Schimmernde Seidenstoffe, zerbrechliches, exotisch bemaltes Porzellan, haarfein ziselierter Silberschmuck – allesamt chinesische Waren von größter Exklusivität. Was davon an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit Europas Fürstenhöfe erreichte, ließ die Menschen hierorts staunen. Das unbekannte Land im fernen Asien erschien ihnen als Hort unermesslicher Pracht und Herrlichkeit. Ein irdisches Paradies oder mehr noch: wie nicht von dieser Welt. Vorstellungen, zu denen die spärlichen Reiseberichte etwa aus der Feder päpstlicher Gesandter, vor allem aber die Schilderungen des venezianischen Kaufmanns Marco Polo schon seit dem 13. Jahrhundert beigetragen hatten.
Wie ganz und gar im Diesseits verankert das Reich der Mitte in Wirklichkeit stets war, zeigt die dreiteilige ARTE-Dokumentation „Pures Silber. Oder: Wie China zur Weltmacht wurde“. Spätestens im 16. Jahrhundert waren demnach die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den Kontinenten und Herrschaftsräumen so ausgeprägt, dass von einer beginnenden Globalisierung gesprochen werden kann, die bis heute unsere Welt prägt.
Schon die Römer schätzten chinesische Seide
Beziehungen, wenn auch nur indirekte, zwischen China und Europa existierten bereits in der Antike. Schon die Römer schätzten edle chinesische Seide, ohne allerdings eigenhändig Handelskontakte in diesen Teil der Welt zu unterhalten oder ein konkretes Bild von ihm zu haben. Zur Zeit des europäischen Mittelalters gelangten chinesische Seefahrer über den Indischen Ozean bis nach Afrika – lange bevor der Portugiese Bartolomeu Dias als erster Entdecker aus westlicher Richtung kommend 1487 die Südspitze des Kontinents umsegelte. „Auf jeden Fall bis zum 13. Jahrhundert, aber auch noch zu Beginn der Ming-Dynastie fanden regelmäßig Schiffsreisen von China aus in Richtung Afrika statt“, sagt die Sinologin Dagmar Schäfer im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Neuere Forschungen belegten das durch schriftliche Aufzeichnungen, aber auch durch Funde, etwa aus Porzellan, das bis an die Westküste Afrikas gebracht worden sei. „Diese Handelsbeziehungen werden jetzt erst näher untersucht – auch weil China sich in Afrika heute wirtschaftlich stark engagiert. Durch genetische Forschung und neue Möglichkeiten der Materialkunde werden da ganz viele Dinge entdeckt“, erläutert die Direktorin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, die für ihre Arbeiten über China unlängst mit dem LeibnizPreis ausgezeichnet wurde, dem höchstdotierten deutschen Forschungsförderpreis.
Neben dem Seeweg Richtung Afrika und Arabien war die Seidenstraße von handelspolitischer Bedeutung. Der Begriff stammt aus dem 19. Jahrhundert; die viele Tausend Kilometer langen Karawanenrouten von China durch Zentralasien bis in die Levante und nach Europa bestanden aber teils seit dem ersten vorchristlichen Jahrhundert. Nach dem Niedergang des alten Rom wurden die Wege für Reisende und Händler vorübergehend zu unsicher, im Mongolenreich des Dschingis Khan und seiner Nachfolger aber erfuhr die Seidenstraße eine Wiederbelebung. Zwar waren die Reitervölker aus den asiatischen Steppen wegen ihres kriegerischen Expansionsdrangs gefürchtet, doch herrschten im Riesenreich der Khans vergleichsweise sichere Verhältnisse. Pax Mongolica nannten westliche Autoren diese innere Ordnung in Anlehnung an die antike Pax Romana. Dieser Mongolische Friede habe ermöglicht, „dass im 13. und 14. Jahrhundert schon richtiger Welthandel stattfand“, sagt Dagmar Schäfer. Textilien aus hiesigen Kirchen zeugen heute davon.
Für einen kräftigen Schub im globalen Handel sorgten vor gut 450 Jahren zwei zunächst voneinander unabhängige Entwicklungen: Silberfunde in Südamerika und eine Steuerreform in China. Dort setzte in der Ming-Dynastie (1368–1644) ein mächtiger Beamter, der Erste Sekretär Zhang Juzheng (1525–1582), eine radikale Neuerung durch: Seit Menschengedenken hatten die Chinesen ihre Abgaben in Naturalien wie Getreide oder Reis entrichtet, nach komplizierten, oft unzuverlässigen Berechnungen. „Mit der Reform – genannt ,Ein einziger Peitschenhieb‘ – werden unterschiedliche Besteuerungsarten zu einer einzigen Zahlung in Silber zusammengefasst. Diese Besteuerung ist für den Staat viel leichter einzutreiben“, erklärt Wirtschaftshistoriker Richard Von Glahn, Professor an der University of California in Los Angeles und einer der Experten in der ARTE-Doku „Pures Silber. Oder: Wie China zur Weltmacht wurde“.
Die fiskalpolitische Entscheidung von 1581 sollte Chinas Schicksal für Jahrhunderte bestimmen. „Das Vertrauen in Silber hat in China fast religiösen Charakter“, verdeutlicht David Li Daokui, Wirtschaftsprofessor an der Pekinger Tsinghua-Universität in der ARTE-Doku, „historisch betrachtet ist Silber unser Gold.“ Der immense Bedarf an dem Edelmetall war nicht lange aus Chinas eigenen oder aus japanischen Quellen zu decken. Eine historische Gelegenheit für die Spanier, die kurz zuvor in ihren südamerikanischen Kolonien begonnen hatten, riesige Silbervorkommen auszubeuten. Der Schatz aus dem Cerro Rico, dem Reichen Berg, bei Potosí im heutigen Bolivien, fand seinen Weg nach Asien, in die ebenfalls spanisch beherrschten Philippinen.
Silberschatz in Schiffsbäuchen
Mit dem Zehnfachen der damals üblichen Fracht beladene Manila-Galeonen, gleichsam die Containerschiffe ihrer Epoche, segelten ab Ende des 16. Jahrhunderts vom mexikanischen Acapulco aus 15.000 Kilometer über den Pazifik. Das Silber in den Schiffsbäuchen wurde zum Bindeglied dieser transkontinentalen Handelsbeziehungen. Zurück kehrten sie mit Gewürzen, Porzellan, Seide – und Sklaven.
Eine „Wasserscheide“ nennt Sinologin Dagmar Schäfer den geschichtlichen Moment. Auch weil die Ming-Dynastie in ihrer Spätphase schwächelte, gewann die Kaufmannschaft in der Gesellschaft an Bedeutung. Am lange Zeit einzigen chinesischen Außenhandelsplatz Kanton wuchs eine reiche, mächtige Gilde heran. Zur Zeit der Qing-Dynastie (1644–1912), der letzten, die Chinas Kaiser stellte, wurde das Land mehr und mehr vom Lieferanten kunsthandwerklicher Preziosen zur Werkbank der Welt. Massenware aus Porzellan und Metall verließ die Fabriken Richtung Europa. Umgekehrt zeigte China wenig Interesse an ausländischen Produkten – ein heraufziehender Handelskonflikt, der an die Jetztzeit erinnert und schon im 19. Jahrhundert zu Spannungen und kriegerischen Auseinandersetzungen mit den imperialen Mächten führte.
Begeisterung für China, aber auch Misstrauen und Misstöne – eine Ambivalenz, die für Dagmar Schäfer leicht erklärbar ist: „Es gibt eine große Masse an Menschen, die sich über eine Sprache und Kultur definieren. Und je größer diese Masse ist, desto größer ist die Faszination, aber desto größer sind auch die Ängste bei den anderen.“