trauttmansdorff) weniger an den Reisenden interessiert als am pomadigen Gentleman Host Levi (Christopher Schärf), der beruflich alleinreisende Damen unterhält und sich im Bett von Bordpianistin Mia (Pheline Roggan) blamiert. Für unterirdisches Niveau bei der Bordunterhaltung steht einmal mehr Vincent – unfreiwillig. Sein Auftritt im Bowie-Kostüm ist, je nach Perspektive, Tief- oder Höhepunkt. Und wenn er „It ain’t easy“ ins Mikro krächzt, weiß man: Das scheinbar Leichte kann so schwer sein, in der Kunst wie in der Komödie.