Es ist ein Match

Von den Umkleiden der Athleten über die Straßen bis auf die Laufstege der Haute Couture: Wie gelang es der Sportmode, zur Uniform unseres täglichen Lebens zu werden?

Model mit Chanel-Skiern und Skibrille
Schwungvoll: Colmar x Au Jour le Jour, ­Fusalp und Chanel entwerfen Designs, die auch abseits der Piste glänzen. Foto: Ishi / Madame Figaro / laif / Model Emily Van Raay / Karin Models

Wer eine Jogginghose trägt, habe die Kontrolle über sein Leben verloren, spottete Modedesigner Karl Lagerfeld (1933–2019). Dabei dominiert die sogenannte Athleisure-­Mode längst unsere Alltagsgarderobe – und die Laufstege. Die Kombination aus funktionaler und bequemer Kleidung hat sich auf ganzer Linie durchgesetzt und hebt die Grenzen zwischen Sportbekleidung, Haute Couture und Streetwear auf. Wie kam es, dass gerade der Sport dafür gesorgt hat, uns neu einzukleiden? Und was sagt die modische Entwicklung über unsere Gesellschaft aus?

Ein Model läuft in Highheels und Pailletten-Trikot über den Laufsteg, woanders sitzt eine Büroangestellte in Leggings und wallendem T-Shirt in Übergröße am Schreibtisch. Hat man sich vor einigen Jahren mit Sporthose kaum in den Supermarkt getraut, ist der Schlabberlook mittlerweile in jeder Lebenslage salonfähig geworden. „Der Trainingsanzug hat einen enormen Stellenwert eingenommen, selbst Luxusmarken wie ­Louis Vuitton, ­Prada, ­Balenciaga und ­Gucci bringen ihn auf den Markt“, sagt der Modeschöpfer und ehemalige französische Nationalspieler ­Djibril Cissé in der Dokumentation „Champios Chic“, die ARTE im Juli ausstrahlt. Die Marken haben verstanden, welchen Einfluss urbane Subkultur haben kann. War der Trainingsanzug früher dazu da, sich vor und nach einem Wettkampf warm zu halten, wurde er erst zu einer Art Uniform der Vororte und des Prekariats – bis It-Girls wie ­Paris ­Hilton in den Nullerjahren nur noch in Luxus-Jogginganzügen aus Samt von Juicy Couture zu sehen waren. Dabei sind die Sportoutfits nicht nur bequem, sie beinhalten auch Botschaften, etwa: Ich muss mich nicht formell anziehen, sondern habe mir eine Position erarbeitet, in der ich mich nicht anpassen muss. Außerdem signalisieren sie in einer Gesellschaft, die viel Wert auf Fitness und Coolness legt, sowohl Leistungsbereitschaft als auch Lässigkeit.

Champions Chic

Gesellschaftsdoku

Mittwoch, 10.7.
— 23.05 Uhr
bis 9.7.25 in der
Mediathek

 

„Schon in den 1920er Jahren wurden Sportler und Sportlerinnen zu Musen der Modewelt“, sagt ­Sophie ­Lemahieu, Kuratorin des Pariser Kunstgewerbemuseums. Die Modeschöpfer ­Coco ­Chanel (1883–1971) und Jean ­Patou (1887–1936) integrierten in der Zeit zum ersten Mal Elemente der Sportbekleidung in die Mode und prägten den Begriff der „sportlichen Eleganz“. Indem ­Patou etwa die Tennisspielerin Suzanne Lenglen (1899–1938) mit Seiden-Plissée-Kleidern ausstattete, ermöglichte er ihr einen radikal neuen Spielstil. Fortan wurde Sport für luxuriöse Modehäuser immer wichtiger. In der Zeit zwischen den Weltkriegen trat der Wettkampf stärker in den Vordergrund – die passende Kleidung wurde für den Erfolg beim Spiel immer wichtiger. In den 1930ern entwickelte Tennis-­Champion René Lacoste (1904–1996) das Poloshirt mit einem neuartigen Stoff aus Baumwollstrick für mehr Bewegungsfreiheit: „Spielen und gewinnen ist nicht genug. Man muss es auch mit Stil tun“, waren seine Worte. Die Olympischen Spiele 1968 zeigten, dass Sportmode auch hochpolitisch sein kann: Die Sportler auf dem Siegerpodest hielten ihre Puma-­Schuhe in der Hand, um die Verletzung der Bürgerrechte der Afroamerikaner in den USA anzuprangern. Designer wie ­Pierre ­Balmain (1914–1982) oder ­Issey ­Miyake (1938–2022) nutzten die Olympischen Spiele später als Schaufenster zur Welt für ihre Kollektionen. Spätestens in den 1980er Jahren erreichte die Sportmode den Mainstream – als Körperkult, VHS-Fitnesskurse und Aerobic die Streetwear revolutionierten. Durch große Medienspektakel werden Sporttreibende heute immer mehr zu Stars – wie ­Serena ­Williams, die bei den French Open 2018 in einem engen Ganzkörperanzug von Nike antrat. „Für sie war es in erster Linie ein praktisches Kleidungsstück, das nach ihrer Entbindung entworfen wurde, um die Blutzirkulation zu verbessern“, so ­Lemahieu.

VOM SPIELFELD IN DIE LUXUSHÄUSER 

Mit der Zeit sind Kollaborationen zur neuen Marketingnorm geworden: Der Designer Yōji Yamamoto bat ­Adidas 2001, ihm Sneaker für seine Modenschau zu leihen, woraus die millionenschwere Marke Y3 entstand. Das Luxuslabel ­Louis ­Vuitton kooperiert wiederum mit ­Nike, und ­Djibril ­Cissé sorgte mit seiner Mode-Kollaboration mit dem Discounter Lidl unlängst für eine Massen­hysterie. Die Paradigmen des Luxus umzukehren, zählt dabei zum Lieblingssport der Modebranche. Mit übergroßen Sneakern, die eine sportliche Betätigung unmöglich machen, trieb ­Balenciaga es auf die Spitze und entwarf eine Form, die jegliche Funktion aushebelt. Ein Ende der Sport-Designs ist derweil nicht in Sicht: Der Athleisure-Markt soll laut Analysten von 319 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 auf 430 Milliarden im Jahr 2028 wachsen.