So kurz vor einer Premiere sei jede Pause zwischen zwei Proben willkommen, sagt Michael Volle im Telefoninterview. Sein Lachen lässt die voluminöse Singstimme des Baritons erahnen. Volle besetzt aktuell die Rolle des Göttervaters Wotan in der Neuproduktion von Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ an der Berliner Staatsoper. Inszeniert wird das Mammutwerk von Regisseur Dmitri Tcherniakov, der für fantasievolle, moderne Interpretationen alter Stoffe bekannt ist. Die musikalische Leitung übernahm zunächst Generalmusikdirektor Daniel Barenboim, der jedoch aufgrund einer Erkrankung ausfällt. Wagner-Spezialist Christian Thielemann und Staatskapellmeister Thomas Guggeis springen ein. Die Produktion sei ein „künstlerischer Kraftakt, der sich lohnt“, betont Michael Volle.
arte Magazin Herr Volle, was sind für Sie die Besonderheiten der neuen „Ring“-Inszenierung und worin unterscheidet sie sich gegenüber früheren Aufführungen?
Michael Volle Dmitri Tcherniakov verfolgt einen unkonventionellen Ansatz. Alle vier Stücke finden im selben, übrigens wahnsinnig aufwendigen, Bühnenbild statt. Der Zyklus wirkt dadurch – trotz der großen Zeitsprünge – wie eine Einheit. Das Götterdrama wird auf die Gegenwart übertragen und vollzieht sich im Innenleben einer Firma. Surreale Elemente, wie Menschenversuche, spielen eine Rolle. Tcherniakovs Szenen wirken mystisch und visionär. So wie er für uns Musiker ein sehr fordernder Regisseur ist, so wird seine Inszenierung auch die Zuschauer fordern. Das Experiment wird zusammengehalten von der schier unbeschreiblichen Musik.
arte Magazin Wie verändert sich die Arbeit des Ensembles durch den neuen Dirigenten?
Michael Volle Es ist toll, dass ein großartiger Musiker wie Christian Thielemann so schnell einsteigen konnte. Wie bei Daniel Barenboim erfordert die Situation auch jetzt von uns allen sehr viel Konzentration. Einige Kolleginnen und Kollegen musizieren zum ersten Mal mit Christian Thielemann und man muss sich neu einstellen. Aber das gehört natürlich zu unserem Beruf.
arte Magazin Sie haben den Wotan bereits in einer „Ring“-Aufführung an der Staatsoper vor drei Jahren verkörpert. Was reizt Sie an der Partie?
Michael Volle Als Wagner langsam in mein stimmliches Spektrum rückte, habe ich ehrfürchtig auf die Rolle des großen Göttervaters geblickt. Heute finde ich es reizvoll, dass Wotan beileibe kein souveräner Held ist. Er verliert schon im „Rheingold“, dem ersten Teil der Tetralogie, enorm an Charisma und Glanz. Im „Siegfried“ wird er zu jemandem, der vergeblich versucht, zu alter Kraft und Größe zu gelangen, aber an dieser Aufgabe scheitern muss. Die Teile des Zyklus stellen musikalisch ganz unterschiedliche Anforderungen an mich. „Das Rheingold“ ist ein Kammerspiel, in dem viel Konversation stattfindet, ohne große Arien. Die anderen Teile sind voll wunderbarer Gesangspartien, die mich gesangstechnisch mehr fordern.
arte Magazin Das klingt, als müssten Sie sich auch körperlich intensiv auf die Rolle vorbereiten.
Michael Volle Ja, man muss sich tatsächlich einen Plan machen, wie man die langen Proben und Aufführungstage physisch durchsteht. Singen ist Hochleistungssport; wenn ich den gewaltigen Wotan verkörpere, spüre ich das besonders.
arte Magazin Nehmen Sie Erkenntnisse aus der Göttervater-Rolle in Ihren Alltag mit?
Michael Volle Durch die Beschäftigung mit Wotans Verfall wird mir die eigene Vergänglichkeit bewusster. Manchmal denke ich an Stefan Soltesz, den Dirigenten, der neulich während einer Vorstellung in München verstarb. Die Sorge um Daniel Barenboim macht das Thema noch präsenter, auch wenn wir alle hoffen, dass er spätestens zu seinem 80. Geburtstag im November wieder genesen sein wird. Letztlich ist es im Leben wie in der Musik: Nichts ist komplett planbar, alles ist stets im Wandel.