»Nur so gut wie das letzte Foto«

Porträts mit extrem hoher Auflösung und skurrile Inszenierungen: Martin Schoeller legt Wert auf ein besonderes Setting und fotografiert Obdachlose genauso wie Schauspieler und Politiker. 

Ryan Gosling fotografiert von Martin Schoeller
Martin Schoeller sucht das Unerwartete hinter jeder einstudierten Geste; seine Bilder werden weltweit in großen Einzelausstellungen präsentiert. Hier: Ryan Reynolds. Foto: Martin Schoeller

Staatschefs, Hollywood-Größen, Dragqueens und Native Americans blickten für die Porträt-Serie „Close Up“ bereits in die Kamera; ausgestellt war sie weltweit in Museen und Galerien. Am Auslöser stets: der in New York lebende und in München geborene Fotograf Martin Schoeller. Er sieht auch dort hin, wo andere Menschen wegschauen – seine Bilder erzählen unmittelbar von den Erfolgreichen, aber auch von denjenigen, die ums Überleben und ihre Identität kämpfen müssen. Im Zentrum seiner Arbeit stehen die USA mit ihren gesellschaftlichen Kontrasten. Der Fotograf, dem ARTE im Mai eine Kulturdokumentation widmet, schaltete sich zum Interview auf dem Sprung von New York nach Los Angeles zu.

 

Quentin Tarantino fotografiert von Martin Schoeller mit weißen Tauben
Hier: Quentin Tarantino. Foto: Martin Schoeller

Die vielen Gesichter der USA: Der Fotograf Martin Schoeller

Kulturdoku

Mittwoch, 24.5. — 22.05 Uhr
bis 21.8. in der Mediathek

ARTE Magazin Herr Schoeller, Ihre intimen Nahaufnahmen setzen viel Vertrauen der Porträtierten voraus. Wie gewinnt man das bei Menschen wie Cher oder Barack Obama?

MARTIN SCHOELLER Ich verwickele sie in ein Gespräch und versuche dafür zu sorgen, dass sie die Kamera vergessen. Ich glaube, meine größte Gabe ist, mich auf Menschen einlassen zu können. Ich entwaffne sie und schaffe eine vertrauensvolle Atmosphäre. 

ARTE Magazin Dürfen sich Ihre Modelle in Szene setzen? 

MARTIN SCHOELLER Generell schon. Bei meinen Close-up-Porträts passiert das weniger. Dafür brauche ich aber auch nicht lange – und nutze die Zeit, die mir bei den Terminen dann noch bleibt, gerne für eher skurrile Umgebungsaufnahmen. ­Quentin ­Tarantino habe ich zum Beispiel in eine Zwangsjacke gesteckt und mit weißen Friedenstauben fotografiert. „Kill Bill“ lief gerade in den Kinos, und damals hielten alle seine Filme für verrückt und gewalttätig. Für das Shooting hat ein Magazin 30.000 Dollar ausgegeben – aber die Zeiten sind längst vorbei. 

ARTE Magazin Inwiefern?

MARTIN SCHOELLER Magazine haben weniger Geld und an Stellenwert verloren; ihre Inszenierungen sind nicht mehr so attraktiv für Promis – sie vermarkten sich lieber selbst auf Instagram.

ARTE Magazin Wenn es zustande kommt – wie läuft so ein Shooting mit namhaften Schauspielern oder Politikern ab?

MARTIN SCHOELLER Ein Fotograf ist nur so gut wie sein letztes Foto, sage ich gerne. Ein Shooting bedarf viel Vorbereitung und ist immer eine Herausforderung. Man hat limitiert Zeit und ist umgeben von PR-Leuten, die einem über die Schulter schauen. Bei Donald Trump wusste ich zum Beispiel, dass es schwierig wird, ihn aus der Reserve zu locken. Ich sagte: „Ich habe einen Deal für Sie: Wir machen das Cover-Porträt in fünf Minuten und morgen komme ich mit einem lebendigen Adler wieder für mehr Fotos.“ Genau so kam es dann, davon gibt es lustige GIFs im Internet. 

ARTE Magazin Sie haben ihre Arbeit als „demokratische Fotografie“ bezeichnet. Was verstehen Sie darunter?

MARTIN SCHOELLER Es geht um die Idee, Menschen gleich zu fotografieren, ohne eine große Wertigkeit durch Licht oder durch Gesichtsausdrücke zu schaffen. Also relativ neutrale, offene Fotos, die zum Vergleich einladen. Mir gefällt August Sanders Ansatz, den er bei seinem Werk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ verfolgte. Er lichtete alle ab: Bettler, Bauarbeiter, Handwerker, Bäcker – zu einer Zeit, in der viele es sich nicht leisten konnten. Ich finde es spannend, Berühmtheiten zu fotografieren, will aber gleichzeitig Menschen zeigen, die man normalerweise nicht sieht: Obdachlose etwa oder Gefängnisinsassen, die jahrelang in der Todeszelle gesessen haben. Am wenigsten interessiert bin ich an allen, die so zwischendrin sind. Richtig demokratisch ist das wohl nicht. 

ARTE Magazin Eine medienversierte Person wie ­Angelina ­Jolie verhält sich vor der Kamera bestimmt anders als ein obdachloser Mensch oder Häftling. Gibt es auch Gemeinsamkeiten? 

MARTIN SCHOELLER Im Grunde sind wir uns alle viel ähnlicher, als wir uns das eingestehen wollen. Wir denken, wir sind so individuell, unsere Gedankengänge so einzigartig, unsere Probleme hat kein anderer. Dabei teilen wir alle die gleichen Ängste: vor Krankheiten, dem Alleinsein, dem Sterbenmüssen. Natürlich sind Menschen, die man auf der Straße trifft, unsicherer. Sie haben weniger Selbstbewusstsein als jemand, der gerade einen ­Oscar gewonnen hat. Aber wenn man die Menschen jenseits der Selbstinszenierung einfängt, ähneln sie sich doch.

ARTE Magazin Haben Sie schon Gesichtszüge in Bildern entdeckt, die Sie nicht erwartet haben? 

MARTIN SCHOELLER Ich kenne die Menschen vor den Terminen selten, deshalb habe ich kaum Erwartungen. Manchmal merke ich später, dass jemand nur mit mir gespielt hat und kein ehrliches Foto entstanden ist – das ist immer eine Enttäuschung. Vor allem Schauspieler sind da schwierig. Politiker haben immer einen Gesichtsausdruck, von dem sie wissen: das funktioniert. Aber nach 20 Bildern fangen sie an, wie sie selbst auszusehen.

 

Barack Obama von Martin Schoeller porträtiert
Demokratisch: Neben Barack Obama und Taylor Swift fotografiert Schoeller u. a. Holocaust-Überlebende wie Ruth Zuman. Außerdem setzt er sich für soziale Projekte ein, etwa für Obdachlose mit der Initiative Food Coalition. Foto: Martin Schoeller

ARTE Magazin Wie sind Sie eigentlich zur Fotografie gekommen – Berufung oder Zufall?

MARTIN SCHOELLER Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was ich machen will. Ein Freund von mir bewarb sich beim Lette Verein in Berlin für Fotografie und meinte: „Bewirb dich doch auch!“ Sie haben dann mich genommen – und nicht ihn. Da dachte ich, vielleicht habe ich ja doch Talent in der Hinsicht. Ich habe mich dann in den Beruf verliebt. Das hat gut zu mir gepasst: Sachen entdecken, an ungewöhnliche Orte gehen, Menschen ansprechen, auf die man normalerweise nicht zugehen würde. Es war immer eine gute Entschuldigung, die Kamera in der Hand zu halten, um meine Neugier zu rechtfertigen.  

ARTE Magazin Was zog Sie nach New York? 

MARTIN SCHOELLER Die Fotografen, die ich mochte, lebten dort: Annie Leibovitz war eine meiner absoluten Lieblingsfotografinnen. Ich kam dann eher zufällig in die Stadt, mein Englisch war da noch schrecklich. Ich habe mich immer wieder bei ­Annie beworben, bis die Studiomanagerin meinte: „Komm endlich vorbei, du gehst mir auf den Geist!“ So habe ich bei ihr angefangen und drei Jahre lang wahnsinnig viel gelernt. 

ARTE Magazin Dann kam der große Erfolg …

MARTIN SCHOELLER Als ich bei Annie aufhörte, hatte ich 15.000 Dollar angespart und dachte: Jetzt bin ich reich. Das Geld war ruck, zuck weg. Ich zog zu meiner Freundin, die jetzt meine Frau ist, ins East Village, und wollte nicht mehr assistieren – was sollte nach Annie noch kommen? Ich war pleite und gab nur fünf Dollar am Tag aus. Ich fuhr mit Rollerblades durch New York, um das U-Bahn-Geld zu sparen, und hielt mich an Lastern fest, wenn es mal längere Strecken waren. Ich gab mein Port­folio bei Magazinen ab, mit Close-up-Porträts von meinen Freunden. Bernd und ­Hilla ­Becher, die Begründer der Düsseldorfer Photoschule, haben mich inspiriert: Sie haben eine Serie über Wassertürme gemacht – alle im gleichen Blickwinkel, im gleichen Licht. Diesen Ansatz von objektiver Fotografie, bei dem die Objekte alle gleich dargestellt sind, und der zum Vergleich einlädt, habe ich versucht, in meinen Porträts umzusetzen. Mit der 8-mal-10-Inch-Kamera fotografierte ich reduzierte Gesichter: Keiner durfte lächeln oder Make-up tragen. Das kam erst nicht sonderlich gut an. Die Fotoredaktionen wussten nichts damit anzufangen. 

ARTE Magazin Was verhalf Ihnen schließlich zum Durchbruch?

MARTIN SCHOELLER Eine Redakteurin gab mir 1998 den Job, die Schauspielerin ­Vanessa ­Redgrave zu fotografieren. Auf einen Schlag sahen die Magazine: Man kann meine Art von Porträts auch von berühmten Menschen machen. Von heute auf morgen hatte ich haufenweise Jobs.

ARTE Magazin Gibt es ein Shooting, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

MARTIN SCHOELLER Mein Team und ich besuchten einmal Johnny Cash in Hendersonville. Er war ja mit ­June ­Carter verheiratet – sie machte uns die Tür auf, mit fast 80, eine zierliche Dame. Es waren nur sie beide im Haus. Sie machte sein Make-up. Er war schon gebrechlich – sein Gesicht war dann so vollgekleistert mit Schminke, die Fotos wurden furchtbar. Ich hatte eine Produzentin dabei, die ein großer Fan von ihm war, und ich wollte ein Foto von den beiden machen. Er legte seinen Arm um sie – da fing sie an, zu heulen, ­Johnny Cash fing auch an, ich weinte, ­June Carter weinte. Uns war allen in dem Moment klar, dass es wahrscheinlich eins der letzten Fotos von ihm werden würde.

ARTE Magazin Apropos Johnny Cash: Auch Ihr Leben klingt sehr nach amerikanischem Traum.

MARTIN SCHOELLER Ja, gewissermaßen schon. Ich bin ohne Geld gekommen, mit einem Visum, mit dem ich nicht arbeiten durfte, war quasi ein illegaler Einwanderer. Und habe es doch weit gebracht. Ich glaube, so etwas ist hier eher möglich als in Europa. Man kann aber auch tiefer fallen.

Zur Person
Martin Schoeller, Fotograf

Der weltweit gefragte Fotograf wurde 1968 in München geboren und lebt seit 1993 in den USA. Er porträtiert alle Menschen auf die exakt gleiche Art: Jedes Mal verwendet er dieselbe Ausrüstung und ähnliche Lichtverhältnisse, Winkel und Entfernungen.