Der Magier

Hitlerjugend und Kriegsgefangenschaft: Bevor er Kinder verzauberte, hatte Otfried Preußler viel Ballast geschultert. Er verarbeitete ihn in seinen Geschichten, allen voran im Welterfolg „Krabat“.

Ottfried Preußler Porträt
Das Foto zeigt den Autor im Jahr 1970. Foto: Chris-Nowotny_INTERFOTO

Otfried Preußler erlebt diese Begegnung wie ein Wunder. Nur in Lumpen gekleidet, zu Tode erschöpft und bis auf die Knochen abgemagert, sucht er, der deutsche Soldat in Kriegsgefangenschaft, Hilfe. Ein Sanitäter, ebenfalls Deutscher, hatte ihn zuvor abgewiesen. Dann trifft er in den Fluren des Lagerlazaretts in ­Jelabuga Doktor ­Wolkowa. Obwohl die sowjetische Ärztin ihren einzigen Sohn in einer Schlacht gegen Nazi-Deutschland verloren hat, schickt sie den verzweifelten Wehrmacht-­Leutnant nicht zurück zu seinen Kameraden. Sie reagiert mit Menschlichkeit. Der Hilfesuchende wird in einen hölzernen Badezuber gepackt, gefüllt mit wohltuend warmem Wasser, er bekommt frische Kleidung, heiße Suppe zu essen und wird gründlich untersucht. „Sie sind jung, Sie dürfen nicht aufgeben“, sagt die Frau mit dem weißen Kittel zu dem knapp 20-Jährigen. Der Gefangene wiegt zu diesem Zeitpunkt nur noch 45 Kilogramm. „Diese Frau hat meinem Vater das Leben gerettet. Sie hat ihn wieder zu einem Menschen gemacht“, sagt ­Susanne Preußler-­Bitsch, die Tochter des späteren Schriftstellers in der ARTE-Dokumentation „­Otfried ­Preußler – Ich bin Krabat“.

Otfried Preußler – Ich bin Krabat

Porträt

Mo., 2.10. — 22.05 Uhr
bis 30.12. in der
Mediathek

2.500 KILOMETER ZU FUSS

„Es war eine sehr harte Zeit, die nicht alle überlebten. Doch ich hatte Glück“, fasste Preußler, der im Oktober 100 Jahre alt würde, die Gefangenschaft später in einem Fernsehinterview zusammen. Die knappen Worte sind typisch für ihn. Statt mit vielen Details arbeitete er das in jungen Jahren Erlebte lieber über Umwege auf: in seiner Literatur – mal mehr, mal weniger offensichtlich. Seine Kinder- und Jugendbücher, darunter „Die kleine Hexe“ (1957), „Der Räuber Hotzenplotz“ (1962), „Das kleine Gespenst“ (1966) und sein düsteres literarisches Meisterwerk „Krabat“ (1971), verkauften sich weltweit mehr als 40 Millionen Mal. 

Ob es am Erfolg lag oder an der unbändigen Freude der Kinder – allzu neugierige Nachfragen zu seiner Vergangenheit ersparte man -Preußler lange Zeit. Dabei war ausgerechnet er, der freigeistige Schöpfer so vieler lustiger Gestalten, als Heranwachsender begeistert von den Nazis – und dem Angriffskrieg der Deutschen. Sein erster Roman „Erntelager -Geyer“, 1941 verfasst, wurde jedoch erst nach seinem Tod im Jahr 2013 ausführlich erforscht. Das Buch verbinde die abenteuerliche Welt eines Burschenlagers der Hitlerjugend mit dem Enthusiasmus für den Nationalsozialismus und der Hochachtung des Bauernstandes, heißt es in einem Beitrag des Österreichischen Rundfunks. Während das Buch in früheren Biografien nie eine Rolle spielte, wird es in einer derzeit laufenden Sonderausstellung des Sudetendeutschen Museums in München („Ein bisschen Magier bin ich schon“) immerhin kurz erwähnt: „Der Text entspricht dem politischem Zeitgeist, dem der Autor damals folgte“, so die knappe Einordnung in einem Zeitstrahl. 

 

kleine Hexe Ottfried Preußler
Ottfried Preußlers "Die kleine Hexe". Illustration: Thienemann_picture-alliance_dpa

Dass sich Otfried Preußlers Ansichten grundlegend veränderten – die barmherzige Retterin in Jelabuga trug mit Sicherheit dazu bei. Aber auch die Gefangenschaft an sich. Vorausgegangen war dem sowjetischen Lager ein Gewaltmarsch: Nachdem die Rote Arme ­Preußler und Hunderte weitere deutsche Soldaten 1944 an der Ostfront gefangen genommen hatte, ließ sie die Besiegten sieben Wochen lang zu Fuß 2.500 Kilometer durch die Kälte marschieren. Bis zum Ende seiner Lagerhaft sollten fünf lange Jahre vergehen. Viel Zeit zum Reflektieren für den jungen Mann, geboren im böhmischen Reichenberg. Woher kam seine blinde Gefolgschaft für die Nazis? Was sollte die Begeisterung für den Krieg?  

Nach seiner Freilassung im Jahr 1949 ließ sich ­Preußler dort nieder, wohin seine Familie nach der Vertreibung aus Böhmen geflüchtet war: im oberbayerischen Rosenheim. Dort arbeitete er erst als Lokaljournalist, dann als Lehrer. Texte schrieb er fortan recht obsessiv, fast so, als wolle er die verlorene Zeit als Inhaftierter aufholen. Neben Hörspielen für den Kinderfunk verfasste er Theaterstücke, in denen er sich vom Wahn des Nationalsozialismus distanzierte. Eine erste Aufarbeitung. Der Durchbruch als Schriftsteller gelang Preußler schließlich 1956 mit dem Kinderbuch „Der kleine Wassermann“. Die neugierige, junge Hauptfigur erkundet darin eine abenteuerliche Welt über und unter Wasser und schließt neue Freundschaften.

 

Ottfried Präußlers Raben
Raben aus "Krabat". Illustration: Thienemann-Verlag.

Krabat

Literaturverfilmung

Mo., 2.10. — 20.15 Uhr
bis 13.10. in der Mediathek

Während er in den 1960ern teils zwei Kinderbücher pro Jahr veröffentlichte, sollte sich ein Werk als Mammutaufgabe entpuppen: das für Heranwachsende gedachte „Krabat“. Zehn Jahre lang feilte ­Otfried ­Preußler an der Geschichte, die auf einer sorbischen Sage basiert. 1971 veröffentlicht wurde sie prompt ein Welterfolg, der ­Preußler in die Riege der erfolgreichsten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts aufsteigen ließ. Schnell lässt sich „Krabat“ als Parabel auf die Schrecken der NS-Zeit lesen: Schauplatz ist eine mysteriöse Mühle in der Lausitz, wo der Müllermeister perfide schwarze Magie praktiziert. Dank ­Preußlers präziser Sprache eröffnet sich eine düstere, aber anziehende Welt, in der die Folgen von Machtmissbrauch und Unterdrückung erlebbar und begreiflich werden. Der Autor lässt keinen Zweifel aufkommen: Am Ende, so die Message von „Krabat“, macht sich innerhalb eines diktatorischen Systems nur eines bezahlt: der Kampf für die Freiheit und die Liebe.