Die Stimme von Kurt Waldheim reist noch immer durchs All – gespeichert auf den Golden Records, den Datenplatten für die intergalaktische Mission der Voyager-Raumsonden. „Im Namen der Völker“ entsandte der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen 1977 seine universelle Grußbotschaft „auf der Suche nur nach Frieden und Freundschaft“. Zehn Jahre später, während die Audio-Nachricht unterwegs in die Unendlichkeit war, verengte sich Waldheims Radius auf der Erde beträchtlich. Gebrandmarkt als „mutmaßlicher Kriegsverbrecher“, wurde der inzwischen zum österreichischen Bundespräsidenten gewählte Politiker 1987 von den USA faktisch mit einem Einreiseverbot belegt. Auch viele andere Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, mieden ihn fortan konsequent.
Ein beispielloser Vorgang zwischen westlichen Demokratien und ein Sockelsturz ins Bodenlose, den der ARTE-Dokumentarfilm „Waldheims Walzer“ minutiös nachzeichnet. Auslöser für den politischen Skandal und den internationalen Bann gegen Kurt Waldheim waren Berichte über seine Rolle in der NS-Diktatur sowie als Wehrmachtsoffizier im Zweiten Weltkrieg im Vorfeld der österreichischen Präsidentschaftswahlen 1986. Zunächst hatte die österreichische Zeitschrift Profil Dokumente veröffentlicht, aus denen hervorging, dass Waldheim nach der als „Anschluss“ bezeichneten Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich im März 1938 Mitglied in NS-Organisationen war. Kurz darauf präsentierte der Jüdische Weltkongress in New York Belege dafür, dass Waldheim mindestens nähere Kenntnisse von Partisanen-Exekutionen im damaligen Jugoslawien sowie von Juden-Deportationen in Griechenland 1943 gehabt haben musste. Waldheim selbst bestritt jegliche Mitwisser- und -täterschaft. Bei der Wehrmacht habe er lediglich „seine Pflicht erfüllt, so wie Hunderttausende andere Österreicher auch“. Und irgendwelche Mitgliedschaften seien im Zweifel von Verwandten ohne sein Wissen eingetragen worden. Als Soldat sei er früh verwundet worden und habe sich während der weiteren Kriegsjahre seinem Jurastudium in Wien gewidmet. Immer neue Enthüllungen tat Waldheim als „Verleumdungskampagnen“ ab.
Angesichts der Verschleierungstaktik des Präsidentschaftskandidaten der Östereichischen Volkspartei (ÖVP) ätzte der damalige Bundeskanzler der Alpenrepublik, Fred Sinowatz (SPÖ), im ORF-Fernsehen: „Wir nehmen also zur Kenntnis, dass er nicht bei der SA war, sondern nur sein Pferd bei der SA gewesen ist.“ Konsequent trat Sinowatz am Tag nach Waldheims Wahl zum Staatsoberhaupt zurück. Mit der Parole „Jetzt erst recht!“ und einer Wagenburg-Mentalität hatte der ÖVP-Mann gesiegt – gegen die Proteste vor allem Jüngerer. Auf deren Vorwürfe der österreichischen Mitschuld an NS-Verbrechen reagierten Waldheims Anhänger mit Diffamierungen und unverhohlenem Antisemitismus. Bis heute gilt die „Waldheim-Affäre“ als Zäsur im Land.
Überproportional viele KZ-Kommandanten aus Österreich
Als „Vulkanausbruch“ bezeichnet die Schriftstellerin und Journalistin Eva Menasse im Gespräch mit dem ARTE Magazin die Ereignisse von 1986. Durch sie seien die Nazi-Verstrickungen des Landes „erst richtig hochgekommen. Die Alten wurden noch mal damit konfrontiert, und die Jungen waren fassungslos über all das, was unter den Teppich gekehrt worden war.“ Für die Autorin, die die Affäre literarisch im Familienroman „Vienna“ (2005) verarbeitete, markiert die Zeit „das Einsetzen meines politischen Bewusstseins“. Damals habe sie es gehasst, rückblickend aber sei die gewonnene Wahl wichtig gewesen, „sonst hätte es diese kathartische Wirkung nicht gegeben“, findet Eva Menasse. Die Haltung der Gesellschaft und der offiziellen Politik habe sich danach radikal gewandelt. Die Österreicher hätten die Überzeugung abgelegt, „erstes Opfer Hitlers“ gewesen zu sein. „Es gibt heute niemanden mehr aus der gesellschaftlichen Mitte, der bestreiten würde, dass Österreicher Täter waren.“ Sie seien sogar überproportional im NS-System – etwa unter KZ-Kommandanten – vertreten gewesen. Mit Blick auf Kurt Waldheim stellt sich Eva Menasse eine ganz andere Frage: „Wie ist es möglich, dass dieser Mann zehn Jahre lang UN-Generalsekretär war?“