Gefährlicher als die Haie

Lokalpatriotismus en vogue: Im Surfsport sind Fremde und Anfänger oft unerwünscht. Auch Rassismus ist weit verbreitet – und hat eine lange Geschichte.

Rassismus im Surfsport
Die Surf-Community protestiert für einen inklusiveren Sport. Foto: Brian Branch Price/ZUMA/picture alliance

Surfen ist das Gegenteil eines Mannschaftssports. Wer schon einmal umgeben von anderen Surfern im Wasser gepaddelt ist, weiß: Um die beste Welle zu bekommen, muss man gierig sein. Vor allem an den beliebtesten Spots der Welt sind Wellen eine begrenzte Ressource, um die erbittert gekämpft wird. Locals gegen Touristen, Profis gegen Anfänger. Revierkämpfe, Machtdemonstrationen und Einschüchterungen unter den Sportlern gehören dabei zum Alltag. Ebenso tief verankert ist dabei offenbar ein noch dramatischeres Problem innerhalb der Surfkultur, wie die ARTE-Dokureihe „Black ­Surfers ­Matter“ zeigt: systematischer Rassismus.

4.30 Uhr, Huntington Beach, Südkalifornien: „Das ist die perfekte Uhrzeit, um rauszupaddeln, wenn du nicht mit Rassismus konfrontiert werden willst“, sagt der schwarze Surfer Rico Blevin in einer der Doku-Folgen, die in der Mediathek zu sehen sind. „Manche Leute hier draußen sind gefährlicher als die Haie.“ Blickt man auf die Gruppierungen von Surfern an Wellen-Hotspots, fällt tatsächlich schnell auf, dass es oftmals an Diversität auf den Brettern mangelt. Ganz wie in der Werbung, wo die kommerzielle Vermarktung des Surfsports vor allem von hellblonden Frauen und Männern dominiert wird. Dabei hat das Surfen keineswegs einen weißen Ursprung, sondern stammt aus indigenen Kulturen in Peru, Polynesien und Westafrika.

Black Surfers Matter

Dokureihe

ab 5.7. in der Mediathek

Wie die ARTE-Dokureihe zeigt, hat Rassismus auf dem Wasser besonders in den Vereinigten Staaten eine lange Geschichte. Gerade schwarze Surferinnen und Surfer wurden und werden zum Teil noch heute ausgegrenzt, bedroht oder physisch angegriffen. Während die Surfkultur ab den 1950er Jahren in den USA unter weißen Kaliforniern einen ersten großen Boom erlebte, wurden schwarze Menschen durch die bis 1964 geltenden rassistischen Jim-Crow-Gesetze systematisch vom Wassersport und von den meisten öffentlichen Stränden ausgeschlossen. Vielen People of Color fehlte so die Möglichkeit, schwimmen zu lernen – mit spürbaren Auswirkungen bis heute: 2022 konnten 64 Prozent der schwarzen Kinder in den USA nicht schwimmen. Die Ertrinkungsrate unter afroamerikanischen Kindern war 2021 dreimal höher als unter weißen Kindern. Während der Rassentrennung wurden zudem viele schwarze Strandbesitzende enteignet. Heute leben beispielsweise am kalifornischen Manhatten Beach weniger als ein Prozent afroamerikanische Bewohnerinnen und Bewohner. Die exorbitanten Immobilienpreise an den Stränden Kaliforniens machen es vielen Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern unmöglich, in Strandnähe zu wohnen.

Dass Rassismus ausgerechnet unter Surfern auf einen Nährboden stieß, führen Szene-Kenner auch auf eine weitere ausgrenzende Angewohnheit der Wassersportler zurück: den sogenannten Localism, womit das ausgeprägte Territorialgehabe unter Wellenreitern gemeint ist. Als Urvater des Localism gilt der selbsternannte „King of Malibu“ Miki Dora (1934–2002), der zu den bedeutendsten Surfern des 20. Jahrhunderts zählt. Er spielte unter anderem in „The Endless Summer“ (1966) mit, der neben anderen Hollywoodfilmen wie „­Gidget“ (1959) den globalen Surfboom vorantrieb. Der Boom füllte allerdings auch die Strände Malibus mit immer mehr Surfern, was ­Dora dazu veranlasste, Außenstehende unter Gewaltandrohung aus „seinem“ Surfrevier zu vertreiben. Für seinen radikalen Lokalpatriotismus wurde er von vielen Surfern verehrt.

Doras Localism förderte die aggressive „Wir gegen die“-Mentalität, die noch heute Bestandteil der Surfkultur ist und stellenweise verstörende Ausmaße annimmt. Oft geht es dabei um das vermeintliche Privileg, als Ortsansässiger die global geltenden Regeln, wie sich Surfer zwischen und auf den Wellen verhalten sollten, auszuhebeln oder weniger erfahrene Surferinnen und Surfer herumkommandieren zu dürfen. Für einen besonders extremem Fall des Localism stehen die ­Lunada Bay Boys, eine Gruppierung, die das US-Magazin ­Newsweek „Amerikas berüchtigtste Surf-Gang“ nannte. Jahrzehntelang terrorisierten die Bay Boys andere Surfer in der Lunada-Bucht, einem in Los Angeles gelegenen Küstenabschnitt. Die Gang-Mitglieder warfen Steine, zerstachen Autoreifen und hielten so seit den 1960er Jahren Fremde von der beliebten Surfbucht fern. Seit 2016 läuft ein Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der Gang, unter anderem wegen rassistischer Anfeindungen.

Blaue Aufschrift
Nur für Ortsansässige: An beliebten Surfspots ist der Localism besonders spürbar. Foto: Islandstock / Alamy Stock Photo

Dem unaufhaltsam wachsenden globalen Boom des Surfsports konnten weder Localism noch Rassismus etwas anhaben. Seit 2021 gilt Surfen als olympischer Sport, was zusätzliche Aufmerksamkeit brachte. Auch immer mehr digitale Nomaden strömen weltweit zum Surfen an die Strände. Auf Bali etwa konkurrieren teilweise 400 Personen um eine Welle. Dort, wo der Kampf gegen die Massen bereits verloren ist, haben sich die Locals auf andere Art und Weise arrangiert. Statt die Wellen zu verteidigen, werden sie von ortsansässigen Surferinnen und Surfern verkauft. In der Tamarin-­Bucht auf Mauritius blockiert eine Gang, die sich White Shorts nennt, die begehrten Wellen für zahlende Gäste. Localism ist so neuerdings auch eine Geschäftsidee.

In den USA hat sich derweil Widerstand gegen Rassismus auf dem Wasser formiert. Seit dem Mord an ­George Floyd im Jahr 2020 haben sich in Kalifornien viele Organisationen gegründet, die sich für mehr Diversität im Surfsport einsetzen und People of Color mittels Schwimm- und Surfkursen den Zugang zum Ozean erleichtern. Am südkalifornischen Huntington Beach, an dem sich der Surfer ­Rico ­Blevin sonst nur nachts ins Wasser traut, paddeln inzwischen regelmäßig Hunderte schwarze Surferinnen und Surfer zusammen den Wellen entgegen.