Abstrakte Formen, transparente Farben, wiederkehrende Motive: Lyonel Feiningers Handschrift ist unverkennbar. Bekannt sind vor allem seine prismatischen Architekturbilder – dabei umfasst sein Werk einiges mehr. Der 1871 in New York geborene Künstler erfand den Kubismus und Expressionismus neu und wurde Bauhaus-Meister, bevor seine Werke von den Nazis als „entartet“ diffamiert wurden. Feiningers Themen und Techniken ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Karikaturen, Holzschnitte, Gemälde und Fotografien. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt bis zum 18. Februar eine große Retrospektive von Lyonel Feininger – die erste seit mehr als 25 Jahren in Deutschland, kuratiert von Ingrid Pfeiffer. Was macht den Künstler, dem ARTE im Januar ein Porträt widmet, so aktuell?
Lyonel Feininger kam als 16-Jähriger aus den USA nach Deutschland, als seine Eltern – beide Musiker – ihn mit auf Europatournee nahmen. In Berlin schrieb er sich für ein Kunststudium ein und verbrachte dort die ersten 15 Jahre seiner Karriere erfolgreich als politischer Karikaturist und Comiczeichner. „Seine große, schlanke Gestalt erscheint schon früh in den überlängten Gliedmaßen diverser Figuren“, sagt Ingrid Pfeiffer im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Als Feininger 1905 seine spätere Frau Julia Berg kennenlernte, folgte er ihr nach Weimar und verliebte sich nicht nur in sie, sondern auch in die thüringische Landschaft. In dieser Phase zeichnete er Tausende sogenannter Naturnotizen – vorzugsweise von Kirchen, Lokomotiven, Schiffen – und begeisterte sich für die Architektur mittelalterlicher Städte. Die Ostsee war für ihn Rückzugsort und Inspirationsquelle, vor allem die maritimen Motive in Deep (heute: Mrzeżyno in Polen). Er arbeitete gerne aus der Erinnerung: „Aus diesen Zeichnungen – er nannte sie Kapital – hat Feininger sein Leben lang geschöpft“, sagt der Kunsthistoriker Ulrich Luckhardt.
Wie viele Künstler der Moderne zog es Feininger bald in ein Atelier nach Paris, wo er die figurative Malerei für sich entdeckte: „Etwa vier Jahre währte seine figürliche Periode in der Malerei, dabei entstanden die sogenannten Karnevals- oder Mummenschanz-Bilder“, so Pfeiffer. „Die Figuren verschwanden aus seinen Arbeiten, je mehr er seine Motive in Strukturen zerlegte.“ 1907 schrieb der Künstler an Julia Berg: „Das Gesehene muss innerlich umgeformt und kristallisiert werden.“
Zurück in Deutschland und inspiriert von Robert Delaunays Kubismus und italienischen Futuristen, die wie Feininger als sogenannte Sturmkünstler in Herwarth Waldens Galerie „Der Sturm“ in Berlin ausstellten, entwarf er seine in Prismen aufgelösten, monumentalen Architektur-Bilder. Sie machten ihn zum Vorreiter der Avantgarde, mit befreundeten Künstlern wie Paul Klee und Wassily Kandinsky. „Durch die Überlagerung der Flächen enthalten die Bilder ein Zeitelement – als ob die Wanderung des Lichts im Laufe des Tages festgehalten wird“, sagt Pfeiffer.
BAUHAUS UND SPÄTWERK IM NEW YORKER EXIL
Zum Ende des Ersten Weltkriegs zog Feininger sich mit seiner Familie in den Harz zurück. Dort entwarf er in kurzer Zeit etwa 300 Holzschnitte. Da Künstlerbedarf rar war, nutzte er für seine Kunstdrucke meist Deckel von Zigarrenkisten. Diese Arbeiten machten Walter Gropius auf ihn aufmerksam, weshalb er -Feininger für die Bauhaus-Gründung 1919 als ersten Druckgrafik-Meister nach Weimar berief. Für seine drei Söhne fertigte Feininger in der Zeit Holzfiguren als Spielzeuge. „Manche Figuren tragen Zylinder wie in seinen frühen Gemälden“, so Pfeiffer. „Es zeigt sich ein innerer roter Faden: In Feiningers Werk haben viele Tendenzen ihre Vorläufer, auch scheinbar unterschiedliche Werkgruppen sind durch die Motive und Techniken eng miteinander verknüpft.“ Als das Bauhaus 1926 nach Dessau umzog, kam Feininger nur mit, weil er vom Lehrbetrieb befreit wurde. „Bis vor ein paar Jahren war sein fotografisches Werk noch nicht entdeckt. Er hat immerhin 20.000 Fotoobjekte hinterlassen. Dazu zählen auch späte Dias in New York.“
In der NS-Zeit galt Feiningers Kunst als „entartet“. 1937 sah er sich gezwungen, mit seiner jüdischen Frau ins Exil nach New York zu gehen, wo er die letzten 19 Jahre seines Lebens verbrachte. Für sein Spätwerk griff er auf seine Naturnotizen zurück und verknüpfte sie mit neuen Motiven. 1940 stellte er im Museum of Modern Art aus. „Feininger nahm wahr, was in New York en vogue war. Dort drehte sich alles um Abstraktion“, sagt Pfeiffer und betont: „Sein Erfolg mit nur einer Werkgruppe hat in der Rezeption zu einem verkürzten Blick geführt. Doch sein vermeintlich ernstes Werk steckt voller Leichtigkeit und Überraschungen, was bis heute fasziniert.“