Triumph des Mobs

Wer die Gewalt im Kapitol verurteilt, fällt als ­Republikaner in Ungnade. Der gezielte Anschlag auf die Demokratie der USA wirkt bis heute nach. Donald Trump hat die Partei weiter fest im Griff.

Als Anhänger Donald Trumps, aufgestachelt vom damaligen US-Präsidenten, am 6. Januar 2021 ins Kapitol in Washington eindringen, ist das ein weltweiter Schockmoment. Die Dokumentation zeichnet die Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven nach und blickt auf unmittelbare und längerfristige Folgen. Illustration: Nazario Graziano

Schon am Morgen, in der Kälte des 6. Januar 2021, ist der halbnackte Mann mit Büffelhorn, Pelz und US-Flagge unterwegs. „Das amerikanische Volk wird es nicht erlauben!“, brüllt er in sein Mikrofon. Es – damit meint er den Machtwechsel nach der Wahl zwei Monate zuvor, bei der Joe ­Biden den amtierenden Präsidenten ­Donald Trump geschlagen hat. Auf der 14th Street in Washington, nahe der National Mall, verbreitet der Mann Verschwörungstheorien, ruft: „Es hat schon seinen Grund, dass das Pentagon nicht mit dem Übergangsteam von ­Joe ­Biden und ­Kamala ­Harris kooperiert!“

Keine 24 Stunden später war Jacob ­Chansley weltweit berühmt. ­Er gehörte zu den ersten von Hunderten Trump-­Anhängern, die gewaltsam ins Kapitol eindrangen. Brüllend und mit einem Speer bewaffnet ließ er sich auf den Fluren und im Plenarsaal des Senats filmen. Er erklomm das Podium und verkündete, Vizepräsident ­Mike ­Pence sei ein „verdammter Verräter“. Auf einem Blatt Papier hinterließ er die Botschaft: „Es ist nur eine Frage der Zeit. Gerechtigkeit wird kommen.“ Als „Büffelmann“ oder „Schamane“ geht ­Chansley – Anhänger der Verschwörungstheorie ­QAnon – in die Geschichte ein. Im November wurde der 34-jährige Ex-Soldat zu 41 Monaten Gefängnis verurteilt.

Aufforderung zum Putsch

So symbolisch Jacob Chansley für den Angriff steht, so greift es zu kurz, jenen 6. Januar auf die gewaltbereiten, brutalsten und politisch wirren Anhänger -Donald Trumps zu reduzieren. Das zeigt auch die ARTE-Dokumentation „Der Sturm aufs Kapitol – Ein amerikanisches Trauma“. Den Boden bereitet haben Trump und seine ihm ergebene Republikanische Partei. Zur Erinnerung: Trump hatte in seiner Rede am Vormittag zum Marsch aufs Kapitol aufgerufen. Er forderte Pence auf – der am selben Tag die Sitzung zur Zertifizierung des Wahlergebnisses leitete, das Ergebnis zu kippen, einen Trump-Putsch einzuleiten. „Wenn Mike Pence tut, was richtig ist, werden wir die Wahl gewinnen“, rief Trump. Pence beugte sich bekanntermaßen nicht. Trump-Anhänger verlangten derweil am Kapitol, Pence zu erhängen. Im Kongress, bei der Zertifizierung, zweifelten diverse Republikaner das Wahlergebnis an. Trump ließ seinen Mob im Kapitol wüten, rief spät und halbherzig zum Rückzug auf.

Während sich in der Partei Abraham ­Lincolns und ­Ronald ­Reagans in den Tagen danach zaghafte Kritik an Trump artikulierte, ist sie nun wieder voll auf dessen Kurs. Wer nicht sein Wohlwollen hat, kann die politische Karriere faktisch beenden. Trump attackiert die wenigen Parteifreunde, die nicht seinem Personenkult huldigen, als „­Rinos“, als „Republicans in name only“, Republikaner nur dem Namen nach. Vor Nominierungen für Senatssitze oder Abgeordnetenmandate hebt oder senkt Trump den Daumen, heißt es.

Die Partei betreibt im Kongress Obstruktionspolitik, wirft der Regierung ­­Biden täglich „Sozialismus“ und „Kommunismus“ vor. Alles wird ideologisiert, auf Partei-, also Trump-Linie gebürstet. So beklagt etwa die große Mehrheit der US-Amerikaner seit Jahren zu Recht, dass ihre marode Infrastruktur renoviert werden muss. Trump kündigte als Präsident im Wochentakt ein Infrastruktur-Programm an, brachte es aber nie zustande. Als ­Biden nun ein 1,2-Billionen-­Dollar-­Paket zur Modernisierung von Straßen, Brücken, Häfen, Stromleitungen und Breitbandversorgung vorlegte, stimmten 13 der 221 Republikaner im Repräsentantenhaus dafür. Die „sollten sich schämen“, wütete Trump. Unter ihm wird selbst die Frage, ob verrottete Wasserleitungen repariert oder Schlaglöcher gestopft werden, zum Loyalitätstest.

All das zeigt Wirkung: Moderate Republikaner kandidieren bei den Zwischenwahlen im November 2022 nicht mehr. Die Republikaner sind heute stärker eine Trump-Partei als während dessen Präsidentschaft. Seine Loyalisten, etwa im TV-Sender OAN, sprechen weiter von „Präsident Trump“ und „Joe ­Biden“. Sollte Trump 2024 abermals antreten, ist völlig klar: Sein Kandidat als Vizepräsident kann nur jemand sein, der ­Bidens Wahlsieg bezweifelt – und den 6. Januar kleinredet. Oder ihn eine Antifa-Aktion nennt. Bis heute ist es für Republikaner hochriskant, die Gewalt des Pro-Trump-Mobs zu verurteilen. Völlig unproblematisch ist es hingegen, wie die rechtsradikale Abgeordnete ­Marjorie ­Taylor ­Greene abstruse Verschwörungstheorien zu verbreiten, Hass zu säen, Demokraten mit Nazis zu vergleichen – und Anti-Covid-­Maßnahmen mit dem Holocaust. Das gibt Beifall, bei Trump und bei seinen Anhängern.

Nach Trumps Schlappe zertifizierten auch republikanische Spitzenbeamte seine Niederlage. Aber künftig? Längst schneiden Republikaner Wahlkreise absurd zu, um sich Mehrheiten zu sichern. Sie erschweren das Wählen, vor allem für Afroamerikaner. Was passiert eigentlich, wenn republikanisch dominierte Legislativen in Bundesstaaten künftig demokratische Mehrheiten bei Präsidentschaftswahlen überstimmen? Mancher US-Bürger lächelt über ­Greene, Trump, den Büffelmann oder Trumps Anwalt ­Rudy ­Giuliani. Das relativiert die Gefahr, die von solchen Figuren ausgeht. Der 6. Januar als Anschlag auf die Herzkammer der Demokratie der USA wurde physisch abgewehrt. Doch die Gefahr scheint längst nicht gebannt.

Der Sturm aufs Kapitol – Ein amerikanisches Trauma

TV Dienstag, 4.1. — 20.15 Uhr
Mediathek bis 4.3. verfügbar

 

Gleich im Anschluss:
Amerika in Aufruhr – Von Charlottesville zum Sturm aufs Kapitol

TV Dienstag, 4.1. — 21.05 Uhr