Der dünne Rockstar auf Koks und das blutjunge Mädchen, das dem Heroin verfällt. Ein gar nicht so grauer Apriltag im Jahr 1976 brachte beide zusammen. So klischeebehaftet und tragisch die Geschichte ist, so unumstößlich ist sie in der Popkultur zementiert. David Bowie führte die Tour zu seinem Album „Station to Station“ in die Stadt, in die er kurz darauf ziehen sollte, um seine besten Alben zu schreiben; und Christiane Felscherinow schaffte es mit ihren gerade mal 13 Jahren irgendwie auf sein Konzert in der West-Berliner Deutschlandhalle. Im Schlepptau eines Junkiekumpels, der so mager war, dass ihn alle „Hühnchen“ nannten. Der Legende nach zog das Mädchen noch am Tag des Konzerts zum ersten Mal Heroin durch die Nase. Was danach folgte, entwickelte sich zu einer der bekanntesten Fixergeschichten des 20. Jahrhunderts – voll mit Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll, nur das glamouröse Happy End blieb aus.
Radikal ehrlich und abschreckend
Von der schicksalhaften Nacht und vielen anderen Dramen ihres jungen Lebens – die Prügelorgien ihres Vaters, der Umzug vom Dorf in die Hochhaushölle von Berlin-Gropiusstadt, der bezahlte Sex mit älteren Männern – erzählte Felscherinow zwei Jahre nach dem Bowie-Gig den Stern-Reportern Kai Hermann und Horst Rieck. Sie schufen auf Basis von Tonbandprotokollen eine Reportagereihe und die 300 Seiten lange biografische Erzählung „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Ein Welterfolg. Ebenso wie die Verfilmung von Uli Edel 1981, die ARTE im Rahmen des Berlinale-Schwerpunkts im Februar begleitet von zwei Dokumentationen zum Phänomen Christiane F. zeigt. Millionen Menschen litten, weinten und zitterten mit Felscherinow – im Film phänomenal verkörpert von Natja Brunckhorst – und ihren drogenabhängigen Freunden. Manche fürchteten damals Nachahmungseffekte von Horden fixender Kinder, die so nie eintraten. Viele feierten die radikale Ehrlichkeit von Buch und Film („Ich war schussgeil, kam auf Turkey und hätte mir am liebsten gleich im Wagen einen Druck gemacht.“). Eine Ehrlichkeit, die nicht selbstverständlich war in der verklemmten Bundesrepublik jener Zeit. Wie die Dokumentation „Im Rausch“ zeigt, wirkte das Geschilderte vor allem abschreckend auf junge Leute; nicht zuletzt dank eingehender Bravo-Artikel war Heroin fortan gebrandmarkt als der unbeherrschbare Suchtstoff, der er ist.
An ihrem 18. Geburstag, das war 1980, erhielt Christiane Felscherinow einige Hunderttausend Mark aus Buchverkäufen. Den Kinderstrich am Bahnhof Zoo hatte sie da bereits hinter sich gelassen, die Drogen sollten bleiben. Ermuntert von Weggefährten wie Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten eiferte Felscherinow David Bowie nach und versuchte sich als Sängerin und Schauspielerin. Halbwegs cleane und kreative Phasen folgten. Rückschläge verarbeitete sie jedoch immer wieder mit einer Injektion in die Venen, gestand sie in Interviews. Kein Wunder: Berlin in den 1970ern und 1980ern, das war „die Welthauptstadt des Heroins“, wie Bowie in einem ARTE-Interview unterstreicht. Für den Film über Christane F. ließ er es sich nicht nehmen, das Konzert vom April 1976 nachzuspielen. Er selbst schwor den harten Drogen irgendwann ab und wurde trotz seines massiven Konsums 69 Jahre alt.
Christiane Felscherinow, heute 59, hat sich aus der Öffentlichkeit seit einiger Zeit komplett zurückgezogen. Wirklich gut bekam ihr der Ruhm nie, betonte sie 2008 im Gespräch mit der FAZ: „Jetzt bedaure ich alles. Es wäre besser gewesen, nie etwas zu sagen.“ 15 Drogenentzüge versuchte sie über die Jahre, 15 Rückfälle gab es. Dass sie dank der Bucherlöse ein finanziell sorgloses Leben führen konnte, weiß sie dennoch zu schätzen. Das Geld nutzte sie etwa zur Gründung der Stiftung F. Foundation. Deren Zweck: „Die Stärkung und Sensibilisierung junger Menschen. Für ein suchtfreies und selbstbestimmtes Leben.“ Die mediale Verwertungsmaschinerie interessiert sich freilich mehr für ihre Jahre als Kinderjunkie. 2020 erschien eine Neuverfilmung des Buchs als Serie – mit teils vernichtenden Kritiken. „Eine Ära wird zur Freak-Show in Werbeästhetik degradiert, die Produktion erzählt nichts über Jugend und stellt Drogensucht als hippe Party dar“, urteilte die Zeitschrift Monopol. Ganz anders der Film von 1981: „Es ging nicht darum, wohltemperierte Bilder einzufangen“, so Regisseur Uli Edel. „Es ging darum, die Zuschauer zu berühren.“ Das gelang. Mit aller Härte.