Ein sogenanntes perfektes Weihnachtsfest wünsche sie sich schon lange nicht mehr, erklärt Pia Hierzegger lachend. Um für mehr Entspannung von Konsumwahn und Hektik zu sorgen, wolle ihre Familie in diesem Jahr sogar auf Geschenke verzichten. Die 50-jährige Österreicherin ist eine der Autorinnen des siebenteiligen Episodenfilms „Schrille Nacht“, der von Weihnachtstagen zwischen Besinnlichkeit und Wahnsinn handelt. Als Schauspielerin gilt sie als Meisterin des „mimischen Minimalismus“ (Die Welt). Ihre Drehbücher wie für „Die Notlüge“ (2017) oder „Waidmannsdank“ (2020) zeichnet ein kritischer, sarkastischer Blick auf die österreichische Gesellschaft aus.
arte Magazin Frau Hierzegger, Weihnachtsfilme erzählen oft von heiler Welt – eigentlich so gar nicht Ihr Metier. Was hat Sie an dem Genre interessiert?
Pia Hierzegger Ich finde es spannend, dass Weihnachten immer so hochgehalten wird. Egal, was um uns herum in der Welt passiert, diese Tage werden gefeiert, komme, was wolle. Die Idee für meine Episode ist aus einer Alltagssituation heraus entstanden. Sie erzählt von einer gestressten Mutter, die mit ihrer Tochter an Heiligabend auf dem Weg zum Kindsvater im Zug feststeckt. Ich fahre die Strecke zwischen Graz und Wien sehr häufig und bin dort selbst schon einmal liegen geblieben. Jeder kennt das eklige Gefühl von Abhängigkeit, wenn man auf dem Weg zu einem wichtigen Termin ist und der Zug plötzlich stehen bleibt. In Deutschland passiert Ihnen das vermutlich sogar noch häufiger als uns hier in Österreich. Der Grund, warum der Zug nicht weiterfährt, wird im Film zwar nicht explizit genannt, schwebt aber durch den Begriff „Personenschaden“ über der ganzen Episode. Mir war es wichtig, eine Weihnachtsgeschichte ohne Filter, ohne Weichzeichner zu erzählen. Allerdings würde ich den Film heute wohl etwas anders anlegen.
arte Magazin Was würden Sie anders machen?
Pia Hierzegger Das Drehbuch habe ich vor Corona geschrieben, was man schon daran erkennt, dass niemand im Zug eine Maske trägt – heute unvorstellbar. Ob Flugscham oder Krieg, eines der vielen Themen und Krisen, die uns derzeit beschäftigen, würde sicherlich in der Geschichte mitschwingen. Andererseits hat sich die Regie für die bunte, ein bisschen magische Ästhetik entschieden, die diese Episode jetzt hat. Mich persönlich hat das gleich in die Weihnachtstage meiner Kindheit zurückversetzt.
arte Magazin Sie haben mal gesagt, Drehbücher zu schreiben sei wie Schnapsbrennen. Was meinen Sie damit?
Pia Hierzegger Ich finde, dass eine Geschichte dann gut erzählt ist, wenn man die vielen Zutaten, die Erlebnisse und Eindrücke, die in sie eingeflossen sind, nicht mehr wahrnimmt. Stattdessen bleibt nur noch die Essenz übrig, verdichtet und klar. Wie Schnaps eben. Deshalb hat mir auch diese Form des Episodenfilms so gefallen, in der ich mich auf wenige Minuten des Erzählens beschränken musste. Schnaps wirkt schließlich auch in kleinen Dosen am besten. Wenn man kein Maß kennt, wird einem schnell schlecht.
arte Magazin Wenn Sie ein Drehbuch über ein typisches Weihnachtsfest bei Ihnen schreiben müssten, wie würde das aussehen?
Pia Hierzegger Wahrscheinlich so unspektakulär, dass es nicht einmal für einen Kurzfilm reichen würde. Wunderbar, oder? Ich brauche glücklicherweise wenig, um mich wohlzufühlen – nur gutes Essen und meine Familie. Allerdings teile ich die Fluchttendenz auch nicht, die viele Menschen an den Feiertagen umtreibt. Vor lauter Hektik und Stress wollen sie am liebsten auf eine Südseeinsel fliegen und Weihnachten weit hinter sich lassen.