Welch ein großartiges Ereignis für unser Land“, frohlockte Khaled El-Enany, Ägyptens Minister für Antiken, als er im vergangenen November der Presse und Fachwelt fünf mumifizierte Raubkatzen präsentierte, darunter zwei Löwenbabys. Ein Forscherteam hatte die einbalsamierten Tierkadaver in der antiken Nekropole Sakkara südlich von Kairo ausgegraben.
Der Fund gilt als Sensation: Katzenopfer waren zur Zeit der Pharaonen zwar gang und gäbe, Löwen aber endeten selten als Grabbeigaben, zumal die Raubkatzen in Ägypten nicht heimisch waren. Wie gelangten sie überhaupt dorthin?
Die in Sakkara gefundenen Mumien stammen aus dem 7. Jahrhundert v. Chr., einer Epoche, als das Land von Herrschern aus dem Königreich Kusch regiert wurde, dem heutigen Sudan. „Die Kuschiten verehrten Löwen und andere Tiere der Savanne als Gottheiten. Als sie Ägypten 716 v. Chr. unterwarfen, brachten sie ihren Glauben und ihre Rituale mit“, sagt Pawel Wolf vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) in Berlin im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Wolf ist einer der wenigen europäischen Forscher, die im vom Bürgerkrieg zerrütteten Sudan nach Überresten der vergessenen Hochkultur suchen.
Rund 60 Jahre lang lenkten die Könige von Kusch die Geschicke im Nachbarreich und bildeten als sogenannte Schwarze Pharaonen sogar Ägyptens 25. Herrscherdynastie. Im Dokumentarfilm „Black Pharaohs: Sudans vergessene Pyramiden“, den ARTE im Januar zeigt, lässt Regisseur David Starkey die Epoche wieder aufleben und berichtet über aktuelle archäologische Projekte im nördlichen Sudan, etwa einen spektakulären Tauchgang in einer unerforschten kuschitischen Grabkammer.
Intensive Beziehungen
„Handel und kulturellen Austausch gab es zwischen den rivalisierenden Reichen schon seit dem dritten vorchristlichen Jahrtausend“, sagt Wolf. Grabungsfunde belegen, dass die Ägypter vor allem Sklaven, exotische Tiere, Gold und Elfenbein aus Kusch bezogen. Kuschitische Priester wiederum übernahmen viele Gottheiten und Rituale von ihren Nachbarn im Norden.
Im Sudan entdeckte Tempel, in denen ägyptische Götter verehrt wurden, verleiteten Forscher im 19. und frühen 20. Jahrhundert daher zu der Annahme, Kusch sei eine Provinz der Pharaonen gewesen. „Weit gefehlt“, sagt Claude Rilly, Ägyptologe am Centre National de la Recherche Scientifique in Paris. „Kusch war eine der bedeutendsten afrikanischen Hochkulturen.“
Kusch war eine der bedeutendsten antiken Hochkulturen in Afrika
Rilly erforscht die Sprache der Kuschiten, von der selbst Experten bislang nicht mehr als 50 Wörter verstehen, da sie nur spärlich überliefert ist. Nun hofft er, anhand von Inschriften auf steinernen Stelen, die rund 250 Kilometer nördlich der heutigen sudanesischen Hauptstadt Khartoum in der Nähe der Stadt Meroë ausgegraben wurden, „das Rätsel endlich lösen zu können“.
Unweit von Meroë legten Wolf und seine Kollegin Ulrike Nowotnick mit einem internationalen Team zwischen 2000 und 2014 eine weitere antike Siedlung frei: Hamadab. „Nach dem Ende der Herrschaft über Ägypten 664 v. Chr. blieb zunächst Napata die Hauptstadt des Reiches, doch das kuschitische Machtzentrum wanderte bald nach Süden“, so Wolf. „Schon vor 300 v. Chr. residierten die Könige in Meroë.“ Rund um die neue Hauptstadt entstanden zahlreiche florierende Siedlungen wie Hamadab, deren Bewohner unter anderem von der Eisen- und Keramikproduktion lebten.
Wolfs Funde deuten zudem darauf hin, dass sich die Kuschiten zunehmend nach Süden und Osten orientierten. Doch dort hatte sich bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. ein ihnen militärisch überlegenes Reich entwickelt: das Königreich Axum im heutigen Äthiopien. „Ob es tatsächlich die Axumiten waren, die das Reich von Kusch schließlich zerstörten, ist bislang unklar“, sagt Wolf. „Um das herausfinden zu können, müssten weitere Grabungen in der Region stattfinden.“
Was nicht so einfach ist: Das Hamadab-Projekt bekam eine Zeit lang Gelder vom Emirat Katar. Seit dort aber ein Machtwechsel stattfand, ist die Quelle versiegt. „Im Gegensatz zu Projekten in Ägypten werden Forschungen im Sudan kaum gefördert“, sagt Wolf. Weitermachen will er dennoch, „bevor Klimawandel und Erosion die antiken Stätten für immer zerstört haben“.