Lässt sich die eigene Sexualität von außen verändern – quasi umpolen? Eine vom Gesundheitsministerium beauftragte Expertenkommission zu den umstrittenen „Konversionstherapien“, wie pseudowissenschaftliche Methoden gegen Homo- und Bisexualität genannt werden, gab dazu unlängst eine deutliche Antwort: „Wir empfehlen ein Verbot aller Behandlungen, die auf eine Änderung der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität und der angeborenen Varianten der Geschlechtsentwicklung eines Menschen abzielen.“ Also: nein.
Noch immer soll es nach Schätzungen der Kommission in Deutschland pro Jahr bis zu 1.000 Fälle geben, in denen homo- oder bisexuellen Menschen von dubiosen Ärzten, Therapeuten oder Geistlichen eine vermeintliche „Heilung“ in Aussicht gestellt wird. Am häufigsten betroffen: junge Menschen aus einem konservativ-christlichen Umfeld. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte nun an, derartige Therapien, die indoktrinierende Gespräche, in Extremfällen aber auch Elektroschockbehandlungen und Exorzismus beinhalten, möglichst schnell gesetzlich verbieten zu wollen.
Bleibt die Frage, warum das Thema erst jetzt angegangen wird, viele Jahrzehnte nachdem die Wissenschaft festgestellt hat, dass gleichgeschlechtliche Liebe eine sexuelle Orientierung und keinesfalls eine behandlungsbedürftige Krankheit ist. Auch der Weltärztebund lehnt Konversionstherapien bereits länger ab und warnt vor den Gesundheitsschäden, die dadurch entstünden. „Diese Methoden sind ein Graubereich. Kaum ein Mediziner, Geistlicher oder Coach in Deutschland bekennt sich öffentlich zu solchen Angeboten. Das passiert meist nur auf Empfehlung und über entsprechende Netzwerke, etwa in streng religiösen Kreisen“, sagt Lieselotte Mahler, Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité und Expertin für sexuelle Orientierung und Identität. Betroffene, so Mahler, leiden nach den Behandlungen oftmals unter einem Trauma aufgrund von zwangsweise unterdrückten Gefühlen. Das Risiko für psychische Störungen und Selbstmord steige dadurch deutlich.
Wie die Dokumentation „Wie krank ist Homo-Heilung?“ nachzeichnet, gehen die angewandten Methoden meist auf Programme der Ex-Gay-Bewegung zurück, die sich ab den 1970ern – ausgehend von christlich-evangelikalen Gruppierungen in den USA – auch in Europa engagierte. „Meine Homosexualität kam mir vor wie ein wildes Tier, das ich nicht bändigen kann. Deshalb wollte ich alles Mögliche tun, damit ich in Frieden leben kann – mit mir selbst, aber vor allem mit Gott. Ich habe Möglichkeiten gesucht, wie ich dieses wilde Tier nicht nur zähmen, sondern wie ich es aus meinem Leben herausnehmen kann“, sagt Günter Baum in der ARTE-Dokumentation. Baum war in den 1990ern in die USA gereist, um am Programm „Living Waters“ teilzunehmen, einer Form der Konversionstherapie. Zurück in Deutschland half er zunächst, umstrittene Beratungsstrukturen für Homosexuelle aufzubauen, distanzierte sich aber schnell von allen Methoden der Ex-Gay-Bewegung. „Für viele war ich dann der neue verlorene Sohn“, schildert Baum, der heute Glauben und Sexualität offen lebt. Trotzdem war es vor allem die von ihm mitbegründete Organisation „Wüstenstrom“, die immer wieder in den Verdacht geriet, Konversionstherapien anzubieten. Zuletzt berichtete ein Betroffener 2015 in der Stuttgarter Zeitung: „Die wollten aus mir mit aller Macht einen Heterosexuellen machen.“ Inzwischen hat sich die im baden-württembergischen Tamm ansässige Organisation umbenannt und wird von Baums ehemaligem Weggefährten Markus Hoffmann als Verein geführt. Der gibt an, zusammen mit Kollegen jährlich rund 600 Menschen zu unterschiedlichen Themen zu beraten, nur ein geringer Teil der Anliegen habe etwas mit Homosexualität zu tun. Von Konversionstherapien und einer Umpolung der Sexualität distanzierte sich Hoffmann in mehreren öffentlichen Erklärungen. Auf Nachfrage unterstreicht der Vereinsvorsitzende: „Sexualität ist der Beratung oder Therapie nicht direkt zugänglich. Jeder, der das versucht, schadet Menschen und verwirrt sie.“ Den Vorstoß des Gesundheitsministeriums bewertet Hoffmann dennoch kritisch. Er fürchtet, dass infolge des Verbots der Konversionstherapien „jegliches Reden über Fluidität und Veränderung von sexuellem Erleben und sexuellen Orientierungen künftig nicht mehr möglich sein wird“. Charité-Oberärztin Lieselotte Mahler sieht das gänzlich anders: „Das geplante Verbot ist ein wichtiges und starkes Signal. Künftig werden Menschen, denen irgendwo zweifelhafte Methoden angeboten werden, mit einer einfachen Internetrecherche feststellen: Da stimmt was nicht.“