Künstliche Intelligenz und Automatisierung werden in den kommenden Jahrzehnten zu massiven Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führen. Hunderttausende Jobs in Industrie und Dienstleistungssektor könnten wegfallen. Die Frage, wie der Wandel sozialverträglich gelingen kann, steht bei Zukunftsforschern, Ökonomen und Soziologen weit oben auf der Agenda. Anders in der Politik: Schlüssige Konzepte für einen geschmeidigen Übergang in die neue Arbeitswelt sind Mangelware. Wie kann die Mammutaufgabe bewältigt werden?
Mehr Zeit fürs Wesentliche
In Kürze wird der Begriff Jobsharing eine neue Bedeutung bekommen: „Dann werden wir den Arbeitsplatz nicht mehr nur mit menschlichen Kollegen teilen, sondern mit denkenden Maschinen“, sagt Heiko von der Gracht, Senior Manager bei der Wirtschaftsberatungsgesellschaft KPMG, im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Sogenannte Cobots (Collaborative Robots) übernehmen zunächst Routineaufgaben. Später werden sie so gut ausgebildet sein, dass sie Menschen ersetzen. „Die Automatisierung beschert uns vor allem eines: viel mehr Zeit für Familie, Gemeinschaft, Soziales.“
Klingt gar nicht übel. Doch „der Wandel stellt das seit der industriellen Revolution geltende Konzept der Lohnarbeit völlig auf den Kopf“, sagt Robert Pollin. In der ARTE-Doku „Arbeit, Lohn, Profit“ warnt der US-Ökonom vor einem neuen Prekariat: Soziale und karitative Tätigkeiten wie Hausarbeit, Pflege von Angehörigen oder Katastrophenschutz, die künftig immer wichtiger würden, „werden nur kümmerlich entlohnt“. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf.
Abhilfe könnte das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) schaffen: Tobias Palm, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Hamburg, hat herausgefunden, dass die meisten Bundesbürger Arbeiten fürs Gemeinwohl übernähmen, wenn der Staat im Gegenzug ihre Existenzsicherung garantierte. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten finnische Sozialforscher Ende 2018 nach dem Abschluss eines zweijährigen BGE-Experiments. In der deutschen Politik findet diese Form der Grundsicherung derzeit aber kaum Befürworter.
Weniger Arbeit = weniger Konsum
Der niederländische Historiker Rutger Bregman setzt sich ebenfalls für kürzere Lohnarbeitszeiten ein. Nicht nur als Antwort auf die Automatisierung, sondern auch als Instrument gegen die drohende Klimakatastrophe: „Weniger zu konsumieren beginnt damit, weniger zu arbeiten“, sagt Bregman in seinem 2017 erschienenen Buch „Utopien für Realisten“. Dadurch sinke der CO₂-Ausstoß vor allem in Industrienationen spürbar.
Philipp Frey vom Institut für Technikfolgenabschätzung in Karlsruhe hat Bregmans These überprüft. Ergebnis seiner im August 2019 veröffentlichten Studie: Wenn die deutsche Wirtschaft in Zukunft nachhaltig, bedarfsgerecht und klimaneutral produzieren will, hätten die meisten Beschäftigten im Jahr 2050 vermutlich nur noch neun Arbeitsstunden pro Woche. Der damit verbundene gravierende Umbau des Arbeitsmarkts müsse freilich schrittweise und sozialverträglich erfolgen, sagt Frey.
Klimaschutz durch Wachstumsbremse
Vermeidbar wird der Umbau jedenfalls nicht sein, bemerkte kürzlich Felix Ekardt, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin, in einem Essay in der Zeit. Die Umstellung auf automatisierte Produktion und ein reduzierter Konsum läuteten zwangsläufig das Ende der Wachstumsgesellschaft ein. Und damit seien etliche Probleme verbunden, denn „bisher konnten Staaten den Arbeitsmarkt trotz technischer Rationalisierungen stets durch Wachstum stabilisieren“, so Ekardt. Wenn das Wachstum aber ausbleibt oder aus Gründen des Klimaschutzes vermieden werden soll, drohen zentrale Organe des Wohlfahrtsstaats zu kollabieren – etwa das Renten- und Krankenversicherungssystem. Derzeit sei völlig unklar, wie Politik und Wirtschaft den Umbau des auf Wachstum angewiesenen Systems gestalten wollen: „Fast alle weichen einer Debatte darüber aus“, sagt der Soziologe.
Immerhin ließ das Umweltbundesamt (UBA) 2018 untersuchen, welche Klippen beim Übergang in die Postwachstumsgesellschaft zu überwinden seien: In einem Positionspapier empfahlen die Experten des UBA unter anderem, „bessere Anreize für einen gemeinschaftlichen Wertewandel zu schaffen, etwa durch die Förderung kollaborativer Produktion und Nutzung von Gemeingütern“. Ganz neu ist die Idee nicht. Schon 2014 hatte der US-Ökonom Jeremy Rifkin in seinem Buch „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ dafür geworben.
Ausbildung zum Alleskönner
„Auch das Bildungssystem braucht einen radikalen Umbau“, sagt KPMG-Manager von der Gracht. „Andernfalls würden die Kinder des kommenden Jahrzehnts für ein Gesellschaftssystem geschult, das längst überholt ist, wenn sie die Ausbildung abgeschlossen haben.“ Immer kürzere Innovationszyklen sorgten dafür, dass Lehrpläne schnell Makulatur würden. Ferner sei es dringend nötig, so der Zukunftsexperte, „Fachkräfte universeller auszubilden, sodass sie im Laufe ihres Berufslebens ein Dutzend Tätigkeiten ausüben können – und dabei in jeder als Experten bestehen“.