Sattgrüner Scheinriese

Seit 50 Jahren setzt Greenpeace auf die Macht der Bilder. Mittlerweile aber stehlen der Umweltorganisation junge ­Klimakämpfer immer öfter die Schau. Hat der ­Öko-Aktivismus alter Schule bald ausgedient?

Bilderkampf: Fotos wie das der Greenpeace-Unterstützerin ­Brigitte ­Bardot mit ­Robbenbaby im ­kanadischen Eis (u.) von 1977 sind wirkmächtig. Der ­Protest gegen Autos mit Verbrenner­motoren bei der ­Fußball-­EM in ­diesem Jahr geriet ­dagegen zum ­imageschädigenden Fiasko. Foto: picture alliance, dpa

Aktivisten kreuzen in winzigen Schlauchbooten vor Walfangschiffen, bedroht durch Harpunen. Teils mit prominenter Unterstützung retten sie Robbenbabys. Oder sie erklimmen Fabrikschornsteine und Kühltürme von Atomkraftwerken. Es sind wirkmächtige Bilder, mit denen Greenpeace der Welt seine Botschaften verkündet. ­Natur- und Klimaschutz als kalkuliertes Spektakel – lange funktionierte das. Doch die Umweltorganisation hat sich seit ihren Anfängen 1971 im kanadischen Vancouver stark verändert, wie die ARTE-Dokumentation „Von der Ökobewegung zum Konzern: 50 Jahre Greenpeace“ zeigt. Der wendige David erinnert inzwischen oft mehr an einen schwerfälligen Goliath.

Von der Ökobewegung zum Konzern: 50 Jahre Greenpeace

Gesellschaftsdoku

Donnerstag, 2.9. — 20.15 Uhr
bis 30.11. in der Mediathek

Foto: Leonard de Raemy, Sygma, Getty Images

In Deutschland arbeiten heute etwas mehr als 300 Menschen bei Greenpeace, global sind es rund 4.200. Wie wichtig gerade für die Finanzen der hiesige Ableger ist, offenbart die Zahl der Fördermitglieder. Die 630.000 Unterstützer aus Deutschland – weltweit sind es drei Millionen – spülten 2020 gut 80 Millionen Euro in die Kasse.

Paradox: Je mehr Greenpeace wächst, desto unsichtbarer scheint die Nichtregierungsorganisation zu werden. Die mediale Halbwertszeit der Aktionen sinkt, sie wirkten „geschäftsmäßig“, lautet ein Vorwurf. Hinzu kommen Pannen wie der gefährliche ­Stadion-Sturzflug eines Motorseglers beim Auftaktspiel der Fußball-Europameisterschaft Mitte Juni in München. Worum es bei dem Einsatz, der Verletzte forderte, eigentlich ging, weiß vermutlich kaum jemand.

Greenpeace lebt auch von sorgfältig gepflegten Mythen. So nimmt die Organisation etwa für sich in Anspruch, das Öko-Bewusstsein hierzulande überhaupt erst geweckt zu haben. In einer Jubiläumsschrift zum 40-jährigen Bestehen in Deutschland heißt es rückblickend ins Jahr 1980: „Umweltschutz ist für viele ein Fremdwort. Das ändert sich nach der Gründung des deutschen Greenpeace-Büros.“ Tatsächlich traf der Auftritt der coolen Actiontruppe aus Übersee einen zeitgeistigen Nerv in der Bundesrepublik. Überall im Land rührte sich damals umwelt- und friedensbewegter Protest in parkabewehrten Kleinstgruppen. Der Greenpeace-Regenbogen passte perfekt zum „Atomkraft? Nein danke“-Aufkleber. Im selben Jahr wie Greenpeace Deutschland wurden auch die Grünen als Partei gegründet.

Sie würden für sich ebenfalls einen Anteil am inzwischen ausgeprägteren Öko-Gewissen reklamieren.
Wenn Kritiker den hierarchisch geführten Apparat von Greenpeace bemängeln, sitzen sie nach Ansicht von Frank ­Zelko einem grundlegenden Irrtum auf. Der aus-tralische Umwelthistoriker, der heute an der US-amerikanischen University of Vermont lehrt, hat 2014 mit „Greenpeace: Von der Hippiebewegung zum Ökokonzern“ eine Art Standardwerk vorgelegt. Greenpeace sei nie eine basisdemokratische Graswurzelbewegung gewesen, erläuterte der Autor in einem Interview mit seinem deutschen Verlag ­Vandenhoeck & ­Ruprecht. Viele träumten vielleicht immer noch davon, so ­Zelko, „besonders in Deutschland“. Solche Träume aber hätten zu allen Zeiten praktischen Management-Erfordernissen untergeordnet werden müssen.

Etabliertes Geld und Junge Herzen
Heute steht Greenpeace nach Ansicht der Umwelthistorikerin Anna-­Katharina ­Wöbse von der Justus-Liebig-Universität ­Gießen vor einer „Zerreißprobe“. Es gehe darum, das Profil als „aktionsorientierte Organisation beizubehalten und gleichzeitig zu sagen: Wir gehen in die Verantwortung, was politisches Handeln angeht“, erläutert sie in der ARTE-Dokumentation.Um Aufmerksamkeit und Sympathien werben inzwischen erfolgreich andere. So fliegen etwa der „Fridays for Future“-Bewegung nicht nur Schülerherzen zu.

Die radikalere und umstrittene Gruppierung „Extinction Rebellion“ punktet ebenfalls mit forschen Auftritten. Über soziale Netzwerke mobilisierten die jungen Klimakämpfer vor der Corona-Pandemie weltweit Massen für den Straßenprotest. „Fridays for Future“-Initiatorin ­Greta ­Thunberg hat allein auf Twitter rund fünf Millionen Follower.

Auch um hier am Ball zu bleiben, pflegt ­Jennifer ­Morgan, Chefin von Greenpeace International, neuerdings Kontakte zum Umweltschützer-Nachwuchs. Die Entwicklung ihrer eigenen etablierten Organisation beurteilt sie in der ARTE-­Dokumentation durchaus selbstkritisch: „Wir müssen wirklich aufpassen, dass wir kein dicker Elefant werden, sondern ein agiler Delfin bleiben.“ Mit Bildern scheint man sich bei Greenpeace immerhin noch auszukennen.

Wir müssen ein agiler Delfin bleiben

Jennifer Morgan, Greenpeace-Chefin