Der König des Erdreichs

Er gehört zu den stärksten Tieren der Welt und ist ein unverzichtbarer Alleskönner: der Regenwurm. So nützlich und wichtig er für die Böden ist – der Wurm ist gefährdet.

illustrierter Regenwurm
Illustration: Nik Neves


FREUNDE DES KOMPOSTS

Für Kleingärtnerinnen und -gärtner ist es relativ einfach, sich bei Regenwürmern beliebt zu machen: Am besten, man macht möglichst wenig. Denn: Je wilder das Grün, desto besser für den Wurm. „Ein bunter Garten mit Blumen- und Gemüsebeeten sowie Obstbäumen wird durch viele Regenwürmer bereichert“, sagt Diversitätsexperte Stefan Schrader. Er arbeitet am Braunschweiger Thünen-Institut für Biodiversität und forscht unter anderem im Bereich Bodenzoologie. „Wer sich hingegen nach dem perfekten englischen Rasen sehnt, wird wohl kein Wurmfreund – und ohnehin über die Haufen der Tierchen fluchen.“ Domestizierte Arten wie Mistwürmer sorgen auf Komposthaufen für natürlichen Dünger. Wer nährstoffreiche Blumenerde selbst herstellen will, kann sie in sogenannten Hauskompostern einsetzen. Das sind Behältnisse, in denen der Biomüll aus der Küche landet. Sobald man Obst- und Gemüsereste hineingibt, machen sich die Mistwürmer an die Arbeit. So entsteht aus zehn Kilo Biomüll am Ende ein Kilo Wurmhumus, der im Vergleich zu gewöhnlicher Gartenerde etwa siebenmal mehr Nährstoffe enthält. 

DAS REGENWURM-MANIFEST

Bisher existieren kaum effektive Maßnahmen zum Schutz des Regenwurms. Dabei forderte der WWF Deutschland bereits in seinem 2016 veröffentlichten „Regenwurm-Manifest“ eine bodenschonendere und somit wurmfreundlichere Landwirtschaft. Die Natur- und Umweltschutzorganisation warnt darin vor den Folgen einer „verarmten Regenwurmgemeinschaft“. Ein Mangel an Würmern führe nicht nur zu weniger fruchtbaren Äckern, auch verstärkte Überschwemmungen drohten. Die Ursache: Die Wurmröhren gewährleisten die Wasseraufnahme der Böden. Nötig sind laut WWF eine Reduzierung der Flächenbebauung, der Ausbau an Öko-Landwirtschaft sowie mehr Naturschutzgebiete. Für jede asphaltierte und bebaute Fläche, betont das Manifest, werde nicht nur der Boden, sondern auch das Tunnelsystem und die Würmer selbst plattgedrückt. In der Landwirtschaft werde den Regenwürmern der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und zu viel Dünger sowie die immer schwereren Maschinen zum Verhängnis.

KOSTBARER KOT

Um sich in die Tiefen des Bodens hineinzuwühlen, braucht es eine Menge Muskelkraft. Deswegen ist ein Regenwurm in der Lage, das 60-fache seines Körpergewichtes zu stemmen. Damit gehört er zu den stärksten Tieren der Welt. Doch das ist noch nicht sein größtes Talent. In seiner Funktion als Zersetzer nimmt er eine zentrale Rolle ein. „Regenwürmer fressen Boden, also mineralische Komponenten, und Organisches wie Pflanzenreste“, erklärt Schrader. „Beide Bestandteile werden im Darmsystem vermengt und ergeben extrem nährstoffreiche Ausscheidungen.“ Mit ihrem wertvollen Kot kleiden die nachtaktiven Tiere ihre gegrabenen Tunnel aus und erschaffen fruchtbare Erde. Für das Ökosystem Boden ist der Regenwurm unverzichtbar. Als Teil der Nahrungskette ist er auch oberirdisch von Bedeutung. Wenn er das Tageslicht erblickt, um seine Kothäufchen abzulegen, dient er Käfern, Säugern und Vögeln als Beute. 

MILLIONEN TONNEN WURM

Ob Aal- oder Tauwurm, Mist-, Stink- oder Kompost-wurm: Es gibt viele Beinamen für den Regenwurm, von dem weltweit rund 7.000 Arten bekannt sind. In Frankreich nennt man ihn schlicht „ver de terre“, den Erdwurm. Im Rahmen des Earth Day zeigt ARTE, warum der Regenwurm unverzichtbar für uns Menschen ist – und warum es gar nicht genug davon geben kann. Dort, wo natürliche Kreisläufe intakt sind, gibt es tatsächliche eine ganze Menge Wurm: Laut Untersuchungen der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau übersteigt die Biomasse von Regenwürmern das Gewicht aller Menschen und Nutztiere fast um das Doppelte. Demnach kriechen allein in Baden-Württemberg mehr als 2,8 Millionen Tonnen Wurm im Erdreich. 

HEILIGE EINGEWEIDE

Bereits die alten Ägypter und Griechen wussten um die Bedeutung der Regenwürmer und sprachen sie heilig. Aristoteles betitelte sie ehrfürchtig als „Eingeweide der Erde“. Diese Metapher hinkt keineswegs, denn auf einem Quadratmeter gesundem Boden leben heute wie damals rund 100 bis 400 Exemplare. „Regenwürmer gestalten und formen das gesamte Bodenprofil, indem sie Gänge graben“, erklärt Diversitätsexperte Stefan Schrader. Die sowohl vertikal als auch horizontal verlaufenden Gangsysteme der Würmer versorgen die Erde mit Sauerstoff und helfen Pflanzenwurzeln, Mineralien und Spurenelemente aufzunehmen. Doch auch der aktivste Regenwurm braucht ab und zu eine Auszeit: Wird es zu heiß oder zu kalt, ringeln sich die Tiere zusammen und ruhen in der Erde.

Im Reich des Regenwurms

Wissenschaftsdoku

Sa., 22.4. — 21.45 Uhr
bis 20.7. in der Mediathek