Das Schaumbad ist eingelassen, der Sekt kalt gestellt. Romantischer geht es kaum, glaubt Tom: „93 Prozent der Frauen träumen davon.“ Leider gehört Alma, das Ziel seiner Mühe, zu den restlichen sieben Prozent. Und Tom, der sich derart bemüht, ist eigentlich kein Mann, sondern ein Android: eigens kalibriert, um den perfekten Partner für die Anthropologin Alma zu verkörpern. Der Kinofilm „Ich bin dein Mensch“ (2021) entwirft ein Szenario zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz, das angesichts sich rasant entwickelnder Technologien immer realistischer wirkt. Sieht so etwa die Zukunft der Liebe aus? Der Film, den ARTE im August zeigt, ist eine Regiearbeit von Maria Schrader. Bekannt wurde sie als Schauspielerin: In Doris Dörries „Keiner liebt mich“ (1994) war sie eine Singlefrau mit Hang zum Morbiden, in „Aimée & Jaguar“ (1999) eine Jüdin, die sich in die Frau eines Nazis verliebt. Die Serie „Deutschland 83“ (2015), in der sie eine Stasi-Agentin mit schillernder Garderobe gab, fuhr international Erfolge ein.
Mittlerweile aber kommt Schrader seltener zum Spielen, weil sie als Regisseurin so gefragt ist. Nach „Liebesleben“ (2007), basierend auf dem Bestseller von Zeruya Shalev, und „Vor der Morgenröte“ (2016), einem kunstvollen Biopic über Stefan Zweig, kam die Netflix-Serie „Unorthodox“ (2020). Sie handelt, angelehnt an das Buch von Deborah Feldman, von einer jungen Frau, die eine jüdisch-orthodoxe Gemeinde in New York verlässt und in Berlin ein neues Leben beginnt. Als erste Deutsche bekam Schrader dafür einen Regie-Emmy. Schließlich folgte der Schritt auf Hollywood-Terrain: Das Drama „She Said“ (2022) erzählt den Fall Harvey Weinstein aus Sicht der beiden Journalistinnen, die ihn in der New York Times publik machten. In der Hauptrolle ist Oscar-Preisträgerin Carey Mulligan zu sehen, produziert wurde der Film unter anderen von Brad Pitt. Plötzlich also haben Menschen Maria Schrader weltweit auf dem Radar. Sie bekommt jetzt ständig E-Mails, die es abzuarbeiten gilt. „Ich bin“, sagt sie, „nicht sehr gut darin, das zu organisieren.“
ARTE Magazin Frau Schrader, haben wir unrealistische Erwartungen an die Liebe? Die Soziologin Eva Illouz schreibt, Menschen fürchteten heute stets, dass es irgendwo einen noch optimaleren Partner geben könnte.
Maria Schrader Wir sehen zwei Phänomene: Auf der einen Seite eröffnen Dating-Apps endlose Wahlmöglichkeiten, auf der anderen Seite wächst die Einsamkeit und die Zahl der Singles. Die Ansprüche, die wir und die Gesellschaft an uns stellen, sind hoch. Auf der Suche nach dem perfekten Match wenden wir so viele Filter und Ausschlusskriterien an, dass Überraschungen fast unmöglich werden. Das verändert vielleicht auch unseren Begriff von Liebe.
ARTE Magazin In Ihrem Film „Ich bin dein Mensch“ testet eine Wissenschaftlerin einen Roboter, der als ihr idealer Partner programmiert wurde. Sie ist von seinem Eifer eher genervt.
Maria Schrader Alma verachtet die Idee einer Maschine als Partner-Ersatz. Sie kann sich Liebe nur mit einem Gegenüber auf Augenhöhe vorstellen, einem Wesen mit freiem Willen. Toms Existenz begründet sich aber nur in einer Aufgabe: Alma glücklich zu machen. Damit kann sie nicht umgehen. In ihren Augen ist er eine fleischgewordene App. Sicher geht es dabei auch um Geschlechterrollen, denn Männer sind über die Jahrhunderte und Jahrtausende viel stärker daran gewöhnt, Frauen als Objekte zu betrachten. Es findet also eine Umkehrung statt, weil es sich hier um einen – in Anführungszeichen – männlichen Sklaven handelt.
Ich habe eher Angst vor Menschen als vor Künstlicher Intelligenz
ARTE Magazin Was hat Sie an dieser Konstellation interessiert?
Maria Schrader Wir wollten eine romantische Komödie drehen, die normalerweise einfachen Regeln folgt: Der Liebe zwischen zwei Menschen steht etwas im Weg, und nach Irrungen und Missverständnissen finden die beiden zusammen. „Ich bin dein Mensch“ handelt dagegen von einer Begegnung der dritten Art: Frau trifft Mann, der aber kein Mann ist, sondern eine Maschine. Der Liebe kommt gewissermaßen eine philosophische Frage in die Quere. Da ist eine innere Grenze, bei der wir nicht sicher sind, ob Alma sie übertreten soll-
te. Ihre Zweifel sind nachvollziehbar. Die Begegnung wirft Fragen auf, die wir heute noch nicht beantworten können.
ARTE Magazin Künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant. Wie wird sie in Zukunft unser Leben ändern?
Maria Schrader Dass es Wesen wie Tom geben wird, ist nur eine Frage der Zeit. Viele Werke, von Mary Shelleys „Frankenstein“ bis zum Kinofilm „Ex Machina“, handeln von dem Alptraum, die eigene Kreatur könnte uns über den Kopf wachsen und sich gegen uns richten. Diese Vision könnte bald wahr werden. Tom ist ein Gegenentwurf zu Frankensteins Monster. Er ist in seinen humanistischen Werten verlässlich; er ist altruistisch, klüger, schneller und am Ende der bessere und zivilisiertere Mensch als Alma. Wäre er Weltherrscher, er hätte mein Vertrauen, die globalen Krisen zum Wohl der Menschheit zu lösen.
ARTE Magazin Der Google-Chef Sundar Pichai meint: Die Entwicklungen zur KI sind drastischer als die Entdeckung von Feuer und Elektrizität.
Maria Schrader Sie sind drastisch. Wir sehen Bilder von Menschen, die es nicht gibt, und seit Kurzem auch bewegte Bilder von künstlich erschaffenen Menschen und Landschaften, die täuschend echt aussehen. Beim Film wird das eine Revolution auslösen. Alles, wofür jetzt noch Millionenbudgets und große Arbeitskraft nötig sind, lässt sich dann mit einem Mausklick erzeugen. Da wehen einem die Haare.
ARTE Magazin Macht Ihnen das Angst?
Maria Schrader Ich finde es ebenso aufregend wie unheimlich. Ich schätze, ich habe eher Angst vor den Menschen als vor der Künstlichen Intelligenz. Das Weltwissen, das der KI inzwischen zur Verfügung steht, hat die Menschheit zusammen erschaffen, daher müsste auch die Technologie allen Menschen zugänglich sein und zum gemeinsamen Nutzen eingesetzt werden. Mir bereitet Sorge, dass stattdessen wirtschaftliche und kapitalistische Interessen im Vordergrund stehen. Und es daher weder eine Gleichberechtigung noch eine vertrauenswürdige politische und ethische Kontrolle geben wird.
ARTE Magazin „Manchmal nervt mich meine Abhängigkeit von Harmonie“, haben Sie einmal gesagt. Worum ging es Ihnen?
Maria Schrader Als Schauspielerin bin ich darauf trainiert, Stimmungen wahrzunehmen, Anweisungen umzusetzen, offen und flexibel zu sein. Dieses Berufsbild entspricht recht gut der Rolle von Frauen in der Gesellschaft. Wenn man sich männliche Schauspieler-
karrieren anschaut, dann liegt deren Sexyness oft darin, sich diesem Prinzip zu verweigern. Marlon Brando ist nur ein Beispiel. Männer werden dafür bewundert, sich zu widersetzen. Frauen erhalten eher Zuspruch, wenn sie Dinge richtig machen. Natürlich hoffe ich, dass mir jüngere Frauen jetzt vehement widersprechen. Die Zeiten ändern sich. Aber ich habe bestimmte Dinge verinnerlicht, selbst wenn ich als Regisseurin an die Spitze eines Teams trete. Manchmal wünschte ich mir, dass es mir leichter fiele, zu sagen: Tut mir leid, Leute, ich möchte das aber so. Auch wenn das die Harmonie stört.
ARTE Magazin Sie sind bereits als Jugendliche nach Wien gegangen, um Schauspiel zu studieren. Woher nahmen Sie den Mut dafür?
Maria Schrader Ich wollte ans Theater, seit ich 14 Jahre alt war. Davor hatte ich viel Klavier gespielt, aber drei oder vier Stunden am Tag zu üben, hat mich Mühe gekostet, ähnlich wie Sporttraining. Theater schien mir einladender. Ich habe in der Schule gespielt und wurde dann als Teenager für ein Stück ans Staatstheater Hannover engagiert, „Der Vater“ von August Strindberg. Von da an wusste ich, dass ich das beruflich machen will. Und habe mich in Wien beworben.
ARTE Magazin Hat Ihre Familie Sie dabei unterstützt?
Maria Schrader Sehr. Übrigens auch mein Schuldirektor; ich habe noch ein Papier, auf dem steht: „Wenn Proben des Staatstheaters Hannover stattfinden, muss Maria nicht zur Schule kommen.“ Was dazu führte, dass ich gar nicht mehr hinging. Irgendwann habe ich meinen Eltern, die beide Künstler und Lehrer waren, erzählt, dass ich mich bereits am Max Reinhardt Seminar beworben habe. Woraufhin sie meinten: Wenn du das schaffst, brauchst du kein Abitur. Sie haben mich genommen, und ich habe kein Abitur gemacht.
ARTE Magazin Als Regisseurin sind Sie nun weltweit erfolgreich: Erst ein Emmy für die Serie „Unorthodox“, dann folgte mit „She Said“ ein Hollywood-Drama mit Starbesetzung. Wie kamen Sie dazu, die Enthüllungen um Harvey Weinstein zu verfilmen?
Maria Schrader Es spielte sicherlich eine Rolle, dass „She Said“ inhaltlich mit „Unorthodox“ verwandt ist. In beiden Fällen geht es um weibliche Intimität und den Umgang mit Sexualität. In „Unorthodox“ hat das mit Religion zu tun, „She Said“ handelt von Missbrauch am Arbeitsplatz. Vermutlich war auch ein Faktor, dass ich nie mit Harvey Weinstein zu tun hatte und man mir keinen Vorwurf von Befangenheit machen konnte.
ARTE Magazin Haben Sie unwirkliche Hollywood-Momente erlebt?
Maria Schrader Ich bin mehrmals mit Privatjets geflogen: von der New Yorker Premiere durch die Nacht nach London, um auch da rechtzeitig zur Premiere zu kommen. Oder von Los Angeles nach Las Vegas mit Jamie Lee Curtis und Steve Carell. Dort stellen die Studios ihre Filme vor, in einem der großen Casinos und vor 3.000 Branchenvertretern und Journalisten. Das sind die Erlebnisse, denen man das Etikett Hollywood anheften kann.
ARTE Magazin Wie hat diese Art Ruhm Ihr Leben verändert?
Maria Schrader Ich bekomme sehr viel mehr E-Mails und Angebote. Diese Möglichkeiten sind ein großer Luxus. Aber die Vorstellung, etwas zu machen, nur weil ich es kann, bereitet mir eher schlaflose Nächte. Ich suche weiterhin nach den Geschichten, die mich begeistern und überzeugen.