Väterchen Rost

MOTORISIERUNG Autos, die im Ostblock über schlechte Straßen rumpelten, mussten nicht schick und schnell, sondern robust sein. Im Westen belächelte man Blech und Plaste aus sozialistischer Produktion. Heute sind die Wagen seltene Liebhaberstücke.

Fotos: Kristina Traktirova/arte

Spottnamen gab es reichlich: „Rennpappe“ etwa. Den verdankte der Trabant als meistgebautes Auto der DDR seiner Außenhaut aus der Kunstfaser Duroplast. Mehr als drei Millionen Zwickauer Zweitakt-Zwerge knatterten zwischen 1957 und Anfang der 1990er Jahre von den Produktionsbändern. Schon zu Lebzeiten war der Wagen irgendwann ein Oldtimer, weil die technische Entwicklung über Jahrzehnte stagnierte.
Gut 35.000 Trabis gibt es nach den Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) heute in Deutschland. Damit führt der Volkswagen der DDR in der Zulassungsstatistik der Ostblock-­Oldies mit weitem Abstand. Und immerhin: Die Karosserie korrodiert nicht, was man von anderen Fabrikaten aus sozialistischer Produktion nicht sagen kann. Skodas von damals überlebten kaum, sie galten als „Böhmisch-­Mährische Schnell-­Roster“. Und auch der sowjetrussische ­Moskwitsch wurde in der DDR verräterisch geschmäht: „Rostquietsch“ hieß er im Volksmund.
An das Glück, in der DDR einen Wartburg ergattert zu haben, kann sich Rolf ­Mahlke noch gut erinnern. Der Zahnarzt, der mit seiner Frau 1989 aus der DDR floh und heute im niedersächsischen Wittingen lebt, sagt in der ARTE-Geschichtsdoku „Autos im Sozialismus: Freiheit auf vier Rädern“: „Der hat nur Spaß gemacht, und das war ausreichend.“ Seinen Traumwagen aus Eisenacher Produktion ließ das Ehepaar vor der Flucht in die bundesdeutsche Botschaft in Prag schweren Herzens einfach an der Straße stehen.
Weil die Stasi ihn mit Tausenden anderen automobilen Hinterlassenschaften von DDR-Bürgern aus der damaligen Tschechoslowakei zurückholen ließ, konnte Rolf ­Mahlkes Vater den roten Wartburg später wieder entgegennehmen. Eine besonders skurrile Episode der wilden Wendezeit. Neben anderen Ost-Gefährten wie einem originalen Volkspolizei-­Lada – mit funktionstüchtigem Blaulicht – steht der Wagen nun wieder bei seinem ursprünglichen Besitzer in der Garage.
War für DDR-Bürger bereits der zweitaktgetriebene Wartburg schwer zu kriegen, galt ein Lada aus sowjetischer Produktion für Normalsterbliche als nahezu unerreichbar. Der von 1966 an mit Fiat-Geburtshilfe in der russischen Stadt Toljatti gebaute Wagen schaffte es, anders als DDR-Fabrikate, später sogar bis in den Westexport. In Zeitschriften warb Lada Mitte der 1980er Jahre etwas übermütig mit einem populären Reklame­zitat des VW-Käfers: „Es gibt Formen, die man nicht verbessern kann.“ Wo der Wolfsburger mit einem Ei verglichen worden war, stand für den kantigen Lada das Bild dreier übereinanderliegender Backsteine. Selbstironie mit Sowjet-Charme.

Ukrainischer Exote Saporoshez
Während vom Wartburg aktuell noch knapp 8.000 Exemplare in der KBA-Statistik auftauchen und immerhin knapp halb so viele Ladas aus Vorwendezeiten, gilt eine andere Marke hierzulande als exotische Kuriosität: ­Saporoshez. 1960 erblickte der erste Kleinwagen mit der Bezeichnung 965 im heute ukrainischen Saporischschja das Licht einer planwirtschaftlichen Produktionshalle. Als beinahe perfekte äußerliche Kopie des Fiat 600, damals aber ohne Zutun des italienischen Konzerns. 1966 bekam der rundliche Erstling – Spitzname: „der Bucklige“ – einen moderneren Nachfolger. Wegen seiner markanten Lufteinlässe am Heck galt er als der „mit Ohren“. Eine spätere Version, den Saporoshez 968, fährt der Kölner ­Peter ­Loschinski, der auch dem Verein „Saporoshez-IG Deutschland“ vorsitzt – als „Präsident“. Den Titel trägt er seit 2007. „Bei unserer ersten Clubfahrt in die Ukraine ließ sich das leichter übersetzen“, erklärt der Rheinländer im Gespräch mit dem ARTE Magazin.
2.500 Kilometer je Richtung mit dem „Sapo“, wie die kompakten Oldies liebevoll abgekürzt werden, sind herausfordernd. Die Sowjets bauten den Wagen für Geschwindigkeiten bis 90 Stundenkilometer. Fährt man dauerhaft schneller, drohen veritable Motorschäden. Oder anderes: ­Loschinski verlor bei Tempo 110 ein Rad auf der Autobahn. „Dann legt sich der Sapo gutmütig auf die Seite, ein paar Funken sprühen und man fährt entspannt rechts ran.“ Gut 100 Saporoshez rollen heute noch über deutsche Straßen. Gehandelt werden pro Jahr „fünf bis zehn Autos“, weiß der IG-Präsident. Die kleine Szene kennt sich, die meisten Sapos gibt es zwischen Ostsee und Erzgebirge. Dabei galt der Sowjet-Import in der DDR als ungeliebt. Verspottet wurde auch er ausgiebig: als „Zappelfrosch“, „Kremlwanze“ oder ­„Chruschtschows Rache“.

Autos im Sozialismus: Freiheit auf vier Rädern

Geschichtsdoku
Freitag, 7.8. • 23.20 Uhr
bis 20.9. in der Mediathek.