Die Altbau-Küche, aus der sich Katharina Thalbach zum Zoom-Gespräch zuschaltet, ist nicht ihr Homeoffice, sondern ganz einfach ihr Zuhause. Das stellt sie mit ihrer unverwechselbaren rauchigen Stimme gleich klar. Ihr Büro, das sind die Theaterbühnen, Filmsets und Tonstudios, in denen die Schauspielerin und Sprecherin ihre Projekte umsetzt. Auch als Opernregisseurin beweist sie Wandelbarkeit. Ob ihr Debüt „Don Giovanni“ (1997) – ein Brückenschlag zwischen Mozart und Technoszene – oder „Der Barbier von Sevilla“ (2009): Die Inszenierungen bestechen durch Fantasie und Komik. Der Regieauftrag für „Aida“ sei nun „unerwartet vom Himmel gefallen“, erzählt Thalbach mit freundlichem Spott. Der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann, habe sie bei einem Abendessen zu dem gemeinsamen Projekt verführt.
arte Magazin Frau Thalbach, Sie haben mal gesagt, dass Sie sich vor jeder Oper wie eine Archäologin fühlen, die ein neues Gebiet entdeckt. Ist das immer noch so?
Katharina Thalbach Ja, das hört auch nach mehr als 20 Jahren Erfahrung nicht auf. Ich bin keine ausgebildete Opernregisseurin, und schändlicherweise muss ich gestehen, dass ich keine Noten lesen kann. Einmal habe ich eine zeitgenössische Oper inszeniert, da hatte ich nur die Aufnahmen von Synthesizern, um mich zurechtzufinden. Das war wirklich schwer. Mittlerweile kann ich mich aber über das Hören sehr gut orientieren. Irgendwann erhellt sich jeder Klavierauszug und ich kann ihn lesen, nicht immer fließend, aber zumindest stotternd.
arte Magazin In Giuseppe Verdis „Aida“ geht es um die tragische Verbindung der äthiopischen Prinzessin Aida mit dem ägyptischen Heerführer Radamès. Sehen Sie die Oper eher als politisches Stück oder als Liebesgeschichte?
Katharina Thalbach Sie ist beides. Die Umstände, unter denen die Oper entstanden ist, machen sie politisch. „Aida“ war zur Eröffnung und Lobpreisung des Suezkanals gedacht. Ansonsten wird alles durch einen zutiefst menschlichen Konflikt bestimmt: Die Figuren scheitern mit ihrem persönlichen Schicksal an der großen Politik. Außerdem hört man natürlich Verdis Patriotismus, den er herausschmettert. Der kommt in der „Aida“ so hammermäßig durch, dass es fast schon peinlich ist. Jeder Wahlkampf könnte diese Musik gut für sich einspannen.
arte Magazin Das schreit ja nach moderner Inszenierung.
Katharina Thalbach Ja, man könnte bei dem Stück sicher auch die Aktualität in den Vordergrund stellen. Aber ich denke, das würde anderen besser gelingen als mir. Ich liebe es ja an Opern besonders, dass man die Gelegenheit hat, in andere Welten und Zeiten abzutauchen. Es gab eine Phase, da wollte ich sogar Ägyptologie studieren, weil ich der unvergleichlichen Kunst aus dieser Zeit so verfallen war. Diese Begeisterung und das Wissen konnte ich jetzt wunderbar in die Inszenierung einbringen. Außerdem glaube ich, dass es bei den großen, archaischen Stoffen fast egal ist, ob man sie in einer Tiefgarage spielen lässt, in Ägypten oder im 19. Jahrhundert. Die Motive sind zeitlos.
arte Magazin Ist es das, was Sie an Verdi so begeistert?
Katharina Thalbach Ach, Verdi ist einfach der Hitmacher schlechthin, den hat doch jeder mitgepfiffen! Selbst in Castingshows werden heute seine Stücke gesungen. Es gelingt ihm immer wieder, das absolut Pompöse mit einer großen Zartheit zu verbinden. Dazu kommt ein hoher Grad an Melodiösität, den ich faszinierend finde. Und er schafft es sehr, sehr oft, dass ich weine.
arte Magazin Sie stammen aus einer Theaterfamilie, ihre Eltern waren Schauspieler. Sind Sie als Kind oft in die Oper gegangen?
Katharina Thalbach Eigentlich war Musik immer Thema bei uns. Mein Urgroßvater war Sänger, Bariton. Er hat sogar an der Semperoper in Dresden gesungen. Meine Mutter hat mich mit an die Komische Oper in Berlin genommen und zu Hause haben wir unheimlich viel Mozart gehört. Das hat mich natürlich geprägt. Seitdem liebe ich Musik, egal, ob das jetzt sogenannte Hochkultur ist, wie Verdis „Triumphmarsch“, oder „America“ aus der „West Side Story“.
arte Magazin Stichwort: Hochkultur. Sie werden immer wieder als „letzte Volksschauspielerin“ bezeichnet. Nehmen Sie das als Kompliment?
Katharina Thalbach Das wäre ein Riesenkompliment für mich, wenn ich das wirklich wäre. Ich muss dabei an Therese Giehse oder Inge Meysel denken. Die sind doch großartig! Ich freue mich auch wieder aufs Schauspielern und aufs Theater. Demnächst spiele ich Hercule Poirot in „Mord im Orientexpress“ am Berliner Schiller Theater. Außerdem werde ich an einem Film mitwirken, in dem unsere Ex-Kanzlerin im Ruhestand zur Hobbydetektivin wird. Eine Mischung aus Angela Merkel und Agatha Christie – Miss Merkel statt Miss Marple.
arte Magazin Sie müssen gut im Multitasking sein, bei dem, was Sie alles vorhaben.
Katharina Thalbach Ach wissen Sie, eigentlich bin ich eine Bürokratin. Ich liebe Listen und Tabellen, die ich abarbeiten kann. Wenn ich das nicht machen würde, wäre ich verloren. Und die Lust an der Arbeit ist wichtig. Meine Spielfreude ist riesig. Dazu kommt eine gewisse Infantilität, die ich mir hoffentlich bis an mein Lebensende erhalten kann.