Vom Feinsten

ADEL VERPFLICHTET Was am Hofe Ludwigs XIV. seinen Anfang nahm, weckt bis heute Begehrlichkeiten. Frankreichs Luxusgüterindustrie verkauft Produkte – vor allem aber das Image von Tradition, Exklusivität und Savoir-vivre.

Stilfrage: Zu den Stilettos von Christian Louboutin passen das Notizbuch von Louis Vuitton und das Schreibgerät von S. T. Dupont (Foto: Shutterstock, Stucin/Madame Figaro/laif)

Die Franzosen haben Louis Vuitton, Chanel und Hermès. Wir haben Porsche, Mercedes und BMW: PS-starke Ingenieurkunst. Präzise Technik ist ein deutscher Exportschlager. Für die sprichwörtliche französische Lebensart hingegen kennt und liebt die Welt unser Nachbarland, vor allem Paris. Savoir-vivre halt, oder auch: Leben wie Gott in Frankreich, mit Birkin Bag und Champagnerkelch. Die Tradition der Herstellung raffinierter und begehrter Luxuswaren reicht weit zurück, bis ins Ancien Régime des 17. Jahrhunderts. Zufällig oder von selbst entstanden ist sie nicht, wie der ARTE-Dokumentarfilm „Versailles – Wo Frankreich den Luxus erfand“ zeigt. Er blickt auf die Ursprünge jenes Manufakturwesens zurück, aus dem eine bis heute florierende Industrie mit ihren prestigeträchtigen und einträglichen Marken erwachsen ist.

Dabei standen die Zeichen anfänglich auf Krise: Pompöse Hofhaltung und teure Kriege strapazierten den französischen Staatshaushalt. Die Einfuhren überstiegen die Ausfuhren um das Doppelte. Jean-­Baptiste ­Colbert (1619–1683), der unter dem Sonnenkönig ­Ludwig XIV. zu einer Art Superminister avancierte, sann auf Abhilfe. Neben hohen Zöllen und Ausbeutung der Kolonien setzte er vor allem auf die heimische Produktion hochwertiger Waren, die der Adel bis dato für Millionen Livre aus dem Ausland kaufte. Glas und Spiegel aus Venedig etwa, oder Tuch und Spitze aus den Niederlanden. Unter ­Colbert wurden geistliche Gesandte zu Industriespionen. Er ließ Fachleute aus der Fremde anwerben. Und er etablierte strenge Qualitätskontrollen für inländische Manufakturprodukte.

Versailles – Wo Frankreich den Luxus erfand

Dokumentarfilm

Samstag, 5.12. • 20.15 Uhr
bis 2.2.2021 in der Mediathek

Die Models tragen Kreationen des Modeschöpfers Michel Goma. Als dieser in den 1970ern Chef-Designer im Haute-Couture-Haus Patou war, arbeitete Jean Paul Gaultier einige Jahre als sein Assistent (Foto: Keystone/Getty Images)

Der Louvre und der Luxus
Colberts erfolgreich gelenkte Staatswirtschaft danken ihm die zu milliardenschweren Konzernen gewachsenen Nachfolger des Manufakturwesens bis in die Gegenwart. Dem Begründer des Merkantilismus zu Ehren heißt der Interessenverband französischer Luxushersteller ­Comité ­Colbert. Gut 80 Namen stehen hinter der 1954 von Parfümeur Jean-­Jacques ­Guerlain gegründeten Vereinigung – von A wie ­Alain ­Ducasse bis Y wie Yves Saint Laurent. Ein gutes Dutzend Spitzeninstitutionen ist assoziiert. Zu denen, die „die Werte des Comité ­Colbert teilen“ und an der Seite von Couturiers, Juwelieren und Champagnerkellereien Frankreichs Image in die Welt tragen, zählen der Louvre, das Schloss Versailles und die Universität Sorbonne. Es soll, so betont der exklusive Club, um mehr gehen als schnöde ökonomische Ziele: „Die Mitglieder repräsentieren Frankreich, seine Kreativität und seine Lebenskunst. Mit anderen Worten, sie dienen als Botschafter der französischen Kultur im Ausland.“

Solches Selbstbewusstsein gründen die Luxushersteller auf teils Hunderte Jahre lückenloser Firmenhistorie. Glas aus den Cristalleries de Saint-­Louis gibt es bereits seit 1586, Porzellan aus Sèvres immerhin seit 1740. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts reihten sich ­Hermès und ­Louis ­Vuitton mit ihrem Reisegepäck in die Riege der großen Marken ein. Mindestens ebenso lange eifert man dem französischen Vorbild an Stil und Eleganz anderswo in Europa und der Welt nach. Weder das revolutionäre Ende des Ancien Régime und seiner höfischen Kultur noch spätere Kriege und Krisen änderten daran etwas. Was nicht zuletzt an der Treue der Franzosen zu Traditionen liegt. Luxus als integraler Bestandteil der französischen Kultur ist eben doch mehr als eine Behauptung des Comité Colbert.

Und mehr als das Sich-leisten-Können exquisiter Gegenstände. Der Soziologe ­Pierre ­Bourdieu hatte zweifellos seine Landsleute im Blick, als er 1979 in seinem Standardwerk „La distinction“ – deutsch: „Die feinen Unterschiede“ – auf das Wechselspiel von ökonomischem und kulturellem Kapital hinwies. Die Distinktion, die Abgrenzung, knüpfe sich auch an Immaterielles, an Habitus. „Wer Luxus zur Schau trägt, aber sich nicht entsprechend verhält, macht sich schlicht lächerlich“, bringt das der Frankreichforscher ­Christoph ­Barmeyer im Gespräch mit dem ARTE Magazin auf den Punkt.

In Frankreich sagt man einfach: se faire plaisir – sich etwas gönnen

Christoph Barmeyer, Frankreichforscher
Flaschen der Champagnerkellerei Charles ­Heidsieck (Foto: Pidjoe/getty Images)

Der Inhaber des Lehrstuhls für interkulturelle Kommunikation an der Universität Passau sieht bis heute in Frankreich eine Bewunderung für das Leben am Hof und den Adel, der „in die Gesellschaft diffundiert“ sei. ­Barmeyer spricht von einem Dreiklang: Neben dem Habitus, also dem ehrwürdigen Verhalten, zähle dabei der Symbolcharakter luxuriöser Dinge. Und noch etwas, das Geld wiederum nicht einfach kaufen kann: Intellekt. Oder besser auf Französisch: Esprit. Sich in einer schönen Sprache gewählt auszudrücken, sei ungemein wichtig. „Deshalb spricht man auch weniger über Negatives wie Krankheiten oder dass man kein Geld mehr hat“, so der Wissenschaftler.
Neben der adligen Herleitung hat die französische Liebe zum edlen Teuren für ­Barmeyer auch eine religiöse Komponente. „Luxus ist ganz stark mit dem Katholizismus verbunden“, sagt er. Schon an den Kirchen sei sichtbar: „Hier wird zur Schau gestellt.“ Anders im Protestantismus, wo es nüchtern um die Funktion gehe. So erkläre sich Understatement, etwa in Norddeutschland oder England: Man hat das Geld, aber man zeigt es nicht. Der Protestant frage beim hohen Preis nach dem Gegenwert. ­Barmeyer: „In Frankreich sagt man einfach: se faire plaisir – sich etwas gönnen.“ So wohne dem Luxus stets etwas Emotionales und Irrationales inne.

„Dadaismus des Besitzens“ nennt das der Jenaer Philosoph ­Lambert ­Wiesing in seinem 2015 erschienen Band „Luxus“. Es gehe darum, sich von den üblichen Vorstellungen eines vermeintlich vernünftigen Lebens regelrecht zu befreien und „gegen spießige Normvorstellungen“ zu behaupten. Wiesing trennt dabei die Luxuserfahrung vom Protz. Eine Feinunterscheidung, die schon 250 Jahre früher in der „Oeconomischen Encyclopädie“ eines ­Johann ­Georg ­Krünitz zu der Erkenntnis führte: „Ein jeder Luxus ist eine Verschwendung, aber nicht jede Art der Verschwendung ist deshalb auch Luxus.“

Heutzutage tragen oft Touristen aus Asien die Insignien der Nobelmarken zur Schau – eher ohne entsprechende kulturelle Prägung. Neben immer schwindelerregenderen Preisen verdirbt das ­französischen Stammkunden die Kauflaune. Dabei reicht die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema im Mutterland der feinen Lebensart so weit zurück wie Frankreichs Luxustradition selbst. 1699 veröffentlichte ­François ­Fénelon, ein Adliger aus dem Périgord, „Les Aventures de Télémaque“ („Die Abenteuer des Telemach“). Das Buch wurde als Anprangerung der Prunksucht verstanden, wofür ihn ­Ludwig XIV. vom Hof in Versailles verbannte. Beim Luxus hört der Spaß auf.