»Kino ohne Grenzen«

Vicky Krieps hat sich als Star der internationalen Filmszene etabliert. Ein Interview mit der Schauspielerin über ihre Rollen in „Corsage“ und „Mehr denn je“.

Vicky Krieps als Sisi
Vicky Krieps, Schauspielerin: 1983 in Luxemburg geboren, war Krieps am Schauspielhaus Zürich engagiert, bevor sie in preisgekrönten Filmen wie „Der seidene Faden“ (2017) oder „Bergman Island“ (2021) spielte. Hier: Vicky Krieps als Elisabeth von Österreich-Ungarn in „Corsage“. Foto: Felix Vratny

Sie verkörpert große Frauen mit Leichtigkeit – ob Kaiserin Sisi oder Schriftstellerin ­Ingeborg ­Bachmann. Die wandelbare deutsch-luxemburgische Schauspielerin ­Vicky ­Krieps feierte 2022 gleich mit zwei Filmen in Cannes Weltpremiere: „Corsage“ von ­Marie ­Kreutzer und „Mehr denn je“ von ­Emily ­Atef. ARTE zeigt beide Produktionen im Rahmen des FilmFestivals. Für das Gespräch schaltete sich die Wahlberlinerin von einem Dreh aus Frankreich zu.

ARTE MagazinFrau Krieps, Sie sind bei den Dreharbeiten für einen neuen Film gestürzt. Was ist passiert?

Vicky Krieps Schauspielerei hat neben dem Handwerk fast etwas Schamanisches – das gewisse Plus-X, das entsteht, wenn man seine Seele öffnet. Für mich bedeutet das, im Moment alles zu vergessen, Verantwortung abzugeben und sich wie ein Kind hinzugeben, zu träumen, zu spielen und Quatsch zu machen. Genau so ist das gestern zwischen zwei Szenen passiert: Ich wollte mit Anlauf an einer im Türrahmen befestigten Stange von einem Zimmer ins andere schwingen. Als ich in der Luft war, ließ das Ding nach, und ich bin auf die Steintreppe unter mir gefallen. Zum Glück hatte ich eine Vokuhila-Perücke auf, also eine große Matte. Das hat mich wohl gerettet.

ARTE Magazin Hat Sie dieser spielerische Aspekt damals zum Schauspiel gebracht? 

Vicky Krieps Da ich aus dem kleinen Luxemburg komme, war es für mich schwer vorstellbar, Schauspielerin zu werden. Aber wenn ich ein Gedicht aufsagte, konnte ich die Worte in der Luft fühlen. Ich wollte herausfinden, warum das für mich so kraftvoll war. In meinem Auslandsjahr in Südafrika sah ich eine Bergkette und war sehr berührt. Das war so ein Moment, den Menschen wohl haben, die gläubig sind oder Gott spüren oder die Natur. Wenn man merkt, es gibt noch etwas viel Größeres – und man selbst ist ganz klein. In dem Moment habe ich gedacht, ich werde Schauspielerin – weil ich dieses Gefühl einfangen und mit möglichst vielen Leuten teilen wollte.

ARTE Magazin Regisseurin ­Margarethe von ­Trotta bewundert Ihre Fähigkeit, Gefühlszustände im Nu zu ändern. Wie gelingt Ihnen das?

Vicky Krieps Lachen und Weinen liegen ganz nah beieinander. Ich lasse die Gefühle ineinander überfließen. Während die Figur weint, lacht sie schon, dem vorausgehend, was gleich passieren wird. Dieses Fließen von Emotionen entspricht immer mehr dem echten Leben, denn in dem Moment, in dem man darüber nachdenkt, ist die Emotion schon wieder vorbei.

ARTE Magazin Sie sind international sehr erfolgreich. Inwiefern unterscheidet sich das US-Kino vom europäischen? 

Vicky Krieps In den USA gibt es immer ein kleines Fenster für Talent. Ich habe dort früh kleine Rollen bekommen – denen war egal, wer ich bin. In Deutschland hat man mehr Angst. Dadurch, dass Filme hier so stark subventioniert werden, müssen Dramaturgen immer ihr grünes Licht geben. Man muss vorher bewiesen haben, dass man ein toller Schauspieler ist, weil man viel Theater gespielt oder schon andere Filme gemacht hat.

Mehr denn je

Liebesdrama

Mittwoch, 20.11.
— 20.15 Uhr
bis 19.12. in der
Mediathek

 

Filmszene mit Vicky Krieps und Gaspard Ulliel aus
Hélène (Vicky Krieps) und ­Mathieu (­Gaspard Ulliel) leben seit vielen Jahren glücklich in Bordeaux. Ihr Leben ändert sich drastisch, als bei ­Hélène eine seltene Lungenkrankheit diagnostiziert wird. Als Hélène online auf den ebenfalls todkranken Blogger „Mister“ stößt, beschließt sie, allein zu ihm nach Norwegen zu reisen. Foto: Eaux Vives Productions / ARTE F

ARTE Magazin Kino kennt keine Grenzen, haben Sie einmal gesagt. Wie meinen Sie das? 

Vicky Krieps Das Kino stirbt gerade. Oder die Kultur, ins Kino zu gehen. Das Wissen, was ein guter Kinofilm ist, verblasst. Netflix, Apple und Amazon nehmen mehr und mehr die Rolle der Filmstudios ein. Kinder, die heute Filme schauen, wissen gar nicht, wer Hitchcock ist, wer das alles erfunden hat. Heute sind die Geschichten und Dialoge viel flacher. Dennoch hat Kino keine Grenzen. Das habe ich in Cannes gesagt, als ich Filme sah, die aus der ganzen Welt kamen. Ein kleiner Kinofilm, irgendwo in Kasachstan oder Korea gedreht, kann immer noch überall hinreisen – auch ohne viel Geld. Das bedeutet leider nicht, dass sich das Leben der Menschen, die den Film gemacht haben, verbessert. Aber der Film kann reisen und Menschen beeinflussen. Die Kinosprache als Phänomen existiert weiterhin.

ARTE Magazin Sie saßen dieses Jahr in der Jury bei den Filmfestspielen in Cannes. Woran erkennt man einen Gewinnerfilm? 

Vicky Krieps Den Gewinnerfilm erkennt man nur als Gruppe. Das ist das Schwierige in der Jury. Ich habe versucht, in jeden Film unvoreingenommen zu gehen – ohne darüber zu lesen oder zu wissen, wer ihn gemacht hat. Ich bin morgens immer schwimmen gegangen, wie um mich reinzuwaschen. Ich brauchte einen Moment für mich, ohne Glitzergedöns. Von mir aus könnte man die ganzen Klunker weglassen – und das Festival in einem Zelt abhalten, in dem es nur Filmvorführungen gibt und Nudeln und Tafelwein für alle.

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Corsage

Filmbiografie

Freitag, 22.11. — 20.15 Uhr
bis 21.12. in der
Mediathek