Die Königinnen der Lüfte

Die Ära der Großraumjets gilt als beendet, seit ­Boeing und ­Airbus jüngst die Produktion des Jumbojets und der A380 einstellten. Viele Fluggesellschaften setzen die Riesen­flieger jedoch weiterhin ein – weil Alternativen fehlen.

Airbus A380
Drehkreuz Dubai: Ohne den Airbus A380 (Foto) wäre der Erfolg der Fluglinie Emirates kaum möglich gewesen. Auch für das rasante Wachstum der größten Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate und ihres Flughafens spielte der Riesenflieger eine entscheidende Rolle. Foto: Vidicom / Bardehle / RBB

Der Abend des 6. Dezember 2022 war eisig kalt in Everett, nördlich von Seattle. Es war bereits dunkel, als sich das riesige Hangartor im Boeing-­Werk öffnete. Innen erleuchteten Tausende Deckenlampen das 1966 als Produktionsstätte für die ­Boeing 747 errichtete Gebäude taghell. Die Hauptattraktion wirkte beinahe klein im Inneren der gigantischen Halle, vom Volumen her das größte Gebäude der Welt. Dort stand das letzte gebaute Exemplar des legendären Jumbojets. Draußen drängten sich Hunderte Boeing-­Mitarbeiter, sie trugen eigens bedruckte Warnwesten mit der Aufschrift „The last 747 – Queen of the Skies“. Am Werkzaun stiegen Dutzende Luftfahrtfans auf die Dächer ihrer Autos, um die letzte Königin der Lüfte gebührend zu verabschieden.

Fast 54 Jahre nach ihrem Erstflug am 9. Februar 1969 endete die Produktion des über lange Zeit größten Verkehrsflugzeugs der Welt. Insgesamt wurden 1.574 Exemplare der 747 gebaut. „Für mehr als ein halbes Jahrhundert haben Zehntausende Mitarbeiter dieses wunderbare Flugzeug konstruiert und zum Fliegen gebracht“, sagte 747-Programmchefin Kim Smith anlässlich des finalen Roll-outs. Und Stan Deal, Chef der Zivilflugzeugsparte bei ­Boeing, fügte wehmütig hinzu: „Die 747 wird für immer einen speziellen Platz in der Luftfahrtgeschichte einnehmen.“

Der Jumbojet habe das Fliegen revolutioniert wie nie ein Flugzeug zuvor und vermutlich keines danach – zu dieser Einschätzung gelangt Filmemacher ­Peter ­Bardehle in seiner Dokumentation „Der Kampf der Riesenflieger“, die ARTE im Februar zeigt. In den Rumpf der Maschine, doppelt so groß wie bei der Vorgängerin Boeing 707, ließen sich fast 500 Sitze einbauen – was zu sinkenden Ticketpreisen führte und das Fliegen ab den 1970er Jahren für viele Menschen erstmals erschwinglich machte. Die ­Boeing 747 flog als Passagierjet und Frachter, aber auch als ­Präsidenten- und VIP-­Flugzeug, fliegendes Weltraumobservatorium, Space-­Shuttle-­Transporter, Tankflugzeug sowie militärische Kommandozentrale. Insgesamt gab es 21 Varianten der 747 mit sechs unterschiedlichen Rumpfformen für Passagiere und vier Versionen von Frachtern.

Die Europäer konnten dem Jumbojet aus den USA lange nichts entgegensetzen, erst 2005 war es so weit: Der ­Airbus A380 löste die ­Boeing 747 als größtes Passagierflugzeug ab. Der Weg dahin war steinig, die Arbeitsprozesse im Airbus-­Konsortium aus französischen, deutschen, spanischen und britischen Partnern waren lange Zeit nicht gut integriert. Es gab massive Produktionsprobleme etwa bei der Verbindung in Deutschland und Frankreich produzierter Rumpfsegmente, viele Kabel waren zu kurz. Noch kurz vor dem Erstflug wäre das Projekt mit Entwicklungskosten von mehr als 20 Milliarden Euro beinahe aufgegeben worden. Doch es ging weiter, und die erste Auslieferung fand schließlich im Oktober 2007 an Singapore Airlines statt. Als die A380 nach Überwindung der Anfangsschwierigkeiten 2008 in den Liniendienst gehen sollte, kam die weltweite Finanzkrise dazwischen. Und es zeigte sich bald, dass es effizientere neue, kleinere Flugzeuge gab, die der A380 mit moderneren Triebwerken den Rang abliefen, noch bevor der zweistöckige Riesenflieger überhaupt eine Chance hatte, sich auf dem Markt zu beweisen. Zugelassen ist die A380 für bis zu 853 Passagiere auf zwei durchgehenden Decks, gedacht für hochfrequentierte Strecken zwischen großen Drehkreuzen.

Der Kampf um die Riesenflieger

Gesellschaftsdoku

Donnerstag, 2.2. — 20.15 Uhr
bis 1.2.24 in der Mediathek

Davon, das zeigte sich bald, gab es aber zu wenige. Zumal die neue Generation der Zweistrahler Boeing 787 und ­Airbus A350 es Passagieren ermöglichte, auch von kleineren Flughäfen direkt auf Langstrecken zu starten – ohne lästiges Umsteigen. Damit brach ein wichtiger potenzieller Markt für die A380 weg. ­Airbus fühlte sich zudem von den Zusagen der Triebwerkshersteller getäuscht. Die hatten versichert, dass die Antriebe der Maschinen auf Jahre hinaus das Modernste seien, was es gäbe. Doch inzwischen galten vierstrahlige Antriebe als obsolet, auch weil Flugzeuge wie die Basisversion der A380 dadurch zu schwer wurden. Die überdimensionierten Tragflächen waren ausgelegt auf eine geplante verlängerte Version, die dann aber mangels Nachfrage nie gebaut wurde.

So schleppen alle A380 überflüssiges Gewicht der Flugzeugstruktur mit sich herum, das im Verbund mit vergleichsweise leistungsschwachen Triebwerken zu hohem Treibstoffverbrauch führt. Etwa 20.000 Liter Kerosin pro Flugstunde verbrennen die Motoren, und nur wenn die Kabinen voll ausgelastet sind, ist ein Verbrauch von knapp vier Litern pro Fluggast auf 100 Kilometern realisierbar. Moderne zweistrahlige Flugzeuge schlucken rund 40 Prozent weniger Sprit, zudem sorgen vier Triebwerke für weitaus höhere Wartungskosten als zwei.

Ich hätte am liebsten eine neue A380: leichter, günstiger – und mit emissionsfreien Triebwerken

Sir Tim Clark, Vorstandschef Emirates Airlines
Eine Stewardess serviert essen
Der Jumbo­jet machte in den 1970er Jahren das Fliegen für viele erschwinglich. In der damals von der Lufthansa angebotenen Touristenklasse war der Service an Bord der ­Boeing 747-100 um Längen besser als bei ­heutigen Billigfliegern. Foto: Deutsche Lufthansa AG / picture alliance / dpa

Ein promptes und schmerzhaftes Ende

2019, nur zwölf Jahre nach dem ersten Linienflug einer A380, verkündete ­Airbus für 2021 das Produktionsende. „Die Entscheidung ist schmerzhaft, wir haben viel Mühe, Geld und Schweiß in das größte Passagierflugzeug der Welt gesteckt“, sagte der damalige Airbus-Chef Tom Enders. „Aber im Geschäft dürfen wir unsere Entscheidung nicht auf Basis von Gefühlen oder Wünschen treffen, sondern basierend auf Fakten.“ Und die sprachen aus Sicht von ­Airbus klar gegen eine Weiterproduktion der A380.

Eine der Leidtragenden des Baustopps ist die Fluggesellschaft ­Emirates aus Dubai, die insgesamt 123 von 251 gebauten A380 gekauft hatte – und gern noch mehr und verbesserte Doppelstöcker gehabt hätte. Die Riesen passen perfekt ins Streckenkonzept von ­Emirates, die vom Drehkreuz Dubai die ganze Welt anfliegt, stets mit hohem Passagieraufkommen. Die Frage, was nach dem Basismodell der A380 für 555 Passagiere in drei Klassen kommen könnte, hatten sich schon ihre Konstrukteure gestellt. Die gestreckte Version sollte bis zu 656 Fluggäste transportieren. Doch damit wäre die mögliche Größe eines konventionellen Verkehrsflugzeugs ausgereizt gewesen. ­Jürgen ­Thomas, Projektleiter der A380, war sich 2021 sicher: „Zumindest in konventioneller Bauweise mit Flügeln, Rumpf und Leitwerk wird es nie ein größeres Flugzeug als die A380 geben, dagegen spricht auch die Physik, irgendwann würden die Tragflächen durchhängen.“

Emirates-­Chef Sir Tim Clark wäre schon froh, wenn die vorhandenen A380, die er noch bis Mitte der 2030er Jahre fliegen will, modernisiert werden könnten: „Mit heutiger Technik und neuen Materialien könnte die Maschine umgebaut werden, sodass eine Treibstoffersparnis von 25 Prozent erreichbar wäre“, so Clark. Davon wollen aber weder die Triebwerkshersteller noch Airbus etwas wissen – für sie lohnen solche Investitionen nicht, da Emirates als einziger potenzieller Kunde gilt. „­Airbus hat verlangt, dass wir als Airline die Hälfte der Entwicklungskosten tragen, das können wir allerdings nicht“, sagt der Emirates-Chef.

Noch mehr Gedanken macht sich die Branche, welche Optionen es künftig für große Verkehrsflugzeuge geben wird, die mehr als 500 Passagiere befördern können. „Was wird es überhaupt noch geben, wenn die ­Boeing 747 und die A380 weg sind?“, fragt Clark. Branchenprognosen zeigen, dass schon bald eine riesige Lücke im Angebot der Flugzeughersteller klaffen wird.

Die Concorde - Absturz einer Legende

Geschichtsdoku

Donnerstag, 2.2. — 21.05 Uhr
bis 3.3. in der Mediathek

Riesenflieger über einer Gasse
Lärm und Komfort: Unweit des Flughafens der indischen Metropole Mumbai setzt eine ­Boeing 747 von Air India zum Landeanflug an. Foto: Daniel Berehulak / Getty Images

Mit dem Abflauen der Corona-Pandemie erlebt die A380 derzeit ein starkes Comeback: Ende 2022 waren bereits mehr als die Hälfte der gebauten Maschinen wieder im Einsatz. Und das nicht nur bei Emirates: Zehn der vormals 15 Betreiber fliegen inzwischen wieder mit der A380 – zur Freude der Passagiere, die die Maschine wegen ihrer leisen und geräumigen Kabine lieben. Auch bei der ­Lufthansa werden bald wieder regelmäßig drei A380-Maschinen abheben. Analysten gehen davon aus, dass die Luftfahrt – wie vor der Pandemie – weiter stetig um mindestens vier Prozent pro Jahr wachsen wird. Bis 2035 werde sich die Anzahl der Fluggäste laut Schätzungen der Internationalen Luftfahrtorganisation IATA von 3,7 Milliarden Passagieren (2019) auf etwa 7,2 Milliarden fast verdoppeln. Vor allem auf den besonders gut frequentierten Strecken über den Atlantik sowie zwischen Asien und Europa beziehungsweise Nordamerika wird der Flugverkehr in Zukunft dichter. Jumbojet und A380 werden dort allerdings in Zukunft fehlen. Die ­Boeing 777-9, die nach langen Verzögerungen 2025 auch bei der Lufthansa fliegen soll, wird mit rund 400 Passagieren bald die größte Verkehrsmaschine sein, denn in den Konstruktionsabteilungen bei ­Airbus oder ­Boeing ist derzeit kein neues Großprojekt geplant. „Da muss etwas geschehen, ein neues Großflugzeug muss her: leichter, schneller, günstiger in den Betriebskosten und ausgelegt für nachhaltigen Flugtreibstoff“, fordert Emirates-­Chef Clark. „Ich hätte am liebsten eine neue A380, die doppelt so groß ist: mit emissionsfreien Triebwerken, vielleicht nur mit drei Motoren.“ Ob das physikalisch überhaupt funktionieren könnte, ist allerdings fraglich.

Der Autor
Andreas Spaeth, Journalist
Der Hamburger Luftfahrtexperte schreibt u. a. für Welt am Sonntag und NZZ. Er ist Buchautor sowie Podcaster und tritt zu Luftfahrt-themen in TV- und Radiosendungen auf. 2021 erschien sein Buch
„Airbus A380. Der letzte Riese“.