MASKEN UND MAUERN

FREIHEITSKAMPF Korruption, Prostitution, Repression: Ali Soozandeh entlarvt in seinem Animationsfilm „Teheran Tabu“ Irans patriarchale Verbotskultur. Ein Gespräch über Unausgesprochenes.

Foto: Little Dream Entertainment

Auf den belebten Straßen und hinter den grauen Fassaden von Teheran kreuzen sich auf der Suche nach Freiheit die Schicksale von drei Frauen und einem Mann. Eine alleinerziehende Mutter will die Scheidung und muss dafür ihren Körper hergeben. Eine Frau sucht einen Job und soll sich mit der Ehe begnügen. Und eine junge Iranerin will Spaß und muss die Konsequenzen für die verlorene Jungfräulichkeit fürchten. An ihrer Seite: ihr One-Night-Stand, ein Musiker, der aus Angst vor ihrem vermeintlichen Verlobten nun das Geld für die OP des sogenannten Jungfernhäutchens aufzutreiben versucht.

In seinem prämierten Animationsfilm ­„Teheran Tabu“ zeichnet der iranische Regisseur ­Ali ­Soozandeh eine Gesellschaft zwischen Freiheitsdrang und Unterdrückung in einer Großtadt voller Extreme. Im Interview mit dem ARTE Magazin spricht er über versteckte Gesichter, vererbte Verbote und verstummte Kinder.

ARTE MAGAZIN Herr Soozandeh, in Ihrem Debütfilm geht es, wie der Name schon sagt, um Tabus. Warum treiben Sie Verbote besonders um?

Ali Soozandeh Ich bin im Iran aufgewachsen und wenn ich an diese Zeit zurückdenke, erinnere ich mich an die vielen Einschränkungen in der Gesellschaft und frage mich, wieso es sie eigentlich gab. „Teheran Tabu“ ist der Versuch, eine Antwort darauf zu finden.

ARTE MAGAZIN Der Film thematisiert Unterdrückung und Verbote, die tief ins Leben der Menschen eingreifen: Sie betreffen Sexualität, Gleichberechtigung, Freiheit. Welches dieser Tabus steht für Sie im Vordergrund?

Ali SoozandehPrimär geht es um ein Tabu: nämlich das Tabu, über Probleme zu sprechen. Dieses wollte ich mit meinem Film brechen. Erst auf der zweiten Ebene geht es um all die genannten Tabus, ganz besonders sexuelle.

DIE SENDUNG AUF ARTE

Den Animationsfilm „Teheran Tabu“ gibt es am Sonntag, den 8.3. ab 22.00 Uhr auf ARTE sowie bis 14.3. in der Mediathek.

ARTE MAGAZIN Aufällig ist das pausenlose Verstellen der Figuren: Kaum ist die Nachbarin weg, wird zu Alkohol und Drogen gegriffen; sobald die Ehefrau den Raum verlässt, wird von der religiösen Sendung zum Porno geschaltet.

Ali Soozandeh Die iranische Gesellschaft ist eine Welt voller Mauern. Innerhalb der Mauern leben die Menschen ein anderes Leben als außerhalb und dafür brauchen sie verschiedene Masken. Sie legen sich ein Gesicht für Freunde an, eins für die Familie und eins für Behörden.

ARTE MAGAZIN All diese Versteckspiele sind geprägt von Doppelmoral. Protagonistin Pari muss sich prostituieren, um zu überleben. Der Freier, der ihre Dienste nutzt und sie zudem herablassend behandelt, ist ein Taxifahrer. Als dieser im nächsten Moment seine Tochter händchenhaltend mit einem jungen Mann auf der Straße sieht, beschimpft er sie als Hure.

Ali Soozandeh Nach außen hin ist Ehre im Iran sehr wichtig. Das heißt paradoxerweise für viele nicht, dass sie selbst ehrenvoll handeln müssen.

ARTE MAGAZIN Ihr Film verweist auf Machtmissbrauch und Korruption. Der Richter kümmert sich erst um Paris Scheidungsantrag und einen Schulplatz für ihr Kind, als sie sich auf Sex mit ihm einlässt.

Ali Soozandeh Beziehungen sind im Iran normal und sogar überlebenswichtig. Die Gesellschaft ist so aufgebaut, dass man ohne gewisse Kontakte unter Umständen scheitert.

ARTE MAGAZIN Haben Sie dort selbst solche Situationen erlebt?

Ali Soozandeh Natürlich. Wie alle anderen musste ich, etwa um einen Studienplatz zu bekommen, der Universität gegenüber drei Referenzen nennen. Je nachdem, ob darunter religiöse und respektierte Personen sind, kommt man weiter. Die eigene Zukunft hängt davon ab.

ARTE MAGAZIN In „Teheran Tabu“ stehen Frauen im Vordergrund. Sie werden permanent unterdrückt, sind aber dennoch stark.

Ali SoozandehFrauen tragen in einer patriarchalen Gesellschaft, wie sie der Iran ist, die größte Last. Niemand fragt einen Mann vor der Hochzeit, ob er Jungfrau ist. Es sind Regeln von Männern, mit denen sie ihre Position sichern und Frauen kontrollieren. Absurd ist: Frauen haben die Aufgabe, die nächste Generation gemäß dieser Sitten zu erziehen.

ARTE MAGAZIN Stiller Beobachter des Treibens im Film ist Paris sechsjähriger, stummer Sohn Elias.

Ali Soozandeh Für mich ist das stumme Kind ein Sinnbild für die junge Generation. Sie leidet unter den geerbten Regeln, kann sie aber nicht ändern – und vererbt sie schweigend weiter.

ARTE MAGAZIN Wie sehr sind die im Film thematisierten Tabus im Iran mit religiösen Themen verknüpft?

Ali Soozandeh Wenig. Sie haben eher mit Schranken in den Köpfen der Leute, speziell der Männer, zu tun. Ich hätte die Geschichte in dieser Form bereits vor der Islamischen Revolution erzählen können.

ARTE MAGAZIN Dennoch werden bestimmte Probleme einer patriarchalen Gesellschaft in Europa oft mit dem Islam assoziiert.

Ali Soozandeh Im Westen hört man nur von Mullahs und vom Atomprogramm. Dabei gibt es auch im Iran Liberale und Familien, in denen Frauen das Sagen haben. Die im Film aufgezeigten Strukturen des Patriarchats gibt es in veränderter Form überall. Auch in Deutschland.

ARTE MAGAZIN Haben Sie Beispiele dafür?

Ali Soozandeh Bei meinen Recherchen bin ich auf ein deutschsprachiges Portal gestoßen, auf dem Frauen nach Operationen zur Wiederherstellung der Jungfräulichkeit gesucht haben – und auf deutsche Praxen, die sie anbieten. Mitten in Europa! Das hätte ich nicht gedacht.

ARTE MAGAZIN Wie Ihr Film zeigt, sind die Perspektiven für Iraner, die Freiheit wollen, nicht gerade vielversprechend. Sie brechen aus – oder zerbrechen. Was wäre die Lösung? Revolution statt Flucht?

Ali Soozandeh Eher nicht. Ich denke, der Iran ist noch nicht demokratisch gefestigt. Bei einer Revolution würden die Mächtigen bloß ihre Gewänder ablegen und gegen neue tauschen. Das Bildungsniveau in iranischen Städten mag zwar hoch sein, auf dem Land sieht es aber anders aus. Dort kann man mit einem Sack Kartoffeln Stimmen kaufen. Deshalb regieren ja die Islamisten und Radikalen. Der Schlüssel zur Veränderung ist für mich Bildung.