Abschied
Chère Cécile,
weißt du eigentlich, wie gut du es hast?
Du lebst in Deutschland, dem Land der beinahe unbegrenzten Möglichkeiten, wo du Sandalen mit Socken tragen darfst, ohne dass ein Chanel-gewandeter Schlaumeier dir sagt, du hättest die Kontrolle über dein Leben verloren.
Auch musst du dir keine Gedanken machen, wen du duzen darfst und wen nicht, wem du „bonjour“ zu sagen hast und bei wem ein „salut“ durchgeht. Und du musst auch nicht darauf achten, wem du wann wie viele Bises auf die Wange hauchen darfst. Du kannst dich im Sommer mit einer Flasche Bier an die Spree fläzen, ohne als Alkoholikerin zu gelten. Vor allem aber hast du die Freiheit, deinen Käse zu schneiden, wie es dir gefällt!
Wobei … Vermutlich vermisst du die Vielfalt französischer Käsesorten, die du hierzulande mit Baguette und Wein genießt. Wenn du dabei ein Kleid von einem Pariser Designer trägst, wird dich vielleicht ein gut gekleideter Monsieur anlächeln, dich Madame nennen und fragen, ob er dich auf ein Glas Châteauneuf-du-Pape einladen darf. Selbst handwerklich gebraute Bières Artisanales findest du mittlerweile überall. Ach Cécile, weißt du eigentlich, wie gut ich es habe? A bientôt und Bises auf beide Wangen! Deine Sabine
Liebe Sabine,
ja, ich gebe zu: Ich weiß, wie gut du es hast. Manchmal würde ich nur zu gern mit dir die Rollen tauschen und diejenige sein, die in meiner französischen Heimat lebt und schreibt. Ein Gefühl, das relativ neu ist. Denn in den ersten Jahren gab es in Deutschland für mich so viel zu entdecken, dass mir kaum Zeit für solch nostalgische Gedanken blieb.
So war ich fasziniert vom steilen Aufstieg Angela Merkels und ihrer Ausdauer angesichts all ihrer politischen Gegner. Ich entdeckte perplex die deutsche FKK-Kultur und die freie – meines Erachtens manchmal zu freie – Erziehung der Kinder. Doch dann merkte ich mit der Zeit, dass mir vieles aus Frankreich fehlte. Etwa die Flexibilität und Improvisation, privat wie beruflich, die traumhaften Landschaften – von der Küste bis zum Landesinneren – sowie das freudige Stimmengewirr in den Brasserien. Und nicht zuletzt: die Toleranz gegenüber Wut. Schließlich gilt in meinem Heimatland ein konfliktreiches Gespräch als kunstvoller Dialog.
Aber zugegeben: Meine Tränen sind schnell wieder getrocknet, als ich an all das dachte, was mir Deutschland bietet: Ich kann, ohne blöd angebaggert zu werden, durch die Straßen laufen, mich kleiden, wie ich mag und meine Meinung äußern, ohne gleich damit Beziehungen zu gefährden. Darauf verzichten? Vorerst nicht, denn du hast recht: Ich hab es gut! Ich drück dich, bis bald! Deine Cécile