Es ist zehn Uhr morgens in New York, als Akuol de Mabior sich aus ihrem Hotelzimmer per Videoanruf zum Interview zuschaltet. Die Filmemacherin hat ihre Dreadlocks zu einem Dutt gebunden und trägt einen Blazer über ihrem lilafarbenen T-Shirt. Das Setting sei improvisiert, entschuldigt sie mit einem Lächeln – sie sitze auf einem Koffer, der ihr in diesen Wochen als Kleiderschrank diene. Seit der Premiere von „Rückkehr ins Land meiner Mutter“ bei der Berlinale ist die Südsudanesin nahezu pausenlos unterwegs: Gerade war sie beim Hot Docs Festival in Toronto, als Nächstes reist sie nach München, wo sie beim DOK.fest über ihr Regiedebüt spricht. Dem ARTE Magazin erzählt sie von ihrem gespaltenen Verhältnis zu Südsudan – und wieso es vor allem Frauen sind, die die junge Nation zusammenhalten, in der noch immer kein Frieden herrscht.
arte Magazin Frau de Mabior, Sie wurden im Exil in Kuba geboren und haben in Kenia gelebt, bis Sie 16 Jahre alt waren. Früher reisten Sie als Model um die Welt – heute als Filmemacherin. Was bedeutet Heimat für Sie?
Akuol de Mabior Ich habe mir diese Frage oft gestellt: Was macht ein Zuhause aus? Ich habe bis heute noch keine Antwort darauf gefunden. Bestenfalls ist das doch ein Ort, an dem man zur Ruhe kommen kann. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich in Südsudan ausruhen kann.
arte Magazin In Ihrem Film porträtieren Sie Ihre Mutter Rebecca Nyandeng de Mabior, die nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs nach Südsudan zurückkehrt – um dort als Vizepräsidentin für Frieden und Einheit des Landes zu kämpfen. Woher kam Ihr Entschluss, sie zu begleiten?
Akuol de Mabior Ich komme aus einer sehr politischen Familie. Mein Vater war der Anführer der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee, die sich 1983 im Süden des Landes formierte. Er hat sein Leben lang für die Unabhängigkeit von dem autoritär regierten Norden gekämpft. 2005, kurz nachdem der Süden den Status als autonome Region errungen hatte, starb er bei einem Helikopterunfall. Meine Mutter wollte nicht zulassen, dass der Traum meines Vaters mit ihm stirbt. Sie hat über Jahrzehnte auf eine Gelegenheit gewartet, zurückzugehen. Das Friedensabkommen von 2018 war ihre Chance – und sie zu begleiten eine Art Zwangsverpflichtung für mich.
arte Magazin Hatten Sie Zweifel, in ein Land zu reisen, in dem während der kurzen Zeit seiner Existenz fast durchgehend Krieg herrschte?
Akuol de Mabior Mit dem Pflichtgefühl ist das so eine Sache: Es stellt keine Fragen, man muss ihm einfach folgen. Das hängt auch mit unserer Nationalgeschichte zusammen: Der jahrzehntelange Befreiungskampf hat uns Südsudanesen ein Gefühl von Patriotismus gelehrt. Bis heute gibt es weltweit eine große Diaspora – die Rückkehr gilt für viele von uns als unabdingbar. Mit meinem Film wollte ich Raum für die Zweifel schaffen, die damit einhergehen. Was bedeutet es, in ein Land zu remigrieren, das fast nur Krieg kennt? Was erwartet uns dort? Ich habe Träume und Ambitionen, die ich verwirklichen will. Und ich will mich mit Menschen umgeben, die das auch tun können. Aber hat Südsudan die Kapazitäten, damit junge Menschen ihre Träume leben können?
arte Magazin 2020 hat Ihre Mutter ihr politisches Amt angetreten, um für bessere Chancen zu kämpfen. Sie selbst waren mit Ihrer Kamera an ihrer Seite. Mit welcher Realität wurden Sie konfrontiert?
Akuol de Mabior Meine Mutter musste erkennen, dass ihre Möglichkeiten, der Bevölkerung zu helfen, begrenzt sind. Dabei ist der Bedarf riesig. Die Not im Land ist grenzenlos – fast ein Drittel der Menschen hat durch den Konflikt ihre Heimat verloren, 80 Prozent davon sind Frauen und Kinder. Aufzugeben wäre eine logische Schlussfolgerung angesichts der Perspektivlosigkeit. Aber ich habe während meiner Dreharbeiten immer wieder Frauen getroffen, die die Hoffnung nicht aufgeben. Sie halten das Land zusammen. Ich denke nicht nur an meine Mutter, die auf politischer Ebene kämpft, sondern auch an meine Schwester, die im Katastrophenschutz arbeitet. Und an die vielen Mädchen, die auf den Straßen Tee verkaufen, um für sich und ihre Familien zu sorgen. Sie hätten allen Grund aufzugeben, aber sie stehen jeden Morgen auf und finden Wege, den Tag zu bestreiten.
arte Magazin Ihr Film entstand im Rahmen des Projekts „Generation Africa“, das neue Perspektiven auf Migration fördern will. Wie fügt sich „Rückkehr ins Land meiner Mutter“ in diesen Rahmen ein?
Akuol de Mabior Das dominierende Narrativ begreift Migration als Flucht aus der Heimat. Mein Film handelt von der Rückkehr dorthin.
arte Magazin Derzeit besuchen Sie zahlreiche Filmfestivals, auch in Europa und den USA. Wie empfinden Sie die Debatte um Migration, die dort geführt wird?
Akuol de Mabior Die westliche Sicht deckt nur einen Teil der weltweiten Wanderungsbewegungen ab. So richtet Europa den Blick auf das Mittelmeer, weil es der Seeweg ist, der den Kontinent mit Afrika verbindet. Dass der Großteil aller afrikanischen Migrierenden auf dem eigenen Kontinent verbleibt, ist hingegen weniger bekannt. Ebenso die Tatsache, dass bei der Durchquerung der Sahara doppelt so viele Menschen ums Leben kommen wie im Mittelmeer. Es gibt außerdem diese klare Vorstellung davon, wer diese Geflüchteten sind, die ihr Leben riskieren, um an einem anderen Ort zu leben. Es wird angenommen, dass es sich um Menschen handelt, die einer tragischen Situation entfliehen müssen. Aber wenn man mit jungen Leuten spricht, dann erzählen sie oftmals von ihren Ambitionen. Ich glaube, dass viele Wanderungsbewegungen mehr mit Träumen zu tun haben als mit Tragödien.
arte Magazin Wie kann die Wahrnehmung und Repräsentation Afrikas jenseits von Stereotypen besser gelingen?
Akuol de Mabior Zeigt mehr Menschen auf dem Kontinent – durch die Linse von Menschen auf dem Kontinent. Wir sind es so sehr gewöhnt, dass Journalisten von außerhalb Afrikas Geschichten über uns erzählen. Dieses Schema zu durchbrechen bedeutet nicht, dass die dominierende Berichterstattung verkehrt ist oder dass die Kriege und Tumulte in Afrika nicht real sind. Aber zur ganzen Wahrheit gehört mehr. Und wir müssen Platz dafür schaffen, dass diese Geschichten erzählt und gehört werden.
Selbsterzählend
25 Filmschaffende aus 16 afrikanischen Ländern erzählen Migration neu – und rücken so eurozentrische Zerrbilder zurecht.
Bilder afrikanischer Menschen, die sich auf Booten Richtung Europa drängen, prägen die Vorstellung von Migration – doch tatsächlich bleiben 80 Prozent aller Migrierenden aus Afrika der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge in Afrika. Zudem finden die Wanderungsbewegungen hauptsächlich auf dem Landweg und nicht auf dem Seeweg statt. „Das Problem an der dominierenden Berichterstattung ist, dass afrikanische Perspektiven nicht gezeigt werden“, sagt Don Edkins. Mit dem gemeinnützigen Medienunternehmen Steps will der Produzent aus Südafrika Raum für die Stimmen junger Afrikanerinnen und Afrikaner schaffen. Sie sind die größte Jugendbevölkerung der Welt, würden jedoch kaum berücksichtigt, so Edkins. 2018 rief Steps Filmemacherinnen und Filmemacher aus Ost- und Westafrika auf, Geschichten über Migration einzureichen.
Aus 180 Einsendungen wurden zunächst 45 Talente eingeladen, zu einwöchigen Entwicklungsworkshops nach Accra, Nairobi und Ouagadougou zu reisen. „Es war das erste Mal, dass sich so viele Filmschaffende aus französisch- und englischsprachigen Ländern über das Thema Migration ausgetauscht haben“, sagt die Produzentin Tiny Mungwe, die das Projekt gemeinsam mit Don Edkins leitete. 25 Geschichten aus 16 Ländern Afrikas wurden schließlich ausgewählt und mit Unterstützung von Steps sowie lokalen Produktionsfirmen koproduziert. Die Regisseurinnen und Regisseure von „Generation Africa“ dokumentieren Afrika selbst – nicht nur das Leben in ihren Ländern, sondern auch die Probleme und Träume. ARTE unterstützt das Projekt als Hauptsender in Europa und zeigt die Anthologie aus 25 einfühlsamen, mitreißenden und überraschenden Dokumentarfilmen im Juni in einem Schwerpunkt.