»Korruption statt Pumpgun«

Mafia-Organisationen sind mächtiger denn je – auch in Deutschland. Sie sind Teil der Gesellschaft geworden, sagt Oliver Huth, ein leitender Anti-Mafia-Ermittler.

Straßenschild, das auf die italienische Gemeinde Plati verweist.
Die italienischen Gemeinden Platì und San Luca im italienischen Kalabrien gelten als Hochburgen der ’Ndrangheta. Europaweit ist sie hauptverantwortlich für den Kokainhandel. Foto: Marc Latzel/13PHOTO

Morde, Geldwäsche und Drogen – die italienische Mafia ist nicht nur für den Großteil des Kokainhandels in Europa verantwortlich, sondern auch für illegale Abfallentsorgung, die Erpressung von Schutzgeldern und zahlreiche Tote. Im Mai 2023 führte die groß angelegte Anti-Mafia-Operation „­Eureka“ zu mehr als 130 Festnahmen in mehreren europäischen Ländern. Ein Schlag gegen die aus Kalabrien stammende ’Ndrangheta – die wohl mächtigste Mafiaorganisation der Welt. Oliver Huth, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter NRW, leitete die Ermittlungskommission in Deutschland und koordinierte die Zusammenarbeit mit den internationalen Strafverfolgungsbehörden.

ARTE Magazin Herr Huth, welche Herausforderungen gibt es bei einer groß angelegten internationalen Razzia?

Oliver Huth Erst mal ist es wichtig, die Pläne geheim zu halten. Bei europaweiten Festnahmen muss alles perfekt abgestimmt sein. Wenn etwas durchsickert und die Täter gewarnt werden, bewaffnen sie sich oder flüchten, was extrem gefährlich werden kann. Das Zweite ist der Zeitpunkt des Zugriffs. Bei „Eureka“ haben wir uns entschieden, den Zugriff um 04:00 Uhr morgens durchzuführen, um die Gefährdung zu minimieren. Besonders in Italien war das notwendig, weil es zu gefährlich gewesen wäre, um 06:00 Uhr in San Luca, der Hochburg der ’Ndrangheta, vorbeizuschauen. Die große Anzahl an Schusswaffen, die wir dort gefunden haben, hat unsere Vorsichtsmaßnahmen bestätigt. Und dann muss noch alles so klappen, dass keiner zu Schaden kommt.

ARTE Magazin Welche Auswirkungen hatte die Aktion auf die ’Ndrangheta?

Oliver Huth Wir konnten alle Personen, die wir ins Visier genommen hatten, festnehmen – das war auf jeden Fall wirkungsvoll. Der Prozess läuft derzeit vor der Staatsschutzkammer in Dortmund. Sollte es uns gelingen, eine Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung – konkret der ’Ndrangheta – zu erreichen, können wir weitere Maßnahmen ergreifen. In mehreren Fällen wurde zum Beispiel die Gewerbeordnung angewendet. Personen, die für die ’Ndrangheta tätig waren, dürften dann in Deutschland für die nächsten 80 Jahre kein Gewerbe mehr betreiben, in dem Alkohol ausgeschenkt wird. Das bedeutet, dass sie nicht einmal einen Kiosk führen können. Dadurch verlieren sie den Deckmantel für viele ihrer illegalen Geschäfte und fallen aus der Organisation heraus.

Mafiajäger

5-tlg. Dokureihe

Dienstag, 28.1.
— 20.15 Uhr
bis 26.2. in der
Mediathek

ARTE MagazinFrustriert es Sie, dass rechtliche Grenzen Ihre Arbeit als Ermittler einschränken?
Oliver Huth Ich gebe das Urteil in Dortmund natürlich nicht auf, aber ja, wenn das nichts wird, wäre das schon eine richtige Niederlage. Wir haben uns mit diesem Verfahren wirklich viel getraut. Es wäre eine bittere Erkenntnis, dass die Organisierte Kriminalität sich immer wieder einen Mantel umlegen und sich dahinter verstecken kann. Wir wissen, was unter dem Mantel ist, können das, was darunter ist, aber nicht beschreiben. Und das ist das Dramatische: Wenn wir es nicht genau benennen können, bleibt es an der Oberfläche – und das ist gefährlich und letztlich demokratiegefährdend.
ARTE Magazin Inwiefern bedroht das die Demokratie?
Oliver Huth Die Mafia hat Einfluss auf Politik und Entscheidungsträger. Die Nähe zu den Mächtigen wird dabei ganz bewusst gesucht. Ein Kronzeuge sagte uns einmal, es sei wie „Spionage“ – sie beobachten Richter und Politiker, wissen, was sie mögen, wie sie sich verhalten und wie man sie beeinflussen kann. Die Pumpgun als Tatmittel von früher ist heute die Korruption. Noch gefährlicher wird es, wenn Bürgerinnen und Bürger aus Angst aufhören, mit der Polizei oder Presse zu sprechen. Wenn das Prinzip der „Omertà“, also das Schweigen in der Zivilbevölkerung, Fuß fasst, wird es ganz schwierig.
ARTE Magazin Wurden Sie persönlich auch schon bedroht?
Oliver Huth Über mein BDK-Postfach bekomme ich ständig Drohungen – die ignoriere ich ganz bewusst. Persönlich wurde ich bisher nicht bedroht, aber das kann jederzeit passieren. Deshalb ist es wichtig, mich und Angehörige zu schützen. Die ’Ndrangheta hat natürlich kein Interesse daran, dass ich vor Gericht aussage oder dass ich und meine Kolleginnen und Kollegen unsere Arbeit machen. Wir müssen die Tätergruppe, die wir verfolgen, einschätzen und wissen, wozu sie bereit ist. Aber wenn man den Beruf macht wie ich, braucht man dafür eine Haltung – und sicherlich nicht Angst als Begleiter.
ARTE Magazin Was motiviert Sie trotz der Hürden und Risiken, gegen die Mafia vorzugehen?
Oliver Huth Wenn wir nicht aktiv dagegen vorgehen, riskieren wir alles, was unsere Gesellschaft ausmacht: die Freiheit, seine Meinung zu äußern, sowie faire Urteile und sachgerechte Entscheidungen von Behörden – ohne Korruption, ohne Bestechung. Das ist alles das Verdienst von Generationen, die vor uns gelebt haben. Jetzt liegt es an uns, dass das so bleibt und eben nicht unterwandert wird. Wir dürfen unsere Gesellschaft und das, was wir uns demokratisch erkämpft haben, nicht einfach aufgeben. Dafür muss man aufstehen und kämpfen. Diese Art von Kriminalitätsbekämpfung ist ein Teil davon und deshalb mache ich das gerne.