Als am 7. Dezember 2022 bundesweit 3.000 Polizisten ausrückten, um die Rädelsführer der „Patriotischen Union“ um Heinrich XIII. Prinz Reuß zu verhaften, war das der größte Antiterroreinsatz der deutschen Kriminalgeschichte. Der Vorwurf: Planung eines bewaffneten Staatsstreichs. Bereits zuvor war eine andere Reichsbürger-Gruppe ausgehoben worden, die „Vereinten Patrioten“ mit einer 75-jährigen Ex-Lehrerin als führendem Mitglied. Sie hatten durch Stromausfälle einen Systemsturz erzwingen und Gesundheitsminister Karl Lauterbach entführen wollen. Falls es noch letzte Beweise für die Gefährlichkeit des Milieus mit seinem Hang zur Bewaffnung bedurfte, spätestens jetzt waren sie erbracht.
23.000 sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter weist der jüngst veröffentlichte Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) aus – Tendenz steigend. Lange waren die erklärten Gegner des Staates eher unterm Radar geblieben. Nachdem 2016 bei Einsätzen gegen Reichsbürger ein Polizist durch Schüsse getötet und weitere verletzt wurden, erklärte das Bundesamt die Szene zum „Beobachtungsobjekt“. Dabei gab es bereits Mitte der 1970er Jahre bekennende Vertreter – und erste Anschläge.
Von einer „sehr heterogenen Gruppe“ spricht BfV-Präsident Thomas Haldenwang in der ARTE-Dokumentation „Reichsbürger – Innenansichten einer extremistischen Bewegung“. Als gewaltorientiert gelten laut aktuellem Verfassungsschutzbericht 2.300 Personen, 1.250 Anhänger der Bewegung stuft die Behörde demnach als rechtsextremistisch ein. Für die Sozialpsychologin Pia Lamberty spricht vieles dafür, die Reichsbürger „stärker in den Rechtsextremismus einzuordnen, als es bislang geschieht“. Manche fielen vor allem durch Massenschreiben an Behörden auf, ein verschwörungsideologisches Weltbild aber sei die Regel. Dazu käme die Nichtanerkennung des Staates, und: Antisemitismus spiele oft eine große Rolle. Die Mitgründerin des Thinktanks Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) forscht und berät zu genau diesen gesellschaftlichen Themen.
CORONA-DEMOS ALS RESONANZRAUM
In den vergangenen Jahren hätten die Proteste gegen Corona-Schutzmaßnahmen der Bewegung Auftrieb gegeben, so Lamberty im Gespräch mit dem ARTE Magazin. „Das war ein rechtsextremer Resonanzraum.“ Straftaten im Zusammenhang damit seien häufig unter „Sonstiges“ oder „Nicht zuzuordnen“ erfasst worden. Als „Entpolitisierung politischer Straftaten“ kritisiert das die Wissenschaftlerin. Die Sicherheitsbehörden seien mit ihren Kategorien an Grenzen gestoßen. Dafür, dass einschlägige Thesen weit in die Gesellschaft hinein verbreitet werden, sorgten etwa Telegram-Kanäle mit vielen Followern. Die erreichten nicht nur „hoch ideologisierte Reichsbürger“.
Vom CeMAS wird die Bewegung unter dem Oberbegriff „verschwörungsideologischer Souveränismus“ geführt. Mit ihrer Rückbesinnung auf Preußen, das Kaiserreich oder die Grenzen von 1937 sind die Reichsbürger dabei zwar eine spezifisch deutsche Spielart, aber keineswegs allein in der Welt. Pia Lamberty: „Das Phänomen kennt man etwa in den USA, in Russland oder in Großbritannien.“ Anders als etwa bei organisierten Neonazis gebe es zwischen den „Sovereign Citizens“ – Staatsfeinden in Europa und weltweit – eher lose Kontakte als enge Netzwerke. Vereint seien sie meist in ideologischen Versatzstücken. Die bestehen etwa aus pseudojuristischen Rechtfertigungen, mit denen der Bundesrepublik und allen politischen und sonstigen Repräsentanten die Legitimität abgesprochen wird.
Bund und Länder haben Ratgeber im Angebot, mit deren Hilfe sich Behörden gegen renitente Reichsbürger zur Wehr setzen sollen. Jedenfalls gegen solche, die sie mit wirren Schriftstücken, Fantasiedokumenten und langwierigen Diskussionen in Amtsstuben belegen. Oder die sich weigern, Steuern, Abgaben und Bußgelder an einen Staat zu entrichten, von dem sie sich loszusagen versuchen. Lieber zahlen manche Reichsbürger an selbst ernannte Regenten wie den Gründer des „Königreichs Deutschland“, Peter Fitzek. Wegen illegal betriebener Finanzgeschäfte und anderer Delikte mehrfach verurteilt, ist der „König von Deutschland“ mit seinem Fantasiestaat in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen auf Expansionskurs. Antisemitismus und enge Kontakte zu Rechtsextremen garniert Fitzek mit esoterischen Heilsbotschaften. Eine Mischung, die in der Szene ebenso gut ankommt wie eigens gedruckte Ausweisdokumente, Grenzschilder und Autokennzeichen. Das Fazit von Sozialpsychologin Pia Lamberty: „Reichsbürger werden in ihrer Gefährlichkeit immer noch unterschätzt.“
2012
Landnahme: Gründung des „Königreichs Deutschland“ durch Peter Fitzek, Esoterik-Autor, verurteilter Finanzbetrüger und selbst ernannter „König von Deutschland“ in Wittenberg (Sachsen-Anhalt). Etliche weitere Fantasiereiche entstehen in Deutschland.
2016
Umdenken: In Sachsen-Anhalt eskaliert die Räumung des „Staat Ur“ von Adrian Ursache. Unterstützer Wolfgang Plan erschießt kurz darauf im bayerischen Georgens-gmünd einen SEK-Beamten. Der Verfassungsschutz erklärt die Szene zum Beobachtungsobjekt.
2020
Sturm: Ein Mob aus Rechtsextremen und Reichsbürgern dringt Ende August bis an die Zugänge des Reichstags vor. Vorangegangen sind eine Kundgebung der Gruppierung „staatenlos.info“ und Querdenker-Demonstrationen gegen staatliche Corona-Maßnahmen.
2022
Terror: Festnahmen von Reichsbürgern wie der pensionierten Lehrerin Elisabeth R., die Gesundheitsminister Karl Lauterbach entführen wollte, sowie der bewaffneten Putschisten um Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß