»Die Betäubung hielt an«

Was unter der Nazi-Herrschaft und in den Kriegsjahren passierte, war in vielen deutschen Familien lange ein Tabuthema. Private Filmaufnahmen helfen heute bei der Aufarbeitung. Ein Gespräch über die Folgen des Schweigens.

Collage von Filmausschnitten aus der NS-Zeit
Von der Euphorie nach Kriegsbeginn bis zu den Gräueln an der Front: Amateurfilme und Tagebücher zeigen den Aufstieg und Fall des NS-Regimes durch die Augen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Ein authentischer und privater Einblick in diese dunkle Zeit. Foto: Blue Ant International Limited / ARTE F

Eine Frau nimmt sich selbst beim Turnen auf. Ihr Name: Eva Braun. Ein Vater filmt seinen Sohn beim Eintritt in die Hitlerjugend. Ein Sanitäter an der Front fängt die Schrecken des Vernichtungskriegs im Osten ein. Tausende Deutsche dokumentierten in den 1930er und 1940er Jahren jeden Aspekt ihres Lebens, zunächst überzeugt, dass sie den Anbruch eines neuen Zeitalters filmten. Doch es kam anders. Der Nationalsozialismus brachte auch den Deutschen am Ende nur Zerstörung und Leid, wie spätere Aufnahmen zeigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele dieser Amateuraufzeichnungen weggeschlossen, da die Menschen sie vergessen wollten. Doch das Verdrängte bahnt sich letztendlich meist seinen Weg zurück an die Oberfläche, auch Generationen später. Das hat auch Autorin ­Sabine ­Bode in zahlreichen Gesprächen mit Kriegskindern und Kriegsenkeln erfahren, wie sie im Interview schildert.

ARTE Magazin Frau Bode, Aufnahmen aus der Zeit des Nationalsozialismus landeten nach 1945 in den meisten Haushalten im Geheimversteck. Kannten die sogenannten Kriegskinder sie trotzdem? 

Sabine BodeKinder haben große Ohren, sie sind neugierig. Irgendwann haben sie die verbotenen Filmrollen mit Vaters Projektor an die Wand geworfen. Und noch mal später haben sie begriffen, dass es sich um Kriegsverbrechen handelte.

ARTE Magazin Und schwiegen dann aber darüber?

Sabine Bode Das kommt darauf an, ob die Kinder vor dem Krieg oder im Krieg geboren wurden. Die Kinder, die den entspannten Vater vor dem Krieg kannten, lebten meist im Schulterschluss mit ihren Eltern. Viele Heimkehrer waren seelisch und körperlich verletzt – eindeutig Opfer. Aus Rücksicht wurden sie nicht zur Rede gestellt. Gehörten die Eltern zu den Tätern im Nationalsozialismus, zeigt sich ein Schulterschluss mit einer anderen Begründung: Die Familie und der gute Name sollten von dunklen Schatten verschont bleiben. Es verstand sich für die meisten von selbst, den Eltern zu versprechen, über deren NS-Verstrickungen zu schweigen. So nahmen Töchter und Söhne von Nazis Familiengeheimnisse oft mit ins Grab.

Alltag unterm Hakenkreuz

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