Universelle Plasmaspender

Wissenschaftler rätselten seit Langem, wie die Bausteine des Lebens an fast jeden Ort des Weltalls gelangten. Nun steht fest: Schwarze Löcher haben sie vor Jahrmilliarden umherkatapultiert.

Illustration: ESO/L. Calcada

Das Weltall, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2021. Auf dem Blauen Planeten namens Erde haben Wissenschaftler jüngst eines der vielen Rätsel des Universums entschlüsselt: die Verteilung der sogenannten Bioelemente im All. Bislang gab es keine stichhaltige Erklärung dafür, weshalb die Bausteine des Lebens überall vorhanden sind. Nun ist klar: Schwarze Löcher sind dafür verantwortlich. Genauer gesagt, deren Plasmafontänen, im wissenschaftlichen Jargon „Jets“ genannt. Die in grauer Vorzeit abgefeuerten ultra­heißen Blitze reichten Billiarden Kilometer weit in den Kosmos. Das gigantische Feuerwerk in den Jugendjahren des Universums – mehr als zehn Milliarden Jahre vor unserer Zeit – füllte weite Bereiche des Weltraums langsam, aber stetig mit Materie. Darunter auch jene chemischen Elemente, aus denen Leben entstand, wie wir es kennen: Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Eisen und mehr als ein Dutzend weitere essenzielle Stoffe.

Ausgerechnet die gigantischen kosmischen Allesfresser, die in Hollywoods B-Movies oft das Ende der Welt verheißen und bis vor wenigen Jahren nur in komplizierten Theorien von Physikern und Astrowissenschaftlern existierten, sollen für die Entstehung des Lebens im All eine Rolle gespielt haben? „Das Bild, das wir von Schwarzen Löchern hatten, war unvollständig; unser Wissen war lückenhaft“, sagt ­Reinhard ­Genzel, Professor für Extra­terrestrische Physik am Max-Planck-­Institut in Garching. Für den Nachweis von ­Sagittarius B, dem Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße, erhielt er 2020 den Physik-­Nobelpreis. „Tatsächlich sind sie unverzichtbare Bausteine des Universums, deren Bedeutung wir inzwischen immer besser begreifen.“

Genzels Kollege ­Volker ­Springel hat mithilfe von Supercomputern simuliert, wie die Durchmischung der Bioelemente im All stattgefunden haben könnte: „Die Jets massereicher Schwarzer Löcher, die vermutlich im Zentrum aller Galaxien zu finden sind, haben die in ihnen gesammelten chemischen Elemente über einen Zeitraum von Milliarden Jahren relativ gleichmäßig im Universum verteilt“, erläutert der Garchinger Astrophysiker in der Doku „Leben aus dem All“, die ARTE im Februar zeigt. Aktuellen Forschungen zufolge seien die dunklen Kolosse zudem nicht nur für die Entstehung, sondern auch für den Fortbestand des Lebens wichtig: Dank ihres unbändigen Appetits auf Materie verhindern sie, dass sich in Galaxien zu viele Sterne bilden, von denen einige irgendwann als Super­novas explodieren könnten. „Deren Gammastrahlung würde in weitem Umkreis alles Leben zerstören“, so ­Springel.

Insofern wirken Schwarze Löcher ähnlich wie Moderatoren in Kernreaktoren: Indem sie Materie verschlingen, schaffen sie Platz, bevor es in ihrer Galaxie zu eng und zu heiß wird. Sind die Bedingungen für die Existenz außerirdischen Lebens auf sogenannten Exoplaneten, von denen mittlerweile mehr als 5.000 entdeckt wurden, also besser als bislang angenommen? Darüber sind astrophysische Kreise noch uneins. Sicher ist nur: Ohne Schwarze Löcher gäbe es wohl keine habitablen Zonen – Sonnensysteme mit lebensbegünstigenden Planeten. Mit anderen Worten: Das Universum wäre tot.

Leben aus dem All: (1) Schwarze Löcher (2) Meteoriten

Wissenschaftsdoku

Samstag, 13.2. — ab 20.15 Uhr
bis 13.5. in der Mediathek

Habitable Zone größer als gedacht?
Gerade in der Umgebung von Schwarzen Löchern herrschen laut Forschungen von ­Manasvi ­Lingam und seinem Team an der Harvard University, Boston, ideale Bedingungen für die Entstehung von Leben. Die Astrophysiker hatten 2019 untersucht, ob deren Strahlung Leben in umliegenden Sonnensystemen verhindere. Das Ergebnis ihrer Berechnungen ist erstaunlich: „Entgegen bisheriger Annahmen kommen biochemische Grundbausteine in der Atmosphäre von Planeten, deren Sonne ein Schwarzes Loch umkreist, sogar häufiger vor als an anderen Orten im Universum“, so ­Lingam.

Leben also überall im All? Keinesfalls, sagt ­Christopher J. ­Conselice, Professor für Astrophysik an der Universität Nottingham. Nach Messungen, die er gemeinsam mit seinem Kollegen Tom Westby angestellt hat, dürfte es in der habitablen Zone der Milchstraße gerade einmal 36 Sonnensysteme geben, auf deren Planeten sich Leben wie auf der Erde entwickeln kann. Das berichteten die britischen Forscher im Juni 2020 im Fachblatt The ­Astrophysical Journal. Wenn sie sich dabei bloß nicht verrechnet haben. Spätestens seit ­Douglas ­Adams’ fiktionalem Hörspiel „Per Anhalter durch die Galaxis“ von 1981 schien die Antwort auf diese Frage doch bekannt: 42.

Kosmische Jets haben die Bioelemente überall im Universum verteilt

Volker Springel, Astrophysiker