Bis kurz nach der Jahrtausendwende wurde täglich mit ihr gehandelt, jeder in Deutschland kannte sie: Clara Schumann (1819–1896) war die streng gescheitelte junge Frau auf dem 100-Mark-Schein. Als der Euro kam, verschwand sie von der Ladentheke – nicht aber aus dem Bewusstsein von Klassikliebhabern, Belletristen und Filmemachern. Schließlich ist das Leben der hochbegabten Pianistin, Komponistin und Ehefrau von Robert Schumann bis heute spannend, auch weil es reich an Mythen und Klischees ist. Viele stilisierten die Schumanns zum Künstler-Traumpaar der deutschen Romantik, andere wagten den Blick durchs Schlüsselloch: Stimmen die Geschichten, wonach Robert Schumann ein Haustyrann und notorischer Trinker war? Was ist dran an seinen angeblichen Liebschaften mit Männern? Hatte Clara wiederum ein Verhältnis mit dem viel jüngeren Johannes Brahms? War sie eine egoistische Karrierefrau, eine herzlose Mutter?
Goethe als Fan
Claras Karriere beginnt früh – maßgeblich gefördert von ihrem Vater Friedrich Wieck. 1831, da ist die gebürtige Leipzigerin zwölf Jahre alt, fasziniert sie das Biedermeier-Publikum in Weimar, im weißen Kleid und mit schwärmerischem Ausdruck. „Über Clara’s Darstellung vergißt man die Composition …“, begeistert sich der 82-jährige Johann Wolfgang von Goethe. Als „abgerichtetes“ Kind des „gescheiterten“ Musikers Wieck, wie manche ihr bis heute unterstellen, empfand Clara sich nie. „Seine Natur hatte etwas Großartiges, von Kleinlichkeit wußte er nichts. Er interessierte sich aufs lebhafteste, wo er Talent zu finden glaubte, und frug dann nie, ob er Lob und Dank haben würde“, wird sie nach dem Tod des Vaters im Jahr 1873 schreiben. Und: „Zu meinem Schmerze muß ich es sagen, daß mein Vater nie erkannt worden ist, wie er es verdiente! Ich danke ihm zeit meines Lebens für alle die sogenannten Grausamkeiten.“
1835, fast 40 Jahre früher, ist von dieser Tochterliebe wenig zu spüren. Clara ist noch minderjährig, als sie sich unsterblich in Robert Schumann verliebt, einen Schüler ihres Vaters. Ihr Vater aber verweigert die Einwilligung zur Ehe, aus Sorge, Claras Ambitionen und auch ihr Vermögen könnten bei einer solchen Verbindung abhandenkommen. Schließlich weiß man von Schumann, dass er seine erste Braut Ernestine von Fricken verstieß, weil sich herausstellte, dass sie nicht erbberechtigt war. Clara und Robert ziehen gegen den Vater vor Gericht. Wiecks sechs „Ehekonsensbedingungen“ wird Robert nicht einhalten und die Richter über sein wahres Vermögen täuschen sowie seine Syphilis-Erkrankung verschweigen. Das Paar heiratet schließlich im September 1840. Clara träumt von einer Künstlerehe auf Augenhöhe. Es kommt anders. Sie hätte es wissen müssen. „Erreiche ich nur das, dass Du gar nichts mehr mit der Öffentlichkeit zu tun hättest“, hatte Robert ihr 1839 geschrieben, „wäre mein innigster Wunsch erreicht. Das bisschen Ruhm auf dem Lumpenpapier, was Dein Vater als höchstes Glück auf der Welt betrachtet, verachte ich.“
Robert erweist sich zwar als der talentiertere Komponist, gegenüber seiner Frau aber auch als pedantischer, fordernder und labiler Ehemann. In einem Beziehungstagebuch dokumentiert er jede ihrer Ausgaben und Einnahmen. Und jede Befindlichkeit, sogar jeden Geschlechtsverkehr, den er mit Sechzehntelnoten notiert. Clara hat andere Sorgen: „Mein Clavierspiel kommt wieder ganz hintenan, was immer der Fall ist, wenn Robert componirt. Nicht ein Stündchen im ganzen Tag findet sich für mich!“, klagt sie 1841. Als Pianistin ist sie ihrem Mann überlegen, neben Franz Liszt zählt sie zu den Klaviervirtuosen des 19. Jahrhunderts. Und obwohl sie dank ihres Vermögens und gelegentlicher Auftritte Haupternährerin der immer größer werdenden Familie ist, begnügt sie sich lange mit der Rolle der duldenden Muse.
Das Jahr 1854 markiert schließlich den Anfang vom Ende der Ehe: Nach einem Selbstmordversuch wird Robert Schumann in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Diagnose: „Melancholie mit Wahn“. Zwei Jahre später stirbt der Komponist. An der Seite seiner Witwe zu dieser Zeit: der 23-jährige Johannes Brahms, der sich auch um Schumanns Kinder kümmert. Um 40 Jahre wird Clara Schumann ihren Mann überleben. Als berühmte Virtuosin reist sie um die Welt und lässt sich in Frankfurt an der Musikhochschule als Klavierprofessorin nieder. 1896 stirbt sie mit 76 Jahren.
Ich danke ihm zeit meines Lebens für alle die sogenannten Grausamkeiten.