»Was bedeutet anders sein?«

In Max Feys Drama „Zwischen uns“ spielt Liv Lisa Fries die engagierte Mutter eines autistischen Jungen, die sich gegen Überforderung und Stigmatisierung stemmt.

Liv Lisa Fries mit rotem Tanktop
Foto: Louisa Stickelbrück

Angst, Trauer oder Freude? Für autistische Menschen sind Emotionen in Gesichtsausdrücken oft schwer zu deuten. Gerade bei Kindern kann das schnell zu Wut und Frust führen. In Max Feys Regiedebüt „Zwischen uns“ (2022) verkörpert Liv Lisa Fries die Mutter eines Jungen, der das im Autismus-Spektrum angesiedelte Asperger-­Syndrom hat. Mit dem ARTE Magazin spricht die Schauspielerin über ihren Umgang mit Andersartigkeit und darüber, wie sie nach Dreharbeiten wieder zu sich selbst findet.   

Zwischen uns

Drama

Freitag, 18.8. — 20.15 Uhr
bis 15.11. in der Mediathek

Filmszene, Frau sitzt mit Jungen auf dem Bett
Sie sind ein eingespieltes Team: Die Alleinerziehende Eva (Liv Lisa Fries) setzt sich dafür ein, dass ihr Sohn Felix (Jona Eisenblätter), der eine Autismus-Spektrum-Störung hat, selbstbestimmt leben kann. Doch der 13-Jährige kämpft damit, ständig Außenseiter zu sein, und will nicht mehr zur Schule gehen. Viel lieber wäre er Fischhändler wie Nachbar Pelle (Thure Lindhardt). Bei Felix' Wutausbrüchen stößt auch Eva an ihre Grenzen. Foto: Nikolas Tusl / BR

ARTE Magazin Frau Fries, „Zwischen uns“ glänzt mit authentischen Charakteren. Wie kam die Besetzung zustande? 

LIV LISA FRIES Max Fey hat mir das Drehbuch geschickt – er hatte mich schon während des Schreibprozesses im Kopf, wie ich später erfuhr. Peu à peu kamen alle anderen tollen Schauspieler:innen dazu: ­Corinna ­Harfouch, ­Lena ­Urzendowsky, ­Jona ­Eisenblätter, der die nötige Energie für die Wutausbrüche seines Protagonisten hatte, und ­Thure ­Lindhardt, der perfekt für die Rolle des einfühlsamen Nachbarn war. Mich hat vor allem das Thema des Andersseins gereizt: Was bringt es mit sich, anders zu sein? Was heißt es für die Erziehung? Ab wann muss man sich selbst schützen – und wann professionelle Hilfe annehmen? Und was bedeutet anders sein überhaupt? Wir sind alle anders.

ARTE Magazin Der Film nähert sich der Autismus-Spektrum-Störung vor allem über Ihre Rolle als Mutter. Wie bereitet man sich auf so ein Thema vor? 

LIV LISA FRIES Ich habe mit entsprechenden Einrichtungen telefoniert und zwei Mütter mit ihrem gemeinsamen autistischen Sohn getroffen. Da bekommt man die Spannungsfelder mit, die es etwa mit der Schule und den Einrichtungen gibt. Ich will mir nicht anmaßen, zu sagen, ich wüsste jetzt genau, wie sich das Leben mit autistischen Kindern anfühlt – alles, was ich spiele, ist ja eine Behauptung. Aber es ist eben genau mein Beruf, mich empathisch einzufühlen, sodass es authentisch wirkt. 

ARTE Magazin Welche Schwierigkeiten von Familien mit autistischen Kindern haben Sie beobachtet und wie sind Sie damit umgegangen?

LIV LISA FRIES Als ich den autistischen Jungen traf, hatte ich das Gefühl, er wird von seinem Umfeld auf eine ganz bestimmte Art behandelt. Er hatte für alle den Stempel: Autismus-Spektrum-Störung. Ich bin ihm dann einfach offen begegnet und wollte verstehen: Wer ist er denn als Mensch? Das hat viel ausgelöst und er hat sich sehr geöffnet, weil jemand ihn nicht verurteilt hat. Die Mütter meinten, sie hätten ihn seit Monaten nicht mehr so erlebt. Diese Stempel gibt es nicht nur bei Autismus – und sobald sie systemisch werden, ist es problematisch. Pflege, Bildung, Integration: Das sind Themen, bei denen niemand richtig hingucken will. Verantwortungen werden hin und her geschoben und Kinder daran zerrieben – nicht nur im Film. Ich finde, „Zwischen uns“ arbeitet den Konflikt gut heraus, ohne zu verurteilen. 

ARTE Magazin Seit „Babylon Berlin“ werden Sie als das „Gesicht der Zwanzigerjahre“ bezeichnet. „Zwischen uns“ ist nun Ihre erste in der Gegenwart spielende Produktion nach mehreren historischen Projekten. Sind Sie gerade lieber im Hier und Jetzt verortet?

LIV LISA FRIES Absolut! Ich habe unterschätzt, wie wichtig es für mich als Künstlerin ist, mich in der Gegenwart auszudrücken, und habe Lust, mich wieder mehr in der heutigen Zeit zu bewegen. Ich bin aber auch überrascht, wie unerschöpflich die 1920er Jahre thematisch sind.

ARTE Magazin Fällt es Ihnen leicht, die Eigenschaften Ihrer gespielten Charaktere wieder abzulegen?

LIV LISA FRIES Während ich drehe, sind manche Emotionen der Rollen auch im Alltag spürbar. Ich glaube, das ist eine energetische Frage. Wenn ich viel Wut oder Trauer spiele, macht das etwas mit meinem Nervensystem. Ich betrachte das weniger als Charaktereigenschaft, sondern eher emotional und körperlich. Danach betreibe ich eine Körper-Geist-Hygiene, wobei das sehr klinisch klingt. Ich arbeite mit Pantarei, einer Methode, in der man die Dinge, die einen beschäftigen, körperlich verarbeitet. Ich begreife immer mehr, wie wichtig es ist, eine Rolle wieder abzustreifen und herauszufinden: Wer bin ich denn eigentlich? – und zu Liv zurückzukehren. Das ist auch eine Erleichterung, dann wieder ich sein zu dürfen. Gleichzeitig finde ich es inspirierend – deshalb mache ich wohl diesen Beruf –, mich in andere Zeiten und Charaktere hineinzuversetzen und den Horizont zu erweitern.

Zur Person
Liv Lisa Fries, Schauspielerin

1990 in Berlin geboren, erlangte Fries durch die in den 1920er Jahren spielende Serie „Babylon Berlin“ (ab 2017) internationale Bekanntheit. Ab 1. Oktober läuft die vierte Staffel in der ARD. 2024 ist Fries in „Freud’s Last Session“ an der Seite von Anthony Hopkins und in Andreas Dresens „In Liebe, Eure Hilde“ sowie in der Serie „Kafka“ zu sehen.