Vor Jahren warb eine Zahnpastamarke mit dem Slogan: „Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können.“ Kraftvoll zubeißen? Darüber können Leistenkrokodile nur schmunzeln. Mit bis zu 16.000 Newton pro Quadratzentimeter schnappen die Reptilien zu, 18-mal so fest wie ein erwachsener Mensch. Nicht die einzige Disziplin, in der wir Vertretern aus dem Tierreich hoffnungslos unterlegen sind, wie die zweiteilige ARTE-Dokumentation „Das Tier im Menschen“ zeigt. Geparden laufen uneinholbar schneller. Fächerfische schießen wie Pfeile durchs Wasser. Die Reihe animalischer Supersportler ließe sich fast beliebig fortsetzen.
Vor allem aber kommen nicht wenige Tiere schon vergleichsweise lebenstüchtig auf die Welt, Zebras oder Elefanten etwa. Kaum geboren, rappelt sich der Nachwuchs auf und stolpert, wenngleich zunächst unbeholfen, der Mutter hinterher. Menschenkinder hingegen brauchen bis zu ihren ersten wackeligen Schritten in der Regel mehr als ein Jahr. Bis heute sind Anthropologen uneins über die Gründe für die Frühgeburt in die totale Hilflosigkeit: Wird der Babykopf zu groß für das Becken der Frau, oder setzt der überforderte Stoffwechsel der Schwangeren dem Wachstum im Mutterleib ein Ende? Die These von der energetischen Notbremse ist jünger, erst vor knapp zehn Jahren formulierte sie ein Team der University of Rhode Island. Fakt ist: Wir starten limitiert.
Trotz all dieser offenkundigen Unzulänglichkeiten haben wir uns die Krone der Schöpfung aufgesetzt und die Erde mit allem, was kreucht und fleucht, untertan gemacht. So steht es schließlich schon als Gebrauchsanweisung in der Bibel. Was sehr lange für den Menschen schmeichelhaft und bequem war, erweist sich mittlerweile als moralisches Dilemma. Das menschliche Gehirn, unbestritten ein evolutionäres Meisterwerk, hat uns trotz aller kognitiven und kommunikativen Spitzenleistungen an welt- und selbstzerstörerische Grenzen und damit zu der Frage geführt: Sind wir wirklich allen anderen Spezies überlegen? Wenn ja, sollten wir es dann nicht besser wissen und vielfach anders handeln?
Um die Ecke mit Amphibien verwandt
Aber hat der Mensch denn überhaupt ein Alleinstellungsmerkmal, oder ist er doch nur ein besonders schlaues und anpassungsfähiges Tier? Biologisch ist die Angelegenheit eindeutig: Homo sapiens ist eine Art, die über Gattung, Familie und Gruppe zur Klasse der Säugetiere gehört. Geht man in der Systematik noch ein bis zwei Schritte zurück, werden wir auch zu Um-die-Ecke-Verwandten zum Beispiel von Amphibien. Und doch gönnen wir uns eine Ausnahmeposition selbst gegenüber unseren allernächsten Nachbarn im Stammbaum, den Menschenaffen. Zu rund 99 Prozent stimmt unser Erbgut mit jenem von Schimpansen und Bonobos überein. Die aber knacken nach circa sechs Millionen Jahren getrennter Entwicklung Nussschalen mit Steinen oder angeln mit Stöcken Insekten. Und wir schicken Sonden zum Mars und bestellen vom Sofa aus bei digitalen Sprachassistenten eine Pizza.
Obwohl wir unserer eigenen bahnbrechenden Intelligenz inzwischen noch eine künstliche hinzugefügt haben: Über die klare Abgrenzung zwischen Mensch und Tier gibt es bis heute keine Einigung, egal ob unter Evolutionsbiologen, Anthropologen, vergleichenden Verhaltensforschern oder Philosophen. Letztere kämpften etwa in der Antike sogar an zwei Fronten: Neben dem Verhältnis von Mensch und Tier grübelten Aristoteles und Co. auch noch über die Aufteilung göttlicher und menschlicher Sphären.
Als der Schweizer Verein Philosophie.ch auf seinem gleichnamigen Online-Portal vor einigen Jahren Blogbeiträge zum Thema „Mensch“ sammelte, zitierten gleich mehrere Wissenschaftler den Humoristen Loriot: „Der Mensch ist das einzige Wesen, das im Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann.“ Ganz ernst gemeint war das nicht, aber es illustriert den Stand der Debatte auch nach einigen Tausend Jahren des Nachdenkens. Denn wann immer ein Kriterium – Sprache, Sozialverhalten, Vernunftbegabung oder Leidensfähigkeit beispielsweise – als Maßstab für die Unterscheidbarkeit diente, gab und gibt es Rede und Gegenrede. Kompliziert sind die Dinge allein dadurch, dass wir Kompetenzen und Handlungsweisen von Mensch und Tier zwangsläufig aus nur einer Perspektive betrachten – anthropozentrisch eben. Immerhin: Unsere Fähigkeiten zur Abstraktion, zur Rückbesinnung und zur Weitergabe kulturellen Wissens gelten als singulär und wesentliche Faktoren für die stete Verbesserung einmal erlernter Techniken von Menschengeneration zu Menschengeneration.
Der Fokus der Forschung liegt heute stärker auf der Frage, was und wie viel vom Tier im Menschen steckt. Volkstümlich hat die Übertragung von tatsächlichen oder vermeintlichen Eigenschaften ohnehin eine lange Tradition. Mal positiv, wenn jemandem Adleraugen oder Bienenfleiß bescheinigt werden, mal herabwürdigend, etwa bei der Titulierung als „sturer Esel“ oder „falsche Schlange“. Wobei solche Wendungen aus dem allgemeinen Sprachgebrauch im gleichen Maße zu verschwinden scheinen, wie die Wertschätzung von Tieren und ihren Rechten in der Gesellschaft zunehmen. Ein wenig weiter sind wir dabei auch gleich bei überholten Geschlechterklischees innerhalb der eigenen Art gekommen. „Der Bär im Mann“ sollte noch vor wenigen Jahren in einem Wodka-Werbespot hervorgelockt werden. Damit sähe der Spirituosenhersteller wohl heutzutage tierisch alt aus.