Der ewig Raunende

Swimmingpools voller Whiskey, Liebes­affären und religiöse Prägung: Leonard Cohens Œuvre lebt von seiner Fähigkeit, scheinbare Widersprüche zu vereinen.

schwarz-weiß Porträt von Leonard Cohen
Die „Hallelujah“-­Hymne gehört zu den absoluten Klassikern, doch ihre Entstehung war alles andere als einfach. Wie lebte der Schöpfer des Songs: Leonard Cohen? Foto: Jack Robinson / Getty Images / ZDF

Wie üblich trug Leonard Cohen Maßanzug. Im Oktober 2016 saß der kanadische Sänger und Songwriter, abgestützt auf seinem Gehstock, bei der Pressekonferenz zu seinem Album „You Want It Darker“. Er müsse etwas richtigstellen, raunte er mit dunkelster Stimme ins Mikrofon. Kürzlich habe er in einem Interview behauptet, dass er zum Sterben bereit sei. „Da habe ich wohl übertrieben. Ich habe einen Hang zur Selbstinszenierung. Die Wahrheit ist: Ich möchte für immer leben!“

Unsterblich sein – was für eine schöne, selbstironische Anmaßung für den 82-Jährigen, der an Leukämie erkrankt war und seit Monaten an seinem maladen Rücken litt. Mehrere Wirbelbrüche fesselten ­Cohen im Alter an einen spezialangefertigten medizinischen Stuhl. Sein 14. Studioalbum, das er in dieser Zeit mithilfe seines Sohnes in seinem Heimstudio in Los Angeles aufnahm, handelt nicht vom ewigen Leben, sondern vielmehr vom bevorstehenden Tod: „Hineni, Hineni, I’m ready, my Lord“, raunt Cohen im Titelsong.

„Hineni“ (hebräisch für: „Hier bin ich“) lauteten dem Alten Testament zufolge die letzten Worte ­Abrahams, als er Gott seinen Sohn Isaak opfern sollte. ­Cohen, Nachfahre einer jüdisch-orthodoxen Gelehrtenfamilie, spricht die Worte immer wieder mit Grabesstimme. „Du willst es dunkler?“, fragt er seinen Gott – und antwortet selbst: „Dann löschen wir die Flamme.“ Es war, so die allgemeine Interpretation, seine Abschiedsbotschaft, dramatisch untermauert vom Rabbinerchor der Synagoge seiner Geburtsstadt Montréal. „Sehr jüdisch – und sehr dunkel“, schrieb die Times of Israel über das Album. Die ­Süddeutsche ­Zeitung bezeichnete es als „das düsterste der Popgeschichte“. 17 Tage nach der Veröffentlichung war der Sänger tot.

Hallelujah: Leonard Cohen, ein Leben, ein Lied

Dokumentarfilm

Freitag, 20.9. — 21.45 Uhr
bis 19.10. in der
Mediathek

Ein Leben lang auf der Suche

Dunkel, düster, religiös: Wahrscheinlich kam kein Text, der je über Cohen geschrieben wurde, ohne diese Zuschreibungen aus. Blickt man auf sein Lebenswerk, zeigt sich: zu Recht. Das liegt zum einen an der tiefrauen Bassstimme, die sich im Laufe seiner Karriere immer weiter intensivierte (Cohen nannte als Begründung dafür einmal „50.000 Zigaretten und Swimmingpools voller Whiskey“). Zum anderen liegt es an den bleischweren Themen, an denen Cohen sich sein Leben lang abarbeitete: unerfüllte Liebe, menschliche Fehlbarkeit, Tod. Der Musiker suchte nach dem Sinn des Ganzen – in jungen Jahren noch als Dichter, etwa nachzulesen in seinem ersten Lyrikband „Let Us Compare Mythologies“ (1956); nach seinem Umzug nach New York City im Jahr 1967 dann – weitaus erfolgreicher – als Musiker.

Das Schreiben ging ihm nie leicht von der Hand. Das galt auch für Cohens wohl berühmtesten Song „Hallelujah“ (1984), dessen Entstehungsgeschichte ein ARTE-Dokumentarfilm im September erzählt. Drei Jahre lang feilte er an den Strophen, kritzelte 150 Notizbuchseiten voll. Dann war er zufrieden – doch seine Plattenfirma lehnte den Song ab. Dass er trotzdem zur Welthymne wurde, hatte Cohen seinem Freund Bob Dylan zu verdanken, der „Hallelujah“ 1988 in sein Repertoire aufnahm. Dylan soll später gesagt haben, dass Cohen den Literaturnobelpreis an seiner Stelle verdient hätte.

Schwarz-weiß-Poträt von Leonard Cohen.
Leonard Cohens gilt als Papst der Melancholie. Seine Texte arbeiten sich an unerfüllter Liebe, menschlicher Fehlbarkeit, Tod ab. Foto: Jack Robinson / getty images / zdf

nicht viel übrig, dafür hatte er – neben Zigaretten und Whiskey – eine andere Schwäche: die Frauen, von denen er zeitweise gerne mehrere gleichzeitig hatte. ­Suzanne, ­Marianne, ­Janice, ­Rebecca: ­Cohen besang seine Musen in sanften Hymnen, dann zog er weiter. „So Long, Marianne“ (1967) sang er zum Abschied oder „I Left a Woman Waiting“ (1977). Den Ruf als Frauenheld lehnte er dennoch ab: „Das ist ein Witz“, sagte er einmal, die meisten Nächte seines Lebens sei er einsam gewesen. Kurz vor seinem 60. Geburtstag zog ­Cohen sich schließlich, von Depressionen geplagt, in ein kalifornisches Zen-­Kloster zurück. Dort ließ sich der jüdische Gentleman, der im Maßanzug Weltruhm erlangt hatte, zum buddhistischen Mönch ordinieren. Zeitgleich hielt er weiterhin Schabbat. Das sei kein Widerspruch, sagte ­Cohen, der an seiner Rolle als spiritueller Sonderling durchaus Gefallen fand.

Als er sechs Jahre später in die Zivilisation zurückkehrte, erwartete ihn eine böse Überraschung: Seine Managerin und frühere Geliebte hatte sein Vermögen veruntreut. ­Cohen hätte verbittern können – stattdessen ging er auf Welttournee. Sein Spätwerk galt vielen als Höhepunkt seines Schaffens. Es zeigt einen Leonard Cohen, der noch so düster wirkt wie früher –und dabei so versöhnlich wie nie zuvor.