Gelobt seist Du, ewiger Gott, König der Welt, der mich nicht als Frau geschaffen hat“, heißt es im Talmud, der zweitwichtigsten heiligen Schrift des Judentums nach der Thora. Frau zu sein, das klingt hier unmissverständlich mit, wäre die schlechtere Option gewesen – gelobt sei also der, der das verhindert hat. „Man sagt, das seien die Worte Gottes“, sagt die jüdische Schriftstellerin Deborah Feldman über Blatt 43b der religiösen Schrift. „Dabei sind es die Worte von Männern.“ Genauer: von frauenfeindlichen Rabbinern, die die Thora interpretiert und einen Kanon von Texten geschaffen hätten, in dem die Frau als sündig und unrein gelte, quasi als „Antithese zur Spiritualität“. Feldman spricht aus eigener Erfahrung: 1986 in New York geboren, wuchs die Enkelin ungarisch-jüdischer Holocaustüberlebender in einer ultraorthodoxen, chassidischen Gemeinde im Brooklyner Stadtteil Williamsburg auf. 2012 berichtete sie in ihrer Autobiografie „Unorthodox“ erstmals über ihr Leben in der isoliert lebenden Satmarer Gemeinde – und über die strikte Unterwerfung chassidischer Frauen im Namen der Religion. Als junges Mädchen erfuhr Feldman eine streng religiöse Erziehung, sie durfte weder ins Kino gehen noch eine staatliche Schule besuchen. Sie musste ihr Haar abrasieren und ihren Körper verhüllen, sogar dann, wenn sie allein zu Hause war. „Mir wurde beigebracht, dass alles Schlechte auf der Welt die Strafe Gottes dafür ist, wie junge Frauen sich heutzutage kleiden“, so Feldman. Mit 17 Jahren ging sie eine arrangierte Ehe ein. Bis zu diesem Zeitpunkt war Feldman in keiner Weise sexuell aufgeklärt worden. Sie wurde zum Sex genötigt und bekam mit 19 ein Kind. Um ihrem Sohn ein freieres Leben zu ermöglichen, kehrte die junge Frau der Gemeinde den Rücken – und wendete sich zunächst in einem anonymen Internet-Blog an die Öffentlichkeit.
Universelle Kontrollmechanismen
„Sich im radikalen Judentum als Frau zu entfalten ist unmöglich“, resümiert die Autorin in dem Dokumentarfilm „#Female Pleasure“, den ARTE anlässlich des Weltfrauentags am 8. März ausstrahlt. Die Regisseurin Barbara Miller porträtiert darin fünf Frauen aus fünf unterschiedlichen Kulturen, die das Tabu des Schweigens brachen und gegen das kämpfen, was sie am eigenen Leib erfahren mussten: die strikte, teils gewaltsame Unterdrückung ihrer Geschlechtsgenossinnen und die Abwertung des weiblichen Körpers, speziell der Sexualität. Sie kommen aus Deutschland und Somalia, aus Indien, Japan und den USA, gehören den fünf großen Weltreligionen an – und sie haben Extremes erlebt: Zwangsheirat, Vergewaltigung, Genitalverstümmelung und fehlenden Rechtsschutz.
Ein Großteil aller Frauen verbindet Sexualität bis heute mit Pflicht
„Ich wollte herausfinden, wie es Frauen weltweit im Bezug auf ihren Körper und ihre Sexualität geht“, sagt Barbara Miller im Gespräch mit dem ARTE-Magazin. „#Female Pleasure“ ist ihr dritter Film zum Thema weibliche Sexualität. Die Biografien der fünf Protagonistinnen repräsentieren zwar nicht die Norm, doch die zugrunde liegenden Mechanismen, die die Situation von Frauen bis heute fremdbestimmen, sind laut der Filmemacherin universell. „Bis heute verbindet ein Großteil aller Frauen Sexualität nicht mit Lust und Freude, sondern mit Scham, Pflicht oder gar Schmerz“, so Miller. Gemeinsam mit den Protagonistinnen wollte sie die Ursachen dafür ergründen – und ist dabei auf die heiligen Schriften der sogenannten Hochreligionen gestoßen. Vom Juden- und Christentum über den Islam bis zum Hinduismus und dem Buddhismus stellen diese nach Ansicht der Filmemacherin die Verachtung des weiblichen Körpers ins Zentrum. Eingebettet in die Lebensgeschichten der fünf Protagonistinnen liefert der Dokumentarfilm dem Publikum exemplarische Textstellen, die diese geschlechterspezifische Diskriminierung untermauern. So heißt es im buddhistischen Ketsubon, die Frau sei „aufgrund der Sündhaftigkeit ihres Körpers dazu verdammt, unendliche Qualen in der Bluthölle zu leiden“. Die Bibel verkündet außerdem, der Mann sei nicht um der Frau willen geschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen. Der Koran rät, widerspenstige Frauen in ihre Betten zu verdammen und zu schlagen. „Im Grunde werden diese Ideen bis heute kolportiert“, sagt Miller. Auch ihr Heimatland, die christlich geprägte Schweiz, sei von der Anerkennung der Frau als ebenbürtig weit entfernt.
Applaus und Anfeindungen
Nach der Premiere im Jahr 2018 mit stehenden Ovationen bedacht und als „einer der wichtigsten Dokumentarfilme unserer Zeit“ (Neue Züricher Zeitung) gelobt, stieg mit wachsender Bekanntheit von „#Female Pleasure“ auch die Zahl der Anfeindungen gegen die Protagonistinnen. Bis heute erhalten die Frauen Drohbriefe und Hassnachrichten im Netz, wie sie dem ARTE Magazin berichten. Neben üblen Beschimpfungen sei darin die Rede von Mord und Vergewaltigung. Ein beachtlicher Anteil der Nachrichten stamme jedoch nicht von Männern. So wurde „#Female Pleasure“ in fundamentalistischen Kreisen auch von Frauen als Verrat am Allerheiligsten gedeutet, als Angriff auf die Religion. Auch aus moderaten Reihen gab es Kritik: Zuschauende bemängelten, der Film würde die feministischen Ansätze innerhalb der Religionen nicht würdigen und könnte Antisemitismus und Islamophobie schüren. „Der Film ist keine Kritik an den Religionen an sich – sondern am Missbrauch von Macht im Namen der Religion“, betont Miller. Die Protagonistinnen seien im Übrigen selbst religiös; teilweise habe das Erlebte ihren Glauben sogar bestärkt. Das eigentliche Problem sei darum nicht der Glaube, sondern das Patriarchat, die „universelle Religion“, die überall praktiziert wird, sagt die Psychologin Leyla Hussein im Film. Der Schutz aller Frauen, dafür steht „#Female Pleasure“, muss höher wiegen als der Schutz von Traditionen, wenn diese die menschliche Würde verletzen.
Das Patriarchat ist die universelle Religion, die überall praktiziert wird
»Religionen sind konservativ«
Die Geschichte der Religionen ist zugleich eine Geschichte der männlichen Vorherrschaft. Religionswissenschaftlerin Barbara Heller über die Zusammenhänge von Glaube und Patriarchat.
Zuerst kam Adam, dann Eva. Die ließ sich von einer Schlange verführen – und brachte Schuld und Scham über die Menschheit. Vom Mythos der ersten Menschen bis in die Institutionen der Gegenwart spiegeln die abrahimischen Religionen die Vormachtstellung des Mannes. Auch im Buddhismus und im Hinduismus wird ein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht. So gilt die Wiedergeburt als Frau als Strafe für schlechte Handlungen und im Paradies des Amida-Buddha existieren ausschließlich männliche Wesen. Sind Religionen Bollwerke männlicher Macht?
arte Magazin Der Religionswissenschaftler Friedrich Heiler bezeichnete die großen Weltreligionen als „Männerreligionen“. Hat er recht?
Birgit Heller Er hat recht, was die Institutionen anbelangt, weil Männer in allen großen Religionen die wichtigsten Ämter und Funktionen innehaben. Das hat sich erst im Laufe der Moderne ein wenig verändert, als erste Reformbewegungen entstanden sind. Zudem stammen die wichtigsten Texte und die Entscheidungen darüber, was in so einen Kanon aufgenommen wurde, im Wesentlichen von Männern. Es gibt nur wenige Zeugnisse von Frauen, und sie waren weniger einflussreich.
arte Magazin Brachten die Religionen also das Patriarchat hervor?
Birgit Heller Andersherum: Die sogenannten Hochreligionen sind innerhalb patriarchaler Gesellschaftsstrukturen entstanden. Jedoch haben die so entstandenen Traditionen die Vormachtstellung des Mannes durch bestimmte Mythen legitimiert und zu einem unantastbaren Prinzip gemacht: Wenn die Hierarchie gottgegeben ist, kann man sie – so ist das den Menschen suggeriert worden – auch nicht verändern.
arte Magazin Wäre Geschlechtergerechtigkeit in einer Welt ohne Religionen also leichter umzusetzen?
Birgit Heller Jein. Zunächst einmal sind Religionen eher konservativ. Sie funktionieren wie Ordnungssysteme, die eine bestehende Hierarchie legitimieren. Insofern bewahren sie auch die gegebenen, binären Geschlechterrollen – und die damit einhergehenden Ungerechtigkeiten. Ich bezweifle allerdings, dass das ohne Religionen anders wäre. Wir erleben ja, dass auch säkulare Gesellschaften noch weit von der Geschlechtergerechtigkeit entfernt sind. Die Frage, die dahintersteht, lautet: Wer profitiert davon, wenn Geschlechterrollen nicht egalitär sind? Am Ende geht es um Machtinteressen und die Aufrechterhaltug von Privilegien – auch unabhängig von Religionen.