Vielarmige Banditen

In der Antike wettete man auf Wagenrennen, heute zocken immer mehr online: Das Glücksspiel ist nicht wegzukriegen – trotz Suchtgefahr, Geldwäsche und anderer Begleiterscheinungen.  

Illustration Glücksspiel online
Illustration: Sarah Matuszewski für ARTE Magazin

Vor zwei Jahren trat in Deutschland erstmals ein bundesweiter Glücksspiel-Staatsvertrag (GlüStV) in Kraft. Das Gesetz sollte die gröbsten Auswüchse des Glücksspiels kanalisieren. Doch die Bilanz fällt, wie der ARTE-Dokumentarfilm „Zocken ohne Limit“ zeigt, ernüchternd aus – vor allem in Sachen Suchtprävention. Das vorgesehene Sperrsystem, das an Spielsucht leidende Menschen von Casinos fernhalten sollte, sei nicht kontrollierbar, sagen Experten. Und dass mit dem Staatsvertrag virtuelles Glücksspiel praktisch legalisiert wurde, sei verheerend für Suchtgefährdete. Das Bundesfinanzministerium vermeldete im Jahr 2022 dann auch eine Rekordsumme an Steuerabgaben durch zugelassene Betreiber von Online-­Glücksspielen: mehr als zwei Milliarden Euro, Tendenz steigend. Ist das Einzige, was gewollt ist, also: spielen und spielen lassen?

Zocken ohne Limit – Online-Glücksspiel außer Kontrolle?

Dokumentarfilm

Dienstag, 11.7. — 22.00 Uhr
bis 3.7. in der Mediathek

DAS SPIEL DER VERFÜHRUNG

Influencer kennt man als dauerquasselnde Internet-Hausierer, die einem als beauftragte Verführer Mode, Schminke und andere Produkte in sozialen Medien aufdrängen. Relativ neu ist, wie im ARTE-Dokumentarfilm zu sehen: Auch für Online-Glücksspiel gibt es Influencer. Eine toxische Kombination, fanden reichweitenstarke Nutzer von Twitch, dem größten Live-Streaming-Videoportal für Computerspiele, das zu Amazon gehört. Unter dem Hashtag #TwitchStopGambling organisierten sie 2022 Widerstand gegen die Influencer, die es gezielt auf junge Spieler abgesehen hatten. Teils mit Erfolg: Die Plattform verschärfte ihre Richtlinien und untersagte die meisten Seiten, die Spielautomaten, Roulette oder Würfelspiele streamten. Zwar sind auf Twitch aktuell weiter Glücksspiele sichtbar, aber der Trend ist rückläufig – und die aktive Promo wirkt gebannt. Wie wichtig derartige Selbstregulierung ist, zeigt der laxe GlüStV: Er benennt Glücksspiel-Influencer und -Streamer nicht explizit als Problem. Werbung für Online-Casinos sollte „maßvoll“ sein, heißt es darin lediglich schwammig.

 

Illustration Glücksspiel Automat zeigt 7er-Reihe
Illustration: Sarah Matuszewski für ARTE Magazin


SPRUDELNDE MAFIAEINNAHMEN

„Der Staat macht sich lächerlich“, sagt Sebastian Fiedler, ehemaliger Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Seit Jahren kämpft der Spezialist für Wirtschaftskriminalität gegen die Auswüchse des Online-Glücksspiels und setzt sich für mehr Regulierung ein. „Hier werden Millionen mit Geldwäsche umgesetzt, und niemand tut etwas dagegen“, sagt er. Seit der Liberalisierung durch den Glücksspiel-Staatsvertrag werde erst recht entfesselt gezockt – und mafiöse Organisationen in ganz Europa verdienten mit. Vor allem im Sport: „Hier war und ist die Wettmafia schon immer im großem Stil unterwegs. Spiele werden manipuliert und auf die erfolgreiche Manipulation viel Geld gesetzt“, sagt Fiedler und betont: „Der Staat will die Steuer-Millionen. Da ist ihm alles andere egal.“ Ein Artikel des Recherchezentrums Correctiv attestiert vor allem der in Bonn anässigen nationalen Bankenaufsicht Bafin im Bereich Online-Glücksspiel ein Totalversagen: „Die Situation erinnert an den Wirecard-Skandal: Auch da fühlte sich niemand für die Aufsicht über den Konzern ausreichend zuständig“, heißt es darin.

Illustration Casino in Las Vegas
Illustration: Sarah Matuszewski für ARTE Magazin


OB WÜSTE ODER FLUSS:  GELD GOODBYE!

Roulette, Blackjack, Einarmige Banditen? Da träumt man, Hollywoods Legendenbildung sei Dank, noch immer von Nevadas Wüstenmetropole Las Vegas. Dabei fand Martin Scorsese in seinem Film „Casino“ (1995) deutliche Worte: „Las Vegas ist der einzige Ort, an dem Geld wirklich spricht. Es sagt: ‚Goodbye!‘“, warnt der von Robert De Niro gespielte Automatenkönig Frank. Mittlerweile hat das Mekka des traditionellen Glücksspiels längst rund um den Globus Konkurrenz. Asiens Casinohauptstadt etwa liegt 50 Kilometer südlich von Hongkong: Macau, eine Sonderverwaltungszone Chinas und das einzige Gebiet der Volksrepublik, in dem Glücksspiel legal ist. Mehr als 10 Milliarden US-Dollar erwirtschaften die gut 50 Casinos der Stadt jährlich mit Zockerei. Ein Geheimtipp dagegen: die einstige Hippie-Hochburg Goa an der Westküste Indiens. Dank Ausnahmen, die den Tourismus ankurbeln sollen, wächst hier die Zahl der Casinos stetig. Besonders beliebt sind mit Automaten vollgestopfte Flusskreuzfahrtschiffe, die entlang des Mandovi als sogenannte Offshore-Casinos verkehren. Und in Europa? Da zockt es sich traditionell im Fürstentum Monaco und dem Inselstaat Malta unbeschwert; auf dem restlichen Kontinent gibt es viele Restriktionen – und ebenso viele Schlupflöcher. 

 

Ilusstration Glücksspiel in der Antike
Illustration: Sarah Matuszewski für ARTE Magazin


ANTIKE GLÜCKSHELFER

Wer hat’s erfunden – die Ägypter, die Griechen oder doch die Chinesen? Tatsächlich belegen jahrtausendealte archäologische Ausgrabungen und schriftliche Aufzeichnungen, dass Glücksspiele in allen frühen Zivilisationen beliebt waren. Zu den ältesten Funden zählen sechsseitige Würfel aus Ton, Knochen und Elfenbein, die im 3. Jahrtausend v. Chr. im antiken China oder entlang des Nils im Einsatz waren. Auch eine ganze Reihe Gottheiten verweist auf frühzeitliche Zockerrunden: Altägyptische Zeichnungen zeigen etwa Thoth, den Gott der Weisheit, der Schrift und der Magie, wie er mit Verstorbenen würfelt. Bes, ein Zwerggott mit Hang zu Vergnügen, Tanz und Unterhaltung, wurde hingegen angerufen, um Unglück vom Senet-Brett, einem Vorläufer von Backgammon und „Mensch ärgere Dich nicht“, abzuwenden. Noch mehr als die Ägypter schätzten die alten Griechen den Kick beim Spielen und hinterließen eine ausgeprägte Mythologie dazu. Gewinnertypen suchten vor allem die Gunst der Glücksgöttin Tyche und des Götterboten Hermes, indem sie ihnen Gebete und Opfer darbrachten. Sogar Sportwetten gab es zu Zeiten von -Platon und -Aristoteles – statt Euro-Scheine auf Fußballspiele setzte man Drachme-Silbermünzen auf Wagenrennen oder Leichtathletikwettbewerbe.