Labyrinthe des Träumens

HYPNOTISCH David Lynch ist ein Meister der Albträume. Mit seinem  Mystery-Thriller „Mulholland Drive“ führt der US-amerikanische Filmemacher in das finstere Herz von Hollywood.

Foto: Dylan Coulter/Guardian/Eyevine/Laif

Wenn von Hollywood die Rede ist, fällt oft das Wort „Traumfabrik“. Die US-amerikanische Filmindustrie, so das Klischee, ist weltweit so erfolgreich, weil sie es schafft, das Publikum aus dem grauen Alltag auf die Sonnenseite des Lebens zu entführen, in eine Welt der Schönen, mit Geschichten, die ohne ein Happy End nicht denkbar sind. Dass Hollywood auch selbst diesem Bild entspricht, trägt zu der Macht dieser Vorstellung sicher eine Menge bei: ein Stadtteil in Los Angeles, in dem viele Straßen von Palmen gesäumt sind und in dessen Hügeln ein Haus ohne Pool eher eine Seltenheit ist. Aber auch die Traumfabrik hat ihre dunklen Seiten – die wohl nirgends deutlicher und unheimlicher in Erscheinung treten als in den Filmen von ­David Lynch. Er ist der Regisseur im US-amerikanischen Kino, der besonders deutlich auf die Rückseite des Glamours geschaut hat. In seinem zentralen Film „Mulholland Drive“ (2001), der in Cannes eine Goldene Palme gewann, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Hollywood in Wahrheit eine Albtraumfabrik ist.
Seit Beginn seiner Karriere beschäftigt sich Lynch mit den verborgenen Schichten der Seele. Er hat dabei stets das Unbewusste und Unheimliche in merkwürdigen Wunderkammern des Psychischen gesucht – von seinem experimentellen Debüt „Eraserhead“ (1977) bis zu seinem bisher letzten Kinofilm „Inland Empire“ (2006). Und natürlich war auch die TV-Serie „Twin Peaks“, mit der Lynch 1990 zu einem Pionier des neuen filmischen Erzählens wurde, im Kern ein Albtraum: eine Kleinstadtidylle, in der sich völlig ungeahnte Abgründe auftun.

Mulholland Drive

Mystery-Thriller
Sonntag, 19.7. • 21.50 Uhr

Archetypen des Kinos
In „Mulholland Drive“ aber trieb er es mit seiner künstlerischen Freilegung von Traumlogiken auf die Spitze: Schon der Filmtitel ist so etwas wie ein Schattenbild, ein Straßenname antwortet auf einen anderen, berühmteren. Der Sunset Boulevard ist das Ziel von Hollywood-Touristen. Der Mulholland Drive hingegen führt an weniger geläufige Orte. Man erhebt sich hier über die Stadt, deren nächtliches Häusermeer ein großartiges Bild abgibt. Man kann die Stadt und damit die Zivilisation aber auch aus dem Blick verlieren, man kann gleichsam auf der Rückseite landen.
Dieses Schicksal droht ­Betty, einer jungen Frau aus einem kanadischen Kaff. Sie kommt nach Hollywood, weil sie davon träumt, eine gute – und natürlich auch eine berühmte – Schauspielerin zu werden. Nach mehreren sich überlappenden Handlungssträngen ist jedoch bald nicht mehr klar, ob ­Betty nicht nur in der in Traumsequenzen verpackten Ersatzrealität von ­Diane existiert, die ihr äußerlich gleicht. ­Naomi Watts war damals noch nicht allzu bekannt und damit perfekt geeignet für die Doppelrolle als ­Betty und ­Diane. Sie trifft im Film auf eine Frau, die nach einem Unfall ihr Gedächtnis verloren hat und so etwas wie ihr Gegenbild ist: ­Rita ­oder Camilla – die Namen sind so trügerisch wie die Identitäten – ist dunkelhaarig und sinnlich, sie strahlt ein gefährliches Wissen aus. Alle Frauen entsprechen hier in einem modernen Sinn einem Archetyp, wie der Psychoanalytiker Carl ­Gustav Jung bestimmte Seelenbilder genannt hat, die uns mit Geschichten jenseits der eigenen Biografie verbinden. ­David Lynch arbeitet stark mit den Archetypen des Kinos, und er findet dafür in den Filmen der 1940er Jahre viele Anknüpfungspunkte: ­Rita ist eine Femme fatale, während ­Betty ein „ordinary gal“ ist, ein ganz normales Mädchen.
In der Psychoanalyse ist der Traum der Königsweg zu unseren verborgenen Wünschen. Die Tragik des Menschen liegt für ­Sigmund Freud ja darin, dass wir immer zu wissen meinen, was wir wollen – häufig aber wollen wir in Wahrheit etwas ganz anderes, nicht selten sind die Triebe auch zerstörerisch. Das Kino, wie ­David Lynch es sieht, ist eine weitere Schicht dieses Traumlebens, ein Erkenntnisweg, auf dem man aber immer mit dem Schrecken zu rechnen hat.
Das Hollywood, das Lynch in ­„Mulholland ­Drive“ freilegt, hat viele Dimensionen: eine historische, denn Los Angeles ist nun einmal eine ursprünglich hispanische Stadt, und dieses Erbe wird von einer bis heute bevorzugt von Weißen dominierten Filmindustrie immerzu verdrängt; eine kulturindustrielle und technische, die in „­Mulholland ­Drive“ durch Szenen von einer Theaterbühne und Dreharbeiten betont wird; und natürlich eine sexuelle sowie eine, in der Gewalt eine große Rolle spielt. Viele Filme führen uns an den Ursprung unserer Identität, aber nur bei David Lynch werden wir so tief in die Labyrinthe des Träumens geführt, dass nicht einmal das Aufwachen einen sicheren Halt gibt.