Die Zivilisten habe ich in den Schützengraben befördert. Ich habe ihnen in den Kopf geschossen“, sagt jemand auf Russisch. „Da war eine Mutter mit Kindern“, berichtet ein Zweiter und weiter: „Unsere haben sie erschossen. Vor ihren Kindern.“ Eine weibliche Stimme antwortet: „Natürlich! Sie ist ja auch der Feind.“ Man solle „Schaschlik“ aus ihnen machen, hetzt eine Frau. Eine andere freut sich über die Aussicht auf geraubte Kosmetik und Sneaker als „Andenken aus der Ukraine“.
Die Gespräche hat der ukrainische Geheimdienst mitgeschnitten – Abertausende Telefonate russischer Soldaten, geführt aus dem Kriegsgebiet seit Februar 2022 mit ihren Müttern, Ehefrauen oder Freundinnen zu Hause. Regisseurin Oksana Karpovych verwendet sie für die Tonspur des Dokumentarfilms „Abgehört“, den ARTE im Rahmen des Schwerpunkts „#GenerationUkraine: 12 Filme aus einem Land im Krieg“ zeigt. Wie die Feldpost früherer Kriege sind die Gespräche Selbstzeugnisse, in ihrer Gegenwärtigkeit und Direktheit dabei oft schwer zu ertragen. Möglich, dass sie zur Aufklärung von Kriegsverbrechen beitragen werden.
Im Film bleiben die Männer aus Russlands Invasionsarmee, unterwegs irgendwo in ukrainischen Dörfern und Städten, anonym. Sie reden übers Töten, Misshandeln und Plündern wie übers Wetter. Immer wieder bestärken sich die Soldaten und die Frauen am anderen Ende der Leitung gegenseitig in propagandistisch befeuerter Verachtung für die Ukrainer. „Chochol“ – Schopf – werden sie genannt, eine Schmähung, die auf die Stirnlocke der Saporoger Kosaken früherer Jahrhunderte anspielt. Die Reduzierung auf ein Büschel Haare entmenschlicht die Angegriffenen und erleichtert den mitleidlosen Umgang insbesondere mit zivilen Opfern des Krieges. Zugleich entlarvt die Sprache eine erschreckende Normalität des Brutalen in der dahinterliegenden Gedankenwelt.
JETZT MEHR IN DER AKTUELLEN AUSGABE 12/24 LESEN!