ARTE Magazin Herr Zuchtriegel, was zeichnet Ihre Arbeit als Pompeji-Direktor aus?
Gabriel Zuchtriegel Mir geht es darum, das Weltkulturerbe als Teil einer Kulturlandschaft zu verstehen. Es ist paradox: Je besser Pompeji dasteht, desto größer wird der Graben, der uns vom Umland trennt. In der Peripherie von Neapel gibt es viele soziale und ökonomische Probleme und eine lokale Kulturlandschaft, die Aufmerksamkeit benötigt. Die Frage ist: Wie kann man ein internationaler Ort für Forschung, Tourismus und Denkmalpflege sein und gleichzeitig die lokale Community einbinden?
ARTE Magazin Wie gelingt Ihnen das?
Gabriel Zuchtriegel Wir haben angefangen, Theater mit Jugendlichen aus der Umgebung zu machen. Dadurch entwickeln sie eine andere Beziehung zu Pompeji – einschließlich ihrer Familien und Freunde, die jetzt auch die Grabungen besuchen. Es gibt Leute, die ein paar Hundert Meter entfernt wohnen und die nicht kommen, weil Pompeji für sie wie ein Ufo ist. Ein anderes Projekt ist das Gärtnern für Kinder, denen wir die Geschichte der Agrikultur vermitteln wollen. Die Kinder nehmen dann ein Stück Pompeji mit nach Hause, in Gestalt eines Salatkopfes.
ARTE Magazin Worin liegt der Zauber Pompejis?
Gabriel Zuchtriegel Es hat sicher mit der Dimension zu tun. Man hat fast Scheu, ein Zimmer zu betreten, weil es so wirkt, als ob es gerade erst verlassen wurde. Gräbt man ein Haus aus, in dem kurz vor dem Vesuvausbruch Ziegel für Umbauten bereitgestellt wurden, ist das überwältigend. Es zeugt von der Hoffnung, Zuversicht und den alltäglichen Problemen, mit denen die Leute hier gelebt haben wie wir heute. Das lässt sich auch aus den Graffitis schön herauslesen. Dann endet plötzlich alles und versinkt im Schlaf. Das hat tatsächlich etwas Verzaubertes. Man sieht die schönen Fresken ja nur, weil sie durch die heiße Asche versiegelt wurden. In dieser Ascheschicht finden wir Hohlräume, die es erlauben, Abgüsse von Möbeln oder eben Tieren und Menschen anzufertigen, die darin umgekommen sind. Durch den Abguss kann man ihnen direkt ins Gesicht schauen. Schon damals wurde das Leben in Bezug zur Vergänglichkeit gesetzt, was auch bedeutet, es trotzdem zu genießen – oder gerade deswegen.
Zur Person
Gabriel Zuchtriegel, Direktor des Archäologischen Parks Pompeji
Der 1981 geborene deutsch-italienische Archäologe beschreibt in seinem Buch „Vom Zauber des Untergangs: Was Pompeji über uns erzählt“ (2023), wie die Funde aus der Antike uns heute verändern können.