Vielleicht saß Taylor Swift zu Hause auf dem Sofa, als sie auf den Knopf drückte. Ganz sicher hatte ihr Team die Botschaft akribisch vorbereitet, an jedem Wort gefeilt. Das Fernsehduell zwischen Kamala Harris und Donald Trump war jedenfalls kaum zu Ende gegangen, als Swift auf Instagram postete: Sie würde Harris wählen, die Kandidatin der Demokraten. Unterschrieben war das Foto, das sie und ihren Kater zeigte, mit „Taylor Swift, Childless Cat Lady“ – ein Seitenhieb auf den republikanischen Vize-Kandidaten J. D. Vance, der kinderlose Alleinstehende als „Katzenfrauen“ abgestempelt hatte. Aus dem demokratischen Lager konnte man das Seufzen fast hören: Endlich, der größte Popstar der Welt hatte gesprochen. Und Donald Trump? Der verstummte, ganz untypisch. Um dann ein paar Tage später auf der Plattform Truth Social seinen Ärger herauszupoltern: „Ich hasse Taylor Swift!“
Man kann also sagen, dass sehr viele Menschen sehr viel auf Swifts Meinung geben. Von manchen, schien es, war die Äußerung der Sängerin sehnsüchtiger erwartet worden als der Beschluss, wer bei der Präsidentschaftswahl nun gegen wen antritt. Taylor Swift, die in die Manege reitet, um das Rennen zu entscheiden? Einige Menschen trauen ihr diesen Einfluss zu. Die Frage ist bloß, wie realistisch solche Hoffnungen sind.
Ohne Zweifel hat Swift ihre Macht im Popgeschäft fest verzurrt. Zur Erinnerung: Ihre Alben sind Bestseller, ihre noch immer laufende Welttournee ist die erfolgreichste Tour aller Zeiten. Sie machte die Sängerin nicht nur zur Milliardärin und brachte Städte dazu, sich ihr zu Ehren umzubenennen; selbst die US-Notenbank nannte sie in einem Bericht als Faktor für amerikanisches Wirtschaftswachstum. Vermutlich ist der Schlüssel zu Swifts Superberühmtheit, dass sie so völlig unterschiedliche Menschen anspricht. Sie stammt aus einer wohlhabenden Familie in Tennessee und wuchs auf einer – kein Witz – Farm für Weihnachtsbäume auf. Ihre Karriere begann sie mit Countrymusik und Liedern über Highschool-Romanzen. Diese Ursprungsgeschichte vom netten Kleinstadtmädchen erlaubt es ihr noch immer, im konservativen Herzland der USA anzudocken. Als sie später auf Pop umsattelte, mal mit Dance-Elementen, mal nah am Folk, erreichte sie den Mainstream; die Städter und alle anderen. Während die meisten Musiker heute einzelne Zielgruppen bedienen, gilt Taylor Swift als letzte Monokultur: ein Megastar wie einst Michael Jackson oder Madonna.
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