Selbstverständlich gibt es keinen „jüdischen Humor“ als solchen. Kommt „schwarzer Humor“ von Schwarzen? Nein. Aber es gibt Witze von Juden über Juden. Oder Witze, die Juden anderen Juden erzählen, um ihr Leben miteinander und mit anderen, die keine Juden sind, erträglicher zu machen. Die gleichen Witze, erzählt von Nicht-Juden, könnten hingegen mitunter als antisemitisch eingestuft werden. Von jüdischen Witzen heißt es oft, Nicht-Juden könnten sie nicht verstehen, während Juden immer sagen: „Das habe ich schon gehört.“ Man spielt mit Wörtern, sucht eine Pointe, ist sarkastisch, ohne zynisch oder brutal zu sein, man spiegelt die Schwäche von Charakteren wider. Und es gibt immer ein bissl Liebe in jedem Witz.
Humor ist die Waffe der Schwachen, der Unterdrückten; statt den Feind zu zerstören, macht man ihn klein. Dabei ist er selbstbezogen, das heißt, der Humor vollzieht eine 180-Grad-Wende. Ein Jude witzelt über das eigene Volk, das eigene Gemeindeleben oder seinen ureigensten theologischen Stress – daher kann ein solcher Witz nicht von Außenseitern benutzt werden. Über sich selbst kann man lachen. Ohne diesen persönlichen, intimen Kontext wird das oft als herabwürdigend verstanden, als beleidigend. Aber das ist normal bei „In-Jokes“, in jeder Gruppe. Du kannst, lächelnd, als Deutscher deinem Partner etwas sagen, das kein anderer sagen darf, und es wird als ein Liebesbekenntnis verstanden – egal, was die Wörter sonst ausdrücken.
Viele Akademiker und Psychologen haben versucht, sich in ernsthaften, langweiligen Diskursen hochtrabend über jüdischen Humor zu verbreiten. Als Theologe und Rabbiner sehe ich einige Aspekte anders. Wenn Juden wirklich anders als Deutsche sind – das ist auch schon eine Frage für sich –, dann vor allem aus theologischen Gründen. Das erklärt auch viel über Judenhass und Israelhass.
Für Juden, für das Judentum, ist diese Welt nicht die einzige, und deswegen können wir jene nicht so ernst nehmen, die behaupten, sie sei es. Für Juden gibt es nur den einen Gott, der keinen Namen und keine Form hat, und deswegen können wir die nicht ernst nehmen, die behaupten, dass ihr eigener physischer Körper oder ihr Name, ihr Ruf, ihr Status so wichtig, so unbedingt lebenswichtig oder ewig wichtig ist oder sein soll. Und auch nicht solche, die Bilder und Statuen brauchen, um ihren Gott zu erkennen. Ein Gott, den wir nicht verstehen und mit dem wir doch als auserwählte Bundespartner verpflichtet sind zusammenzuarbeiten, und sogar die Welt, die Gott geschaffen hat, noch zu verbessern. Ein Gott, der uns immer mehrere Antworten oder Lösungen gegeben und auch ein Gehirn geschenkt hat, damit wir diese selbst durchdenken sollen – dieser Gott verlangt von uns, als Juden, dass wir klar auf die Welt schauen sollen und unterscheiden, was wirklich wichtig ist und was nicht. Beziehungen zueinander, zur Familie, zu Mitarbeitern, zu Tieren und zur Welt um uns, sogar zu uns selbst – diese „Mitswot“, Gebote, sagen uns, was wichtiger ist als persönliche Lust und Ehrgeiz und Gier. Es ist egal, was du kannst und was du tust, egal, wie klug und erfolgreich du bist und wie viel du verdienst und verdienen könntest, an einem Tag in der Woche solltest du das nicht tun: Schabbat ist wichtiger. Es ist egal, wie viele hübsche Ablenkungen man findet – die eigene Ehe und Ehen von anderen sind heilig. Es ist egal, wie viele Titel du hast, du kommst von Staub und wirst zu Staub zurückkehren. 70, vielleicht sogar 80, 90 oder 100 Jahre hast du, und du sollst diese Zeit gut nutzen, sagt das Judentum. Aber wie?
Eine Existenz aus Widersprüchen
Wenn du auf Erden als bescheidener Sterblicher unter einem omnipräsenten Ewigen handelst, besteht die Existenz nur aus Widersprüchen. Wie kann man mit solchen Widersprüchen umgehen? Indem man relativiert. Alle stehen unter dem Gesetz, alle Menschen, sogar Könige, sogar Priester – und sogar Gott selbst, woran Abraham oder Moses ihn erinnern müssen, als Gott das vergessen zu haben scheint. Für die Heiden der Antike waren ihre Götter so schwach und eigensüchtig und unmoralisch wie Menschen. Für Juden gilt, dass Menschen versuchen sollten, so stark und moralisch wie Gott zu sein, sich zu verpflichten, andere zu lieben und ihnen zu helfen. Der Kontrast ist hart. Und so lacht man über diejenigen, die es nicht verstehen und nicht verstehen wollen. Man lacht, weil es nichts anderes gibt, was man sagen oder tun kann. Indem man lacht, zeigt man zumindest: Das ist einem bewusst. Ja, es gibt den Tod, ja, es gibt Dorftrottel und Schlemihle in jedem Dorf oder Schtetl. Ja, es gibt Leute, die arrogant sind, ja, es gibt existenzielle Sorgen um Geld oder Lebensunterhalt. Ja, es gibt böse Feinde, die uns hassen. Nanu, was kann man tun? Lasst uns zumindest mit einem Auge darüber lachen. Man schaut bewusst ins Unterbewusstsein, ein existenzieller Blick in die eigene Existenz. Und man hofft, alles überleben zu können. Viele schaffen es nicht. Aber lachen muss man trotzdem.
Der Autor
Walter Rothschild, Rabbiner
Der 67-jährige Rabbiner betreut jüdische Gemeinden in Deutschland und Österreich. Als Autor von Sachbüchern und Erzählungen sowie als Dozent beschäftigt er sich mit dem Judentum. Seine Erfahrungen verarbeitet er zudem als Kabarettist in satirischen Folksongs.