Fragiles Habitat

Für indigene Menschen im Kongo-Delta werden die Zeiten härter: Klimawandel, illegale Köhlerbanden und industrielle Bauvorhaben bedrohen ihren Lebensraum.

Eine Muscheltaucherin im Wasser
Zum 25-jährigen Jubiläum der 360° Reportage auf ARTE berichtet die Reihe aus dem Kongo-Delta. Dort ist die Muschelernte für viele Menschen die einzige Erwerbsquelle. Doch die Weichtiere werden seltener. Foto: Medienkontor / Lukas Wunschik / ARTE

Mitten im Kongo-Delta, im Grenzgebiet zwischen Angola und der Demokratischen Republik Kongo, liegt die Insel Kizunga Manianga. Auf den ersten Blick ein idyllischer Ort, inmitten eines Nationalparks, umgeben von mäandernden Flussarmen und dichten Man­grovenwäldern. Dort leben und arbeiten Muscheltaucherinnen wie ­Marie ­Velakutshi. Beinahe täglich begibt sich die Mittzwanzigerin mit ihren Freundinnen im trüben Wasser des Kongo, dem zweitlängsten Fluss Afrikas, bis zu dessen schlickigem Grund hinab, um dort Weichtiere einzusammeln: Galatea congica. Von den Einheimischen werden die wohlschmeckenden Muscheln Bibwati genannt.

150 oder mehr Tauchgänge absolvieren die Frauen der Manianga oft pro Tag, eine gefährliche Arbeit: „Bei Flut ist die Strömung des Flusses extrem stark“, sagt ­Velakutshi in der 360° Reportage „Die Muscheltaucherinnen vom Kongo-Delta“, die ARTE im September ausstrahlt. Doch auch bei Ebbe gilt: Wer sich nicht mit einer Rettungsleine an der Piroge festbindet – einem hölzernen Kanu, das die meisten Taucherinnen nutzen, um ihrem Job nachzugehen –, kann schnell aufs offene Meer getrieben werden. Und von dort seien nur wenige wohlbehalten zurückgekehrt, so Velakutshi.

Die starke Strömung ist beileibe nicht die einzige Gefahr: Immer wieder kommt es zwischen bewaffneten Schmugglerbanden und Grenzpatrouillen zu Schießereien und Verfolgungsjagden auf der vielbefahrenen Wasserstraße. Und wenn nicht gerade solche Gefahren lauern, warten womöglich Nilpferde im Fluss oder hungrige Krokodile an den Ufern.

Rund 50.000 Menschen leben auf Hunderten kleinen Inseln im Nationalpark, die meisten in einfachen Verhältnissen. Für viele von ihnen sind die Bibwatis ein essenzieller Teil der Lebensgrundlage. Das Fleisch der Muscheln ist sehr nahrhaft, und auf den Märkten im Umland herrscht eine große Nachfrage, denn aus den Schalen wird traditioneller Schmuck hergestellt, der bei Touristen begehrt ist. „Wir könnten viel mehr Muscheln auf dem Markt loswerden, aber die Ernte fällt von Jahr zu Jahr spärlicher aus“, sagt ­Marie ­Velakutshi. „Unsere Kinder werden nicht mehr vom Muscheltauchen leben können, was letztlich ein Segen ist, denn die Arbeit ist anstrengend und schlecht bezahlt.“ Wenn es gut läuft, verdienen die Taucherinnen umgerechnet rund 100 Euro pro Monat.

Den dramatischen Rückgang der Muschelpopulation führen Ökologen vor allem auf zwei Faktoren zurück: Zum einen hat der Grad der Verschmutzung des Flusses in jüngster Zeit deutlich zugenommen, weil Erdölkonzerne und andere Industriebetriebe ihre Abwässer oft ungefiltert einleiten. Zum anderen finden die Muscheln im Delta immer weniger Nährstoffe, was unter anderem daran liegt, dass die Mangroven an den Uferzonen der vielen Mündungsarme abgeholzt werden.

„Obwohl die Mangrovenwälder der Region seit 1992 unter Schutz stehen, weil sie das Wasser reinigen und für das ökologische Gleichgewicht der Region eine immens wichtige Rolle spielen, werden sie rücksichtslos gefällt“, sagt ­Grethel ­Aguilar, Direktorin der International Union for Conservation of Nature. Aus den Stämmen wird Holzkohle gewonnen, meist unmittelbar in Flussnähe – wobei zudem viel klimaschädliches CO₂ in die Atmosphäre gelangt. Die Jagd auf kriminelle Köhler steht für die Ranger im Nationalpark daher ganz weit oben auf der Agenda.

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Die Muscheltaucherinnen vom Kongo-Delta

ARTE 360° Reportage

Samstag, 21.9.
— 19.40 Uhr
bis 19.12. in der
Mediathek