Was wäre, wenn es eine Energiequelle gäbe, die das Klima schont und der Erdatmosphäre die Chance gibt, sich zu erholen? Die zudem endlose Reserven bietet und wirtschaftlich mit Kohle, Öl, Erdgas und Kernkraft durchaus konkurrieren kann. Die gute Nachricht: Sie ist bereits vorhanden. Die weniger gute: Um die Sonne künftig effizienter anzuzapfen, sind massive Investitionen nötig.
Die Dekarbonisierung des Energiesektors, also der vollständige Verzicht auf fossile Brennstoffe, wird Unsummen verschlingen. Allein in der EU, so das Ergebnis einer Studie der Marktforscher von Bloomberg NEF, werde es mehr als fünf Billionen Euro kosten, um den Sektor bis 2050 klimaneutral zu machen. „Wir müssen die Infrastruktur radikal umbauen“, sagt Fatih Birol, Direktor der Internationalen Energieagentur. Um die CO₂-Emissionen auf null zu reduzieren, was laut wissenschaftlichem Konsens nötig ist, damit die globale Erwärmung eingedämmt werden kann, „braucht es völlig neue Verfahren“, so Birol. Mit den derzeitigen Methoden der Stromerzeugung sei diese „größte Herausforderung der Menschheit nicht zu meistern“.
Ein aktueller Forschungsansatz besteht darin, die Kernfusion, wie sie im Inneren der Sonne stattfindet, nachzubilden. Dabei entstehen durch das Verschmelzen von Wasserstoffatomkernen zu Helium riesige Mengen an Energie, die der Stern in Form von Wärme und Licht emittiert. Ob dieser Vorgang aber jemals technisch beherrschbar und für die Energieerzeugung nutzbar sein wird, ist derzeit völlig offen, wie der Dokumentarfilm „Die Sonne“ zeigt, den ARTE im Februar ausstrahlt.
Ein Vorhaben der Europäischen Weltraumagentur Esa könnte dagegen schneller verwirklicht werden. Deren Projekt Solaris klingt zwar ebenfalls futuristisch, ist aber nach Meinung der daran Beteiligten technisch weniger anspruchsvoll als die Entwicklung von Fusionsreaktoren: Mit kilometerlangen Solarmodulen ausgestattete Satelliten sollen das Sonnenlicht im Orbit einfangen und in Mikrowellen umwandeln – rund um die Uhr. Die Mikrowellen werden gebündelt, an Receiver auf der Erde gesendet und dort in elektrischen Strom transformiert, der ins Netz eingespeist wird. Schon ein einziger dieser Solarsatelliten könnte pro Tag zwei Gigawatt Energie liefern – genug, um eine Stadt mit zwei Millionen Einwohnern zu versorgen.
Angepeilt ist ferner der Bau eines aus Dutzenden solcher Satelliten bestehenden Weltraum-Kraftwerks, das 800 Terawattstunden Energie pro Jahr liefern könnte –ein Drittel des derzeitigen Stromverbrauchs der EU. Bis es so weit ist, werden allerdings 20 bis 30 Jahre vergehen. Denn das Projekt Solaris steht erst am Anfang und muss noch etliche technische Hürden überwinden, etwa die Massenproduktion, den Transport und das Handling weltraumtauglicher Komponenten. „Millionen von Bauteilen müssen hergestellt, ins All befördert und dort zusammengebaut werden“, erläutert Solaris-Projektleiter Sanjay Vijendran. Die aufwendige Montage im Orbit müssten Roboter übernehmen, da es unwirtschaftlich und logistisch kaum möglich sei, dass Astronauten den Job erledigen. „Wir müssen also herausfinden, ob wir Hunderte autonome Roboter im All einsetzen können wie Arbeiter auf einer Großbaustelle auf der Erde“, so Vijendran. Dies sei eine der vielen Fragen, die man bis Ende 2025 in zwei Machbarkeitsuntersuchungen beantworten wolle.
Und wie steht es um die Wirtschaftlichkeit? Laut einer von der britischen Regierung 2020 beauftragten Studie des Beratungsunternehmens Frazer-Nash belaufen sich die Gesamtkosten für Entwicklung und Inbetriebnahme des ersten orbitalen Solarkraftwerks mit einer Leistung von zwei Gigawatt auf umgerechnet rund 16 Milliarden Euro – knapp die Hälfte der für den Bau moderner Kernkraftwerke mit vergleichbarer Leistung veranschlagten Kosten. Solarsatelliten der zweiten Generation, so ein weiteres Ergebnis der Studie, würden jeweils fünf Milliarden Euro kosten.
Ab 2050 könnte Strom aus dem All für rund 31 Euro pro Megawattstunde (MWh) erzeugt werden und damit konkurrenzfähig sein, schätzt Martin Soltau, Gründer des britischen Start-ups Space Solar. Zum Vergleich: 39 Euro pro MWh müssen terrestrische Solarparks erlösen, um die Kosten zu decken, 48 Euro pro MWh brauchen Offshore-Windkraftanlagen, um rentabel zu sein, 112 Euro pro MWh sind es bei Kernkraftwerken. „Die Wirtschaftlichkeit des Solarstroms aus dem Orbit ist vielversprechend“, so Soltau, „das könnte den Energiesektor transformieren.“
Solarstrom aus dem Orbit könnte den Energiesektor transformieren