»Ein Hauch von Tollerei«

Wieso sind wir kreativ? Um dieses Rätsel zu lösen, befragt der Dokumentarfilmer Hermann Vaske seit 30 Jahren Künstlerinnen und Künstler. Darunter: Isabella Rossellini.

Porträt von Isabella Rossellini mit einem Huhn auf dem Arm
Foto: Camila Falquez / NYT / Redux / laif

Einander vorgestellt wurden Hermann Vaske und ­Isabella ­Rossellini Ende der 1990er Jahre – und zwar von Hollywood-Legende Dennis Hopper. Kurz darauf lud die in Italien geborene Schauspielerin den deutschen Dokumentarfilmer in ihre New Yorker Wohnung ein, um sich über die Arbeit vor und hinter der Kamera zu unterhalten. Für seine Dokumentarfilm-Trilogie trafen die beiden sich Jahre später erneut in der Nähe des Museum of Modern Art, wo ­Rossellini zuvor einen Vortrag gehalten hatte. „Kunst gibt uns das Gefühl, nicht allein zu sein“, verriet sie ihm. Für das ­ARTE Magazin sprachen ­Vaske und ­Rossellini über familiäre Einflüsse und Humor als Motor für Kreativität.

HERMANN VASKE Schon deine Eltern waren Koryphäen des Films. Inwiefern hat dich das beeinflusst? 

ISABELLA ROSSELLINI Meine Mutter, Ingrid Bergman, war Schauspielerin. Mein Vater, Roberto Rossellini, führte Regie und schrieb Drehbücher. Ich kombiniere ihre Leidenschaften – will meine Werke aber nicht mit ihren vergleichen. Meine Eltern waren Meister ihres Fachs, beide erhielten Oscars für ihre Filme. Es gab auch noch weitere Künstler in meiner Familie. Manche waren erfolgreich, andere weniger. Mein Onkel war Komponist, meine Tante Malerin, mein Großvater war Fotograf, meine Cousins ­Bühnen- und Kostümbildner. Es gab darum nie jemanden, der mir zurief: „Brich aus, Isabella! Sei kreativ!“ Das war bereits Generationen vor mir geschehen. Aber ich erinnere mich, dass mich die Arbeit meiner Eltern schon als Kind faszinierte. Ich liebte es, sie am Set zu besuchen; mir gefielen die Leute dort, ihre Kreativität und Verspieltheit.

HERMANN VASKE Verspielt sind auch deine eigenen Filme, etwa die Reihe „Green Porno“, die das Sexualverhalten von Tieren humorvoll inszeniert. Lebt Kreativität davon, das innere Kind freizulassen? 

ISABELLA ROSSELLINI Ich lache und spiele gerne, das ist richtig. Es bedeutet aber nicht, dass ich wieder Kind sein will. Im Gegenteil: Ich mag die Reife, die ich mit dem Alter erlangt habe. Trotzdem finde ich, dass Kunst nicht zu erwachsen sein sollte. Regisseure sind meiner Erfahrung nach häufig verspielt – auch die, die sich nach außen eher autoritär geben. Ein Hauch von Tollerei schwingt fast immer mit.

Die Kreativitäts-Trilogie: Why are we NOT creative?

Dokumentarfilmreihe

Von ­Angelina ­Jolie bis ­Stephen ­Hawking sprach Hermann Vaske mit bedeutenden Künstlerinnen und Denkern unserer Zeit über die Frage, was ihre Schaffenskraft fördert – oder ausbremst. Teil 1 der Trilogie ist in der Mediathek zu sehen

Mittwoch, 23.8. — ab 23.00 Uhr
bis 21.9. in der Mediathek

HERMANN VASKE Wie wichtig ist Ehrgeiz? 

ISABELLA ROSSELLINI In der Kunst vermutlich nicht so sehr wie im Sport. Das liegt daran, dass kreative Leistungen nicht messbar sind. Das Ziel ist nicht klar definiert. Einen Oscar zu gewinnen, ist zwar fantastisch – aber man wird nicht Regisseur oder Schauspielerin, nur um diese Auszeichnung zu erhalten. Entscheidend ist, Geschichten erzählen oder in andere Rollen schlüpfen zu wollen.

HERMANN VASKE David Bowie sagte mir, seine eigenen Ängste seien die treibende Kraft für ihn … 

ISABELLA ROSSELLINI Bei mir trifft das nicht zu. Mir geht es darum, Menschen zum Lachen zu bringen. Ich habe aber mit Regisseuren zusammengearbeitet, deren Antrieb die eigene Furcht ist. David Lynch zum Beispiel; ihn plagt die Ungewissheit, das ewige Nichtverstehen des Lebens. Nach einer Filmpremiere meldete sich einmal jemand aus dem Publikum und sagte zu ihm: „Herr Lynch, ich verstehe Ihre Filme nicht!“ Und David antwortete: „Nun, ich verstehe das Leben nicht.“ Dieses Mysterium fängt er in seinen Filmen ein: Man weiß nie, was als Nächstes passiert.

HERMANN VASKE Apropos Lynch – wie hast du dich auf deine Rolle in dem Thriller „Blue Velvet“ vorbereitet? 

ISABELLA ROSSELLINI Ich habe Dorothy Vallens gespielt, eine Nachtclubsängerin, die das Stockholm-Syndrom hat. Ich bin in Italien aufgewachsen, dort gab es in den 1970er Jahren eine große Anzahl an Entführungen. Damals wurde bekannt, dass viele Opfer eine Bindung zu ihren Tätern aufbauen. Ich habe versucht, dieses Phänomen als eine Art Überlebensmechanismus zu begreifen. So habe ich eine Frau dargestellt, die rituell vergewaltigt wird – und sich nach und nach zur Komplizin ihres Peinigers macht …

HERMANN VASKE … den Dennis Hopper verkörperte! 

ISABELLA ROSSELLINI Richtig. Ich erinnere mich, wie wir die Schlüsselszene drehten, in der er in den Nachtclub kommt, um meine Figur singen zu hören. Er hält ein Stück blaues Samtband in der Hand – das verräterische Symbol dafür, dass unsere Figuren etwas verbindet. Ich habe gesungen, das war meine Aufgabe – als ich zu ­Dennis hinabschaute, sah ich, dass er weinte. Das stand so nicht im Drehbuch, er hatte es selbst entschieden. In diesem Moment dachte ich: „Wow, er ist ein unglaublicher Schauspieler!“

HERMANN VASKE Er ließ seinen Emotionen freien Lauf?

ISABELLA ROSSELLINI Es war eine bewusste Entscheidung –in seiner Rolle. Der Mann, den ­Dennis spielte, ist gewalt­tätig, von Hass zerfressen; er kann keine Gefühle zulassen. Als er die Frau, die er quält, aus sicherer Distanz auf der Bühne sieht, wird ihm bewusst, dass er sie liebt. Diese Szene zeigt: Schauspielende können einem Drehbuch etwas hinzufügen. Und ­David Lynch konnte das annehmen. Ein Film ist am Ende nie das Werk eines Einzelnen, sondern das Zusammenspiel von Schauspiel und Regie, von Musik, Kostümbild und Kamera. Deshalb liebe ich diese Kunstform so sehr.

 

Zur Person
Isabella Rossellini, Schauspielerin und Filmemacherin
Nach gefeierten Auftritten in Filmen wie „Blue Velvet“ (1986) und „Wild at Heart“ (1990) begann Isabella Rossellini, ihre eigenen Filme zu drehen. Ihre Dokureihe „Green Porno“ fand internationale Anerkennung.

 

 

 

Kann Kreativität die Welt retten?

Dokumentarfilmreihe

Mittwoch, 23.8. — ab 23.00 Uhr
bis 21.9. in der Mediathek